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Das Matriarchat der heutigen Baukunst

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Die Alten wußten wohl um den Ursprung der Künste, wenn sie die Baukunst als deren Mutter bezeichneten. War sie damals bereits weiblich, so ist sie nunmehr fast weibisch, launenhaft und modisch geworden. Mit der Vorherrschaft der Frauen und vielen westlichen gesellschaftlichen Bezirken tritt sie nunmehr mit deutlich femininen Zügen in Erscheinung. Und es könnte sehr wohl sein, daß das Gelöste, Praktische und Unterhaltende, welches man am gleichzeitigen Schreibstil der Frauen bemerkt, sich auch in der Architektur weiter verstärkt. Nur dort, wo die Männer ihren finsteren Prätext zu verteidigen wissen, gibt es den starren und starrköpfigen Stil, der — angeblich — Weltanschauung enthält. Soll man es beklagen?

Die weiblicher gewordene Kunstmutter ist — stärkster Wandel seit 1945 — antipathetisch. Sie zielt auf den Tag und niemals auf die Ewigkeit. Wie die Frau selbst, mit rollenden Augen und dunkel vibrierender Stimme, die Ahnen beschwörend oder gar das Schicksal, wie sie „h e 1 d i s c h“ einfach nicht vorstellbar ist, so kann auch die von ihr beeinflußte oder von ihr bereitete Baukunst nicht mussolinisch sein. Die Kühnheit oder die Tapferkeit braucht darob der Frau nicht zu mangeln. Delacroix sah ihr Wesen sehr richtig, wenn er die Vollbusige die Barrikade stürmen und den — etwas muffigen — Musketenmann mit sich reißen läßt. Aber das Ausgerichtetsein, den Drill, der zur pathetischen Baukunst gehört, kann sie nicht leisten. Ihrer Art entspricht es nicht, daß sie als Maske eines Zweckes das Pathos sich vorbindet. Die Liebenswürdigkeit, die überraschende Unlogik, scheint ihr tauglicher. Das Pathos enthält Gewalt.

Die Frau, welche entwirft, will dies mit Laune tun: Symmetrie und Achse ist ihr nicht wichtig. Sie macht aus Häusern, Möbeln, Gewächsen kleine Gruppen, zerteilt den Baukörper, stellt ihn schief an die Möbel. Den Teppich legt sie verquer. Sie will das Nette und nicht das Strenge. Hätte es zu Schinkels Zeiten Architektinnen gegeben, so hätten sie die nicht nur aufrichtende, sondern auch beklemmende Suggestion der „edlen Einfalt nicht so oft als die Männer nachgesprochen. Wohl hätten sie die Säulenordnung als Schnittmuster genützt. Bald aber hätten sie die „stille Größe“ des Dorischen schmachtend in die Länge gezogen, so wie es die Alexandriner auf fragile Weise übten. Vielleicht auch hätten sie aus den Säulen lustige bauchige Zwerge gemacht, wie es ebenfalls in Spätzeiten vorkommt. Und nur den männlichen Frauen, die im Schreib- wie Kleiderstil gleich Frau von Stael dahersegelten — und den männlichen Männern ein Greuel waren —, wäre die Klassik als ein tragendes Korsett willkommen gewesen. Der echten Frau, Frau von Recamier etwa, war die Klassik ein Kleid.

