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Das Land des unlosbaren Problems

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Kaum Ist der große Weltkrieg zu Ende, zeigen sich wieder die vielen ungelösten Probleme an den verschiedensten Stellen der Erde. So ein Unruheherd ist Palästina. Man kann das Palästinaproblem von verschiedenen Seiten ansehen. Wir sehen es mit den Augen des christlichen Europäers an, dem Palästina das heilige Land, geweiht durch die heiligsten Erinnerungen und Ziel der Pilgersehnsucht, ist. Uns ist es keineswegs gleichgültig, was mit und in diesem Lande geschieht. Es ist winzig klein, vom See Gene-sareth und Nazareth im Norden nach Bethlehem im Süden ist et so weit wie von Amstetten nach Wien, die Breite ist noch viel geringer, was sonst noch dazugehört itt unbewohnte Wüste. Von den 1,7 Millionen Einwohnern sind 1,180.000 Araber und 530.000 Juden; im Jahre 1918, vor den ersten Einwirkungen der Balfour-Dekla-ration, der Verheißung eine jüdischen Nationalheimet in Palästina, zählten die Juden erst 60.000 Köpfe, die Araber nur 660.000. Die Araber sind seit vielen Jahrhunderten unbestrittene Herren des Landes, sie können nicht begreifen, daß Jetzt die Juden aus aller Welt kommen und ihnen den Platz streitig machen wollen. Andererseits ist et begreiflich, daß die Juden, die überall und nirgend daheim sind, auf der Suche nach einem eigenen Lande auf ihre uralte Heimat verfallen, zumal man ihnen 1917 das „Nationalheim“ versprochen hat. Die Engländer haben zeitweise den Juden Zugeständnisse gemacht, alt die Araber aber deshalb unruhig wurden, verlegten ich die Engländer auf kluges Ausgleichen, wobei sie aber immer wieder das alte Sprichwort erleben mußten: Allen recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann. Sie billigten den Juden eine gewisse Zahl von Einwanderern zu, welche sich im Lande niederließen und viel, hauptsächlich amerikanisches Kapital ins Land zogen. Die Juden begannen alles amerikanisch aufzubauen. Wo die Araber ihr Vieh geweidet hatten oder Ackerbau getrieben, so primitiv wie zur Zeit Davids, bauten sie Bewässerungsanlagen und herrliche Plantagen. Die Araber sahen das mit Neid und Unwillen, et geschah, daß Araber in die Plantagen bei Nacht, wo die Juden in ihren Zelten lagen, neben Spaten und Gewehr, einbrachen und die mühsam gezogenen, kostbaren Bäumchen abbrachen. Es gab endlose Raufereien, ja kleine Kriege. Der Engländer stand wie der Lehrer im Haufen streitender Jugend. Es ist für den Juden gewiß etwas erschütternd Tragisches, daß er sich wie ein Übeltäter ins Land stehlen mußte, das seinen Vätern gehörte und das ihm als neue. Heimat versprochen worden ist. Noch mehr, in Jerusalem zum Beispiel darf ein Jude große Teile der Stadt gar nicht betreten, er würde erschlagen werden. Ja selbst an der Klagemauer, wo seit alter Zeit die Juden um den Tempel und ihr Reich trauern, muß eine starke englische Wache stehen, weil dort schon oft gekämpft worden ist. Die Feindschaft ist so große, daß menschlicherweise an eine Aussöhnung nicht gedacht werden kann. Das Palästinaproblem ist ein unlösbares Problem. Die Araber werden nicht fortgehen und die Juden werden ihren Anspruch nicht aufgeben.

