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Das neue Haus — und was nun?

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Habemus arenam“ — „Wir haben eine neue Spielfläche“, eine großartige Spielfläche sogar, wie wir ohne Erröten gestehen dürfen, eine Spielfläche, die das Bisherige, das alte Haus und die Felsenreitschule mit einer Fülle von Neben-räumen, Werkstätten, Proberäumen, Magazinen und so weiter, erst zu einem „Festspielbezirk“ von imponierenden Dimensionen zusammenschließt, eine Bühne, wahrscheinlich die größte, modernste Bühne, überwältigend ausgestattet mit den neuesten technischen Hilfsmitteln, was Maschinerie, Beleuchtung und akustische Zaur berei anlangt — hier stock' ich schon, mich an die erste, ohne Beiziehung und Rat der Fest Spielleitung und ihrer führenden Künstler, somit ohne deren Verantwortung vom Handelsministerium und dem Bauausschuß veranstaltete offizielle Presseführung durch das neue Haus erinnernd:

Als die mit Omnibussen herangeholte sachkundige Menge den weiten Theaterraum betrat, spielte dort nicht etwa ein kleines Orchester ein Stück von Mozart, um dem verehrlichen Publikum das Angebinde Gottes für diesen Raum, seine wunderbare natürliche Akustik eindringlich zu demonstrieren — ein Streichquartett hätte genügt, das zarteste musikalische Detail bis zum entferntesten Sitzplatz mit voller Deutlichkeit und Anmut emporzutragen —, nein, allsogleich mußten „son et lumiere“ ihr heute schier unabweisliches Recht beweisen: zu den faszinierenden Evolutionen farbigen Lichts über den Flächen traten, wie immer übersteuert, die soundso vielen Lautsprecher in Aktion, um nach einigen musikalischen Takten den staunenden Zuhörern die akustisch transformierten Effekte eines tüchtigen Breitwandkinos vorzuführen, einen Eisenbahnzug, der mit aufreizender Deutlichkeit das Haus umrundete, die Auffahrt der Feuerwehr u. dgl. Außer ein paar notwendigen Menschenworten nichts von dem auch nur angedeutet, was sich späterhin in diesem Raum künstlerisch zu begeben hätte. Ein Teilnehmer, der mich nachher aufsuchte, fragte mich besorgt, ob wir denn die Absicht hätten, jenen Eisenbahnzug in einer Oper von Mozart oder Gluck — etwa bei Orfeos Ankunft im Inferno — oder in einem Oratorium von Händel zu verwenden. Und ein ausländischer Journalist, der mit echter Bewunderung über die technische Leistungsfähigkeit des neuen Hauses schrieb, konnte am Schluß seines Referates die bange Bemerkung doch nicht unterdrücken, daß er infolge eben jener technischen Vollkommenheit Angst für Salzburg und die Zukunft seiner Festspiele empfinde.

Ich glaube, er hat recht: Wir dürfen uns von der so hilfsbereiten Technik nicht überwältigen lassen. Solange sie uns dienstbar bleibt, können wir Wunder schaffen mit ihrer Unterstützung. Was aber, wenn... ? Ich weiß, daß gerade die echten, großen Bühnenleute alle, wie es Max Reinhardt war, im kindlich buchstäblichen Sinn spielende Unschuld sind: „homines ludentes“ — man verzeihe mir den falschen Superlativ! —, „homines ludentissimi“, besessene Spieler. Die Naturwissenschaft habe der Menschheit als Wohltat und Fluch die Technik geschenkt, meinte kürzlich Karl Jaspers bei der großen Basler Universitätsfeier. Sie führt den ins Bodenlose, der sich von ihr überwältigen läßt. Wie nun, wenn sie mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten den auf der Salzburger Walstatt Waltenden durch schlechthin satanische Bereitwilligkeit dahinbringt, im verschwenderischen Spiel mit „Prospekten und Maschinen“, mit dem „groß' und kleinen Himmelslicht“ und mit den „Sternen“ das völlig zu vergessen, worauf es an dieser Stätte in Wahrheit ankommt: die schlichte, ehrliche Tiefe festspielmäßigen Geschehens, die demütige Darstellung seiner inneren Sinnhaftigkeit.

Das ist ganz einfach, gar nicht pathetisch gemeint, auch nicht kritisch, da ja noch nichts geschehen ist, nur warnend und vorbeugend. Besinnung ist es also, was wir angesichts der uns zur Verfügung stehenden Fülle üben müssen, Besinnung auf das, was wir spielen und w i e wir es spielen, Bewußtheit dessen, was die Salzburger Festspiele ihrer Gewordenheit, ihrer kulturellen Bestimmung nach, vielleicht als die ersten, die verantwortungsvollsten in der rasch gewachsenen Menge der anderen, sind, was sie der geistigen Welt zu sein haben.

Hier ist nicht der Ort, über Einzelheiten des vieldiskutierten Programms zu sprechen. Hier sind lediglich seine Wichtigkeit und die Verantwortlichkeit der Planenden angesichts des neuen Hauses und des Festspielbezirks festzustellen, dazu die Gefahr, die Salzburgs, mehr noch, die Österreichs europäischer Sendung durch überbordende Technisierung und durch jede Form geschäftlichen Managertums droht. Augenblickliche Hochkonjunkturen, der Zulauf des Publikums sind keine Beweise für Echtheit und Güte des Gebotenen noch für dessen Bestand. Jeden Augenblick kann solch eine trügefrische Hausse zu Ende sein, wenn Salzburg in (allmählicher Angleichung an ein zu ephemerer Vollkommenheit technisiertes Allerweltspro-gramm, wie man es schließlich überall gegen gutes Geld erleben kann, sein Gesicht, seine Seele preisgäbe. Weder die großartige Bühne noch die endlich erreichte Geschlossenheit des Festspielbezirks, die etwas vom delphischen Weiheland, dem „hagi'on