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Das letzte Barockiesi in Österreich

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Kyrillisch beschmierte Wände, geköpfte Putten, zerschlagene Fenster und verwahrloste Wege, n der Kapelle ein aufgeschlitztes Heiligenbild — das ist heute Prinz Eugens Jagdsitz Schloßhof an der March. Dennoch: Trotz aller wüsten Verwahrlosung steht der Bau. Wie vor Jahrhunderten beherrschen die drei Schloßflügel des Lukas von Hildebrand das Marchfeld, wuchtig trotzen die Mauern dem dorrenden Wind der Tiefebene. Torsen barocker Nymphen winken zum Thebener Kogel hinüber. Im längst versiegten Brunnen sonnt sich eine Viper.

Vor zweihundert Jahren, vom 23. bis 26. September 1754, feierte man hier das letzte österreichische Fest im Stil des Musenkaisers Leopold oder des prunkfreudigen Karl VI. Prinz Friedrich von Sachsen-Hildburghausen, der Erbe des großen Savoyers, hatte zweihundert Adelige aus Oesterreich, Ungarn und Böhmen auf sein Schloß geladen; als Ehrengäste trafen von Böhmen her Franz Stephan und Maria Theresia mit den älteren Kindern ein.

Man speiste an zwanzig Tafeln. Den Höhepunkt des üppigen Mahles bildete eine kunstvolle Konditorarbeit: Allegorien der zwölf Monate, „aus purem ausgestreutem Zucker, wie das schönste Gemählde verfertiget“. Am nächsten Tage gab es als Dessert die Darstellung einer Jagd, und als Abschiedsmahlzeit gar die Belagerung einer Festung, die sich flugs, wie auf dem Theater, in einen Tempel des Friedens verwandelte.

Die „allerhöchsten Herrschaften“, besonders der Kaiser selbst, waren passionierte Jäger, doch kaum hatten sie in ihren Karpatenwäldern so viel Wild gesehen, wie ihnen jetzt als Beute vor die Flinten getrieben wurde. Unter Trompeten- und Paukenklang war der Hof in einer Flottille von Prunkbarken die March hinauf zu einem Schießstand gefahren worden, dem gegenüber eine breite Landungsbrücke in den Fluß ragte. Bunt kostümierte Treiber sollten nun achthundert Hirsche und Rehe aus den dichten Wäldern des Kobelberges zum Ufer und auf die erwähnte Brücke jagen, wo sie dann den Kavalieren zum unfehlbaren Ziele würden.

Der Chronist erzählt: „Da kamen die

Hirsche und Wildprät. in großer Menge und völligen Lauf über den Rest des Berges herunter, über die Brücken hinabgesprengt, und stürzten sich in die March und stellten sich auf diese Weise bald zu Wasser, bald zu Land, dem Auge des Zuschauers vor.“ Das Schießen jedoch verbot Maria Theresia! Die Kaiserin, „Dero mitleidiges Herz nicht einmal, daß einem Thier wehe geschähe, Zusehen kan“, schenkte den Tieren die Freiheit.

Wie die Mode der Krinolinen und Korsette die Körperformen verdeckte, so wollte die Gesellschaft des Spätbarocks auch die lebendige Natur nur fein geputzt und zurechtgestutzt genießen. In der Nähe von Schloßhof lag der waldige Park des von Fischer von Erlach erbauten Jagdschlößchens Niederweiden. Auch dieser „ansehnliche Wald-garten“ war durch „Alleen, welche mit Spallieren besetzet seynd. fast wie ein Irrgarten, durchschnitten, auch sonst das ganze Wäldel mit allerhand Gabineten von Bäumen, und Waasen garnieret“. Inmitten dieses „natürlichen“ Labyrinths versteckte sich ein Heckentheater, zweiundzwanzig Klafter lang und zwölf Klafter breit, dessen Wände und Kulissen aus buchenen Spalieren bestanden.

Auf diesem Schauplatz sangen die berühmtesten Sängerinnen der Wiener Oper, begleitet vom Privatorchester des Prinzen unter Glucks Leitung, eine italienische Huldigungsmusik. Deren Chor hatte man den Dorfbewohnern einstudiert, dre nun rings auf den Bäumen saßen und „in welscher Sprache so klar und deutlich, als geborene Italiäner“ sangen, „wobey dann sonderlich der Eifer, mit welchem auch die kleinste Kinder von

7. und 8. Jahren sothane Expressionen. mit vollem Halse heraus schrien, über alle massen zärtlich anzusehen, und allen Umstehenden das Herz recht gerühret war“.

Ohne Opernaufführungen wäre ein Barockfest unvollkommen gewesen, und deshalb hatte Prinz Friedrich auf der Südterrasse seines Schlosses ein kleines Theater errichten lassen, das die Größe einer Hofbühne wenigstens durch Perspektivkünste vorzutäuschen versuchte: von einer gemalten Galerie schauten gemalte, als italienische Typen verkleidete Gäste dem Spiele zu.