Mit den Heldendenkmälern haben wir Männer, wir geborenen Multiplizierer, unsere Art blamabel übersteigert. Es kam folgerichtig die weibliche Baukunst zum Zuge, deren primäre Geschlechtsmerkmale die unlogische Schiefe, die Schlängelkurve, Spiegel und Spiegelung, auch ein gut Teil Spiegelfechterei, Glanzlicht und Oberflächenkosmetik sind. Den lieben Kindern Floras ist selbstverständlich eine wichtige Rolle zugewiesen. Sie sagen es mit Blumen, und die mißratene Proportion' decken sie mit zartem Gerank, mit Frühlings- und mit Herbstkoloristik zu. Der Mann, dem das Skelett der Fassade zu plump geriet, ist todunglücklich. Die Frau wirft ein Plissee über den Knochenbau oder eine gläserne Oberweite. Das für die Frau geschaffene Rüstzeug des Make-up läßt sich für die weibliche Baukunst mit hübschenParallelen erweisen. Und so mag man noch — wie in der Kleidermode — den verwegenen Einfall, die übertriebene Schlankheit der Glieder durch selbstbefohlene Askese, das Raffinement des Schnittes, überhaupt das formal Schnellebige, Huschende als Charakteristika der weiblich betonten Baukunst begreifen. Man mag sie im allgemeinen Aufbegehren gegen den bocksteifen Ernst der Männer sogar reizvoll finden. Und braucht trotzdem nicht zu fürchten, das Antlitz der Stadt werde auf die Dauer nach den Hausmodeblättern der Saison geformt. Das Matriarchat der heutigen Baukunst bedeutet nur die Pendelgegenschwingung zur Tausendjäh r i g k e i t. Die Einfälle, in denen die heutige Baukunst sich den Frauen zu Gefallen ergeht, sind allzu spritzig, als daß sie dauern. Sie wollen das auch nicht. Ihr Sinn steht nach visueller Begehrlichkeit, die man kaleidoskopisch ändert. Sie erstreben nicht die architektonische „Tracht“, sondern die täglich „neue Form“. Die Pariser Kinos sind aus Lichteffekten, Draht und Pappendeckel gemacht, so daß man sie vielleicht schon im nächsten Herbst ändert. Es gibt eine Menge heutiger Aufgaben, die modisch zu betonen sind. Die anderen Häuser aber, die nicht Läden, Messestände, Tankstellen sind, stoßen mit Goethes: „Fehler darf man schreiben, aber nicht bauen“ zusammen. Dies ist ein sehr gewichtiges Wort, welches das Wissen um die relative Unveränderlichkeit der sozialen Form und deshalb auch ihres Kleides, des Hauses, enthält. Das Bau- geschäft aber sucht selbstverständlich den Umsatz mit neuformigen Entwürfen. Aber in dem und jenem Bezirk muckt man bereits auf gegen die umsatzsteigernden Schlagworte, die den Fabrikanten „des Materials der Zeit“ zugute kommen und die Verwilderung des Stadtbildes bewirken. Das „Volk“ ist überhaupt nicht schnell beweglich. Heute revoltiert außerdem bereits ein beträchtlicher Teil der Gebildeten gegen die allzu reizvolle Akrobatik.

Beim Durchblättern der wunderbaren amerikanischen Architekturzeitschriften, in denen alles, was bildende Phantasie erfand, zum Verkaufsschlager gemacht wird, überkommt einen oft das Gefühl des Ausgehöhltseins, wie man es im Variete empfindet, im Ausstattungsfilm, im Lustspiel — überall dort, wo alle Augenblicke eine Witzpointe abgeschossen wird. Auf die Dauer ist Ernst und Treue, selbst wenn sie ein wenig dumm sind oder ledern, haltbarer als die blitzgescheite Kaprice. (Natürlich nicht für die Journale, die von der Sensation leben.) Der österreichische Aristokrat läßt die Räume seines Schlosses — falls er eines hat«— in einem Ton anstreichen. Der Bürger aber macht das Schlafzimmer blau und das Speisezimmer rot mit Seidenglanz. In der Mode ist zu Grunde auch das Gewöhnliche enthalten — die Sucht aufzufallen, die Eitelkeit. Dies mag man erkennen und trotzdem zugeben, daß in ihr oft mehr Formen- und Farbenphantasie steckt, wie im gemalten und gemeißelten Monument. Das Kriterium für die Dauer oder die Würde der Form ist das „Einfältigsein“. Die Mode aber ist zweckhäft. Die Frau ist zweckhäft. Das Wandelbare ist zweckhäft. Das Zweckhafte ist nicht „ewig“. Aus dem Vorrang der moralischen Qualität scheint zu folgen, daß die allergrößte modische Begabung nicht die Einfalt des Stiles hervorzubringen vermag. Deshalb kassieren die architektonischen Virtuosen zwar den Tagesvorteil ein, aber sie überleben sich so rasch, daß sie ihre früheren Arbeiten selbst verleugnen. Die eigentlichen „Beweger“, Loos oder Tessenow, waren naiv, zeichnerisch fast ungeschickt und jedem Blendwerk abhold.