Es gibt verschiedene Typen von Juden Im Heiligen Lande. Da sind die Orthodoxen, meistens polnische Juden mit Kaftan und Schläfenlocken. Disputierend gehen sie auf und ab und die Bibel und der Talmud sind die Welt, in der sie leben. Das ist aber eine Minderheit. Die Zionisten, die modernen Juden, sind anders. Sie kommen wie richtige Europäer daher und sind in ihren Anschauungen liberal, manche glauben an Gott, viele nicht. Es ist nicht das heilige Sion, das sie bauen wollen. Sie schämen sich ihrer, wie sie meinen, rückständigen Brüder. Sie schwören auf die Technik. Die amerikanische Kultur ist ihr Ideal. Wo sie sitzen, verändern sie das uralte, heilige Antlitz des Landes. Sie nehmen ihm seinen altertümlichen Zauber. Am Toten Meer, das in einer wirklich tödlichen Einsamkeit daliegt, haben sie zur Verwertung der Salze eine Fabrik gebaut. Aber die Juden sind nicht allein schuld an der Modernisierung. Die Engländer haben auch mitgewirkt. Sie haben eine in ihren Augen wunderbare — in unserm Auge entsetzliche — Autobahn durchs Land gelegt. Nie werde ich es vergessen, wie wir darauf in rasendem Tempo dahinflitzten, knapp daneben lief der Karawanensteig aus Abrahams Zeiten, und eine Anzahl von Kamelen zog schwer bepackt dahin. Unser Fahrer fuhr zu knapp, er stieß ein Kamel an und es stürzte. Er lachte und fuhr weiter, ich sah mit aufgerissenen Augen zurück auf das stürzende Tier. Mit Tränen des Zornes habe ich die herrliche Autobahn verflucht und dabei bleibe ich. Die Amerikanisierung des Heiligen Landes muß für uns Christen etwas Trauriges und Böses sein. Die Umgebung von Jerusalem ist längst verschandelt. Angefangen vom Russenturm über die Universität bis zum Palast des Hochkommissärs und der neuen jüdischen Vorstadt. Die christlichen Bauten der letzten achtzig Jahre bilden keine Ausnahme, so auch die deutsche Kirche auf Sion. ,

Die Engländer haben die Revolte ausgenützt und jedesmal nach einem Anschlag einige arabische Häuser in die Luft gejagt und o breite Straßen für den Autoverkehr gebrochen. Aber in die Heilig Stadt kann man noch immer nur zu Fuß gehen, die alten, engen Tore stehen noch. Und sollte man einmal mit dem Auto vor der Grabeskirche vorfahren oder auf dem kolossalen Tempelplatz parken können, dann kann ruhig der Jüngste Tag kommen, es wird nichts mehr heißen auf dieser ehrfurchtslos, aber restlos modern gewordenen Welt, Der oft belachte Konservatismus, zum Beispiel in der Grabeskirche, wo über jeden neuen Ziegel alle beteiligten Konfessionen sich einigen müssen, was beinahe unmöglich ist, hat heute einen großen Wert, so traurig es ist, daß man die Grabeskirche eher einstürzen läßt, als daß Klugheit, Ehrfurcht und Liebe über dem kleinlichen Gruppenhader siegen. Wer den alten Charakter des Heiligen Landes bewahrt wissen will, sieht der jüdischen Einwanderung voll Sorge entgegen. Wobei ich nichts gegen die Juden sagen will Sie tun mir leid. Als das Schiff vor Haifa vor Anker ging- kletterte ein junger jüdischer Hafenarbeitet herauf, setzte sich neben midi in den Liegestuhl und fragte nach Neuigkeiten aus Deutschland. Er hielt mich für einen jüdischen Einwanderer. Er verfluchte du Land. Bei nächster Gelegenheit haue er wieder ab. Im letzten Winkel Deutschlands leb man besser als hier. Außerdem jtehe man hier auf einem Vulkan, jeden Augenblick könne man in die Luft fliegen. Er hatte prophetisch gesprochen, denn nur durch Zufall flog bei Dschenin nicht unser Auto, sondern ein anderes über einer Mine in di Luft. Es gibt nicht bloß eine jüdische Einwanderung, jondern auch eine jüdische Auswanderung, das ist eine Flucht der eingewanderten Juden aus Palästina.

