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Das Leben ist nicht zu bewältigen...

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DER KANDIDAT. Roman. Von Kurt Ihlenfeld. Eckart-Verlag, Witten und Berlin. 3 58 Seiten.

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DER KANDIDAT. Roman. Von Kurt Ihlenfeld. Eckart-Verlag, Witten und Berlin. 3 58 Seiten.

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Kurt Ihlenfeld hat sich durch seine früheren Romane „Wintergewitter“ und „Kommt wieder, Menschenkinder“ als Chronist unserer Zeit erwiesen, der in der zuverlässigen und anschaulichen Schilderung geschichtlicher Vorgänge zugleich ihren verborgenen Sinn sichtbar zu machen weiß. Ein sicheres Gefühl für die besondere Atmosphäre einer Landschaft und die Wesensart ihrer Menschen, das Vermögen, Vergangenheit lebendig und erhellend in die Gegenwart einzubeziehen, zeichnen auch das hier vorliegende Buch aus, dessen Schauplatz ein hinterpommersches Rittergut am Meer, nahe der früheren Korridorgrenze, ist.

Wer weiß heute noch um den Zauber jener „verwunschenen Gegend", es sei denn sie war ihm einst Heimat! Eine Landschaft, melancholisch und heiter zugleich: blaue Wälder, heller Meeresstrand, einsame Seen, sanftes Hügelland und weite Ebene unter eineiff Unwahrscheinlich hohen Himmel'— Ihlenfeld beschwört eindringlich diese Bilder herauf-, die’ um SO bewegender wirken, als sie ihm Staffage sind für eine unwiederbringlich verlorene Welt, deren Ende er uns miterleben läßt. Da kommt ein junger westdeutscher Kandidat, der Archäologie im April 1939 zum erstenmal in das ostelbische Land, als Hauslehrer der Familie von Theden. Patriarchalischer Lebensstil, echt und lebendig, herrscht hier, noch — „eine Form, die wir uns von diesen Herrschaften (den Nationalsozialisten) nicht zerbrechen lassen wollen". „Autonomes Gebiet“, denkt der junge Lobegast, als ihm der Hausherr die geographische Lage des Gutes erläutert. Und diese Ansicht verstärkt sich noch, als er erfährt, daß die Thedens in ihrem einsamen Dünenhaus in der Nähe des Schlosses ein jüdisches Ehepaar beherbergen.

Es scheint „ein Leben der Mitte“, in das der Kandidat, für den alles menschliche Dasein tragischen Charakter hat, gekommen ist.

„Da war nichts tragisch, da war alles geordnet, alles bezogen auf einen unsichtbaren, aber von allen geglaubten Mittelpunkt, und wie hieß der? Familie, Haus, Gut, Besitz. Es gab verschiedene, aber untereinander übereinstimmende Namen dafür. Das Tragische, dessen Vorhandensein in der Welt nicht einmal geleugnet wurde, blieb draußen, indem man es zur Ausnahme erklärte..

Aber die Schatten des in der Welt sich zusammenballenden Schicksals fallen auch auf dieses Haus. Die schöne Ordnung wird von innen und außen unterhöhlt. Der junge Hasso, dessen Lehrer Lobegast ist, zeigt sich anfällig genug gegenüber den nationalsozialistischen Ideen und beschwört mannigfache Verwicklungen herauf. Und nicht nur er.

„Es war, als ob sich der sonst so sicher, so unbeweglich daliegende Erdboden täglich um ein weniges tiefer senkte, in eine Schräge geriet und dadurch alles, was auf ihm sich begab,' ins Rutschen käme, ins Gleiten ...“

Im Vorgefühl des "nahen Endes wachsen aber auch die inneren Kräfte der handelnden Personen; ihre Beziehungen zueinander und ihre Erlebnisfähigkeit steigern sich zu hofier Intensität. Ergreifendes Geschehen auf diesem dunklen Hintergrund die verhaltene, ganz auf den Bereich des Gefühls und der inneren Auseinandersetzung beschränkte Liebesgeschichte zwischen Lobegast und der gelähmten Maria von Theden. Ein unvergeßlicher Höhepunkt ist die letzte Geburtstagsfeier Marias, unmittelbar vor Beginn des Krieges. Ein glanzvolles Fest, das noch einmal die ganze Schönheit und gewachsene Ordnung des alten Lebens offenbart, aber zugleich auch seine unausweichliche Auflösung.

„Bleibt draußen, ihr Eumeniden, bleibt draußen. Zu spät, zu spät. Sie sind mit hereingekommen . . Die Grenze brennt: Und der Säaf brennt. Nfehfi'įu unterscheiden, ob Sonnengold. öder Flammenrot įie Tafel umfließt...

An dieser und mancher anderen Szene zeigt sich Ihlenfelds Vermögen, die vielfältige Verflochtenheit realer Vorgänge, ihren metaphysischen Hintergrund, aufzudecken.

„Das Leben ist nicht zu bewältigen. Ueberall drängt es über seine Ränder hinaus. Weil es so beschaffen ist, sollen wir qs auch nicht wie ein Tagespensum bewältigen. Gott will auch etwas zu tun haben . . .“

Das ist die Quintessenz dieses Buches, die seine dunkle Melancholie ins Positive und Tröstliche wendet. Dr. Anneliese D emp f

CAPRI, LIEBLICHER UNFUG DER GÖTTER. Von Werner Helwig. Illustriert vo'n Letizia Cerio. Eugen-Diederichs-Verlag, Düsseldorf. 160 Seiten. Preis 11.80 DM.

Gewisse Verfasser von Büchern, die Süditalienreisende entzücken sollen, scheinen sich darauf geeinigt zu haben, so zu schreiben, als ob sie von Champagner besüffelt wären. Sie nennen das „spritzig“, „leicht beschwingt“ und kaprizieren sich auf Impressionen„ lauter Impressionen; reden blumig, schreiben viel und sagen wenig und beschränken sich darauf, ein wenig Sprachschaum zu produzieren. So etwas hat auch der Verfasser des vorliegenden Büchleins besorgt. Er hat das Ambiente parfümiert, mit Dichterworten allerlei Unfug getrieben (Beispiel: Seite 35) und Bildungserlebnisse mondän beschwatzt und so, daß man nach. 30 Seiten das Gefühl hat, in einen femininen Feuilletorysmus geraten zu sein. Denn ein Mann, der das 50. Jahr schon hinter sich hat, schreibt wie eine Dame in den Flitterwochen. Das ist kaum das Richtige und eben nur gerade „spritzig", weiter nichts. Was nämlich anschaulich gemacht werden sollte, bleibt flach und unbestimmt und ohne Umriß. Die „kulinarischen Recherchen“ sind ungefähr das, was sie sein sollen, und einige andere Kapitelchen wird man sich auch gefallen lassen, wie die über „Vögel, Falter, Eidechsen“ und ähnliche; aber die Marginalien zur „Sirenologie“ sind reichlich konfus und verschiedenes über „Olympier auf.Capri“ ziemlich albern. Und so ist dann zu sagen: Mit Geistreicheleien ist uns noch wenig gedient und Rilkes „Lied vom Meer“ ist erfüllter von Capri als diese 160 Seiten Durcheinander und Daranvorbei für ein mehr oder weniger versnobtes Reisepublikum. Für Leute von Geschmack und Bildung ist nämlich diese verquälte „Leichtbeschwingtheit“ ziemlich unerträglich.

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