Eigentlich mündet hier bereits das Thema in die tiefe Dunkelheit, die jedem zweipoligen Geschehen eigen ist. Selbstverständlich ist die Kunst sowohl weiblich wie männlich. Selbstverständlich hat das Einfallsreiche, Elegante, Weibliche seine wichtige Funktion gegenüber den ernsthaften, stumpferen Männerstilen. Diese, nach derber Diktatur strebend, mußten wegen Lieblosigkeit untergehen, und ihnen gegenüber ist die Glasmode, die Plastikmode, die Mode der Schiefen zumindest ein Versuch, die Oedigkeit zu bannen. Das eine steht dumpf und stumm, das andere ist kurzatmig. Das eine versucht die Raddrehung zu arretieren oder zu verlangsamen, das andere sie übers Maß zu beschleunigen. Der tiefste Konflikt ist auch hier ein gradueller: Man kann sich über die Geschwindigkeit nicht einigen.

Die Mode findet nichts dabei, edle Pelztiere zu züchten, zu töten und Mantelkragen aus den Fellen zu fertigen. Sie wirft die Unsumme menschlichen Fleißes, die im Auto, in den Möbeln, den Kleidern steckt, bedenkenlos auf den Abfallhaufen. Wenn die mondäne Frau könnte, so würde sie die neuartig verwegenen Beleuchtungskörper in dem Augenblick durch Stilluster ersetzen, als sie jene bei der Freundin sieht. Die Form als Ausdruck eigenen Charakters ist ihr unverständlich. Der ruhelose Motor läuft bereits zu schnell. Die Tapetenindustrie zum Beispiel leistet bereits Widerstand. Nur alle zwei Jahre wird sie die Kollektion erneuern. Der Möbelstoffabrikant, der gleich der Frau das Auftrumpfen der Neuigkeit mitmacht, verzehrt seinen Fundus an Ideen und Können. Bereits ist die Grenze sichtbar, die dem urweiblichen Verlangen nach Erneuerung gesetzt ist. Nichts ist aufschlußreicher als die Kritik der zerrissenen Stadtbilder. Man erkennt die Notwendigkeit, von der Mode in die Sitte umzulenken.

Und so mag man resümieren: Die Aristokratie hat nie und nirgends den sinnlosen Rummel mitgemacht. Audi damals nicht, als sie es noch konnte. Der niedere Stand hatte nicht die Mittel, das Modische zu betreiben. Die Mehrzahl der Menschen trägt also noch heute Häuser, Möbel, Kleider aus. Das Modische ist auf einen engen Kreis beschränkt und macht sich wichtig. Es ist leider stark genug, das „Einspielen“ der Gestaltungsmotive, die Uebereinkunft, den Stil zu hindern. Was nicht Zeit hat, kann nicht Charakter werden. Insofern ist die übersteigerte Verwandlung, die aus der Weibliih- keit der Künste entspringt, zu beklagen. Es wäre nicht so mächtig geworden, wenn die doktrinären Männer — und zwar sowohl die mit dem neurömischen Pathos als auch die alle Liebenswürdigkeit wegsäbelnden Puristen — der Baukunst nicht die Sinnlichkeit genommen hätten.

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