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Thomas Lang erzählt einen archaischen Vater-Sohn-Konflikt.

Thomas Langs neuer Roman "Am Seil" überrascht zunächst mit zwei Eckpunkten, deren Positionierung die denkbar diametralste ist. Der Gebrauch von Comicheftchenwörtern, denen keine stilistische Funktion zukommt, woran auch die Kursivschreibung nichts ändert, bis zum Überdruss, erstaunt mehr als er erheitert oder entspannt: Blubb, Flapp, Huoo, Klack, Klick, Krrrrmmppfft, Kscht, kscht, platsch, Schluck, Schlurfschlurf, Sssst, Tock, Uaaaooa, Wumms, Zack. Die vor einem Jahr verstorbene Übersetzerin der Disney-Comics, Erika Fuchs, hätte ungeschaut ihre Freude mit diesem Schriftsteller. Es wummst und zackt nur so, bis man dann gegen Ende des Buchs auf eine philosophische Definition stößt, die präziser und eindringlicher nicht sein könnte, wenn über die Abtreibung konstatiert wird: "Unheimliche Macht der Frauen über Leben und Tod."

Dominanter Vater

Dazwischen spielen sich zwei Männerschicksale ab. Vater und Sohn treten in eine - aus der Literatur höchst bekannte - Beziehung oder Konstellation. Die dominante Figur ist naturgemäß der Vater. (Wie viele unterdrückte Söhne haben später ewig zur Feder, in die Tasten einer Kugelkopfschreibmaschine oder des Keyboards eines Personalcomputers gegriffen. Wir wissen es, von Franz K. auf-oder vielmehr abwärts.)

Hier haben die Verwandten ähnliche Vornamen und kommt dem Senior das Privileg des Alphabets zu. Vater Bert und Sohn Gert haben unterschiedliche Schicksale mit vielen Parallelen. Bert und Gert sind im eigentlichen sprachlose Figuren, deren Bindung sich nur im Negativen äußert. Frauen spielen eine Rolle, aber durch ihre auffallende Abwesenheit. Marlene und Felicitas, die jeweiligen gewesenen Partnerinnen, werden erwähnt, tauchen aber nie auf.

Der Vater, ein pensionierter und geschiedener Lehrer (!), lebt, verliebt in seine Pflegerin, und gehunfähig in einem Seniorenwohnheim. Am Tag ihrer Kündigung kommt überraschend der Sohn zu Besuch. Ein ehemaliger Fernsehmoderator, der vor einem Unfall und einer Grapschaffäre schon bessere Zeiten erlebt hat. Nun hat seine Karriere wegen des Übergriffs auf eine Assistentin gleichsam den Rückwärtsgang eingelegt. Der Erfolg reversiert sozusagen.

Vater und Sohn, einander fremd geworden, fahren zum Hof, auf dem sie früher gelebt haben. Das Blatt wendet sich. Aus dem lebenslangen Machtkampf wird prekäre Nähe. Thomas Lang gelingt an diesem spannenden Punkt eine durchaus überraschende Lösung. (Das Ergebnis sei "Am Seil" nachgelesen.)

Thomas Lang hat für das Schlusskapitel den Ingeborg Bachmann-Preis 2005 gewonnen. Als er den Text in Klagenfurt gelesen hat, hieß Gert noch Felix. Wie schon in Kärnten nach dem Vortrag von ein paar Seiten gesagt wurde, kann man auch jetzt festhalten, dass Langs Text in seinem Ablauf und seiner Entwicklung immer enger wird. Es gelingt ihm, eine solche Spannung aufzubauen, dass man es kaum erwartet, mit der Lösung konfrontiert zu werden. Der Leser ist geradezu auf der Lauer. Etwas oder es - könnte jeden Moment passieren ...

Eng und dicht

Neben der immer größeren Enge und Dichte überzeugt noch die Transparenz des Romans, ein fast gläsernes Buch ... Eine Prosa, bei der man stellenweise befürchtet, sie könnte - im positiven Sinn - zerbrechen. Thomas Langs Roman ist einer jener (weitgehend) perfekten Texte, die heute eher selten geschrieben werden. Konsequent gezeichnet und nachvollziehbar erdacht. Einerseits. Andererseits in keiner Hinsicht spektakulär oder reißerisch, weshalb man durchaus von einer bewussten Ästhetik sprechen könnte, obwohl das Männerduell an sich nichts Schönes hergibt. Das Schöne entsteht durch die angenehm genaue Sprache.

In dem einen oder anderen Jahr hat man sich über eine Klagenfurter Entscheidung doch ein bisschen gewundert, weil auch belletristischer Schrott bepreist wurde. Thomas Lang wiederum sichert mit seinem "Seil" ab, dass mit dem Ingeborg Bachmann-Preis Könnerinnen und Könner ihrer Profession ausgezeichnet werden. Meisterinnen und Meister wie Gert Jonke, Jürg Amann, Erica Pedretti, Hermann Burger und zuletzt eben Thomas Lang.

Am Seil

Roman von Thomas Lang

Verlag C. H. Beck, München 2006

173 Seiten, geb., e 17,40

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