Kurz vor dem Gespräch mit dem palästinamüden Juden hatte ich mit einem jungen, kultivierten Berliner Juden gesprochen, der mit einem Band Rilke unterm Arm auf dem Deck herumwandelte. Wohin er gehe, fragte ich. „Dorthin“, sagte er und zeigt auf die galiläischen Berge, die sich blau über der Ebene Esdrelon aufbauten. „Werden Sie dort leben können?“ fragte ich weiter. Still antwortete er: „Don hat David gelebt und Jesus, so werde ich es auch aushalten.“

Mit einer jungen, intelligenten Jüdin sprach ich über Religion. Ich.bedauerte, daß die jungen Juden die Religion der Väter aufgegeben haben. Da sagte sie: „Sollen wir wie die alten Kaftanjuden leben? Wir sind moderne Menschen. Die Bibel ehren wir als ein großes Menschheitsbuch. Gott offenbart sich in allem. Die alten Formen aber lehnen wir ab, sie sind überholt.“

Ein Jude in den besten Jahren, der eine kleine Orangenplantage nördlich von Haifa besaß, erzählte mir, wie er im Elternhause in den strengen Überlieferungen des Talmuds aufgewachsen war. „Einmal nahm meine kleine Schwester das Gemüsebesteck für die andern Speisen, was nach den kultischen Vorschriften verboten ist. Da schlug ich sie, der ich selber noch ein Kind war, auf den Mund. So streng war ich erzogen. Als ich nach Jahren aus der Familie ins wirkliche Leben kam, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Was ist das für eine Religion, wo es auf den Löffel ankommt? Und ich warf alles von mir. Löffel, Talmud und Jehova und lebte wie ein wirklicher, ein freier Mensch.“ Sein Gesicht verfinsterte sich, wenn ein polnischer Glaubensgenosse, mit seinem Schüler eifrig debattierend, vorbeiging. Jeder europäische Atheist steht einem Kapuziner näher als der liberale Jude dem orthodoxen.

Groß und vielfältig ist die Tragik des jüdischen Volkes. Seine Kinder tragen eine schwere Last auf ihren Schultern, eine geistige Not und unendliche Leiden. Sie sind ein zerrissenes Volk, das uralte Gottesvolk, dem seine Last zu schwer geworden ist. Sie hätten sich eine Heimat verdient, aber es scheint1 nicht so, daß sie in Palästina zur Ruhe kommen werden.

Das Tauziehen-um Palästina wird weitergehen. Das Palästinaproblem ist ein Weltproblem, nicht bloß wegen der Juden, viele Interessen kreuzen sich dort. England kann aus machtpolitischen Gründen den Platz nicht räumen. Das kleine Land ist so wichtig, es deckt den Suezkanal von einer Seite; zugleich ist es die Landbrücke von Afrika nach Asien, der Endpunkt der Ölleitung aus Mossul und Marine- und Luftstützpunkt ersten Ranges. Die Reibereien zwischen Juden und Arabern sind Grund genug, daß der englische Hochkommissär in seiner Villa sitzen bleibt und auf das alte Sion wachsam herabblickt. Amerika ist stark interessiert, Rußland erinnert sich seiner alten Beziehungen zum Heiligen Lande, für die panarabische Welt ist Palästina ein wunder Punkt. Als die Juden trotz der jetzt eingetretenen Einwanderungssperre ungestüm und gewalttätig wurden, ließ die junge „Arabische Liga“, der sieben unabhängige Staaten, Ägypten, Irak, Saudi-Arabien, Syrien, Transjordanien, Libanon und Jemen„ angehören, England erkennen, daß Palästina eine Sache arabischer Solidarität sei. Vor Jahren haben die Achsenmächte mit den Arabern konspiriert, deren Anführer der Mufti von Jerusalem war. Auf der Mauer der Sionsburg war mit riesigen Lettern gemalt: Heil Hitler! und das Hakenkreuz war als Kampfzeichen gegen die Juden wohlbekannt.

Aber das ist vorbei. Aus der Ferne gesehen, das ist von Europa oder Amerika aus, scheint die Sache der Juden aussichtsreicher, an Ort und Stelle sieht es umgekehrt aus, denn „Melior est res possidentis“, das heißt, besser dran ist der tatsächliche Besitzer als der, welcher bloß Ansprüche stellt. . '

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