Der weltberühmte Metastasio hatte für Schloßhof außer jener Serenade zwei Opern geschrieben, die beide noch später vor weniger illustren Gästen wiederholt Wurden: „L’isola disabitata“, komponiert von Bonno, und „Le Cinesi“, mit der damals noch nicht reformierenden Musik des Christoph Willibald Gluck. Letztere erregte wegen ihrer eigenartigen transparenten Dekoration Aufsehen: Hunderte bunter Glasprismen schillerten im Lichte der Wachskerzen in allen Regenbogenfarben, was dem Kaiser so gefiel, daß er die Oper samt der Dekoration vom Wiener Burgtheater übernehmen und zu seinem und der Wiener Vergnügen noch oft wiederholen ließ. Dem Chevalier Gluck dankte der Kaiser mit einer dukatenschweren T abaksdose.

Am vierten Festtage begab sich der Hof in das nahe Dorf Groissenbrunn, auf dessen schon von Prinz Eugen ausgemauertem Weiher ein Spektakel veranstaltet wurde, das die Naumachien prunkfreudiger Barock- fürsten mit dem Ulk des eben erfundenen Zirkus und den Grausamkeiten der Tierhetztheater verband. Mitten im Weiher standen auf hohen Postamenten lebende Bären, Uhus, Schweine und Geißböcke in den Masken der Commedia dell’arte. Um diese Pos’tamente vollführten Bauern im Kostüm von Rittern und Gondolieren eine Schiffsquadrille, ein „Wasserkaroussel“, das sich zu einem paro- distischen Wasserturnier, einer komischen. „Naumarchie“, entwickelte. Die „Ritter“ beschossen sich freilich nicht mit Speeren, sondern begossen sich mit Keulen, die eigentlich Wasserspritzen waren. Die Postamente, Käfige für zahllose Gänse und Enten, öffneten sich. Zu dem wilden Lärm der Tiere, dem Gelächter der dreitausend Zuschauer auf den Tribünen ringsum, intonierten zwei Orchester eine „infernale Harmonie“, derer sich der Ohrenzeuge Dittersdorf in seinen Memoiren noch lebhaft erinnert.

Doch plötzlich wandelte sich das zwerchfellerschütternde Inferno in ein schäferliches Paradies: Vom Ende des Teiches schwamm eine Insel auf die Herrschaftstribüne zu, auf der ein Garten mit Gärtnern — einer davon war der junge Dittersdorf —, Orangenbäumchen, ein Teich mit lebenden Fischen und einem Delphinbrunnen und der Musenberg Parnaß sich befanden. „Oben auf der Spitze dieses Felsens präsentirte sich Clementia- und Justitia, als das Symbolum unserer Allergnädigsten Monarchin in colossaler Größe“, schreibt das amtliche „Wienerische Diarium“. Die schwimmende Insel legte bei der Tribüne an, daraufhin „tratten 5 Gärtner aus der Orangerie hervor, und luden die Allerhöchste Herrschafften ein, ihren so künstlich angelegten Garten mit Dero hohen Gegensvart zu begnadigen“. Die Kinder- durften fischen, die Damen und Herren des Hofes wurden mit Gefrorenem und Kanditen bedient. In voller Harmonie ging das ereignisreiche Fest zu Ende.

Am anderen Morgen statteten die Monarchen ihrem Volke auf dessen Weise ihren Dank ab: Die Bauern hatten zu Dittersdorfs Dudelsacktänzen im Hof des Schlosses huldigend die kaiserlichen Initialen formiert und ihnen in „bacchantischem“ Festzuge einen Wagen mit den Landesprodukten, wie Wild,

Wein, Korn und Schinken, vorgeführt. Nun schenkte das Herrscherpaar dem Volk einen geschmückten Bullen und gab ihm den nahrhaft beladenen Wagen zur Plünderung frei, was den Zuschauern gleich noch einen Hauptspaß abgab.

In den späteren Phasen seiner Geschichte bot das kaiserliche Lustschloß ein weniger kulturdurchtränktes Bild: In der Mitte des vorigen Jahrhunderts marschierten die Rekruten der k. u. k. Kavallerieschule in den Hof ein. In der Wagenremise, v, 3 der Prin zipal Piloti im Jahre 1751 Pergolesis „La serva padrone“ aufgeführt hatte, machte sich der Troß breit. Hundert Jahre lang beherrschten Uniformen das Schloß.

Nun kann man es wieder besichtigen, doch der Eindruck — ist traurig. Zwar hat man die Kapelle für den Gottesdienst herrichten lassen, zw’ar schützt ein ausgeflicktes Dach vor den schlimmsten Unwetterschäden, doch für eine grundlegende Renovation, für einen Aufbau zu praktischer Verwendung des Baues fehlen die Mittel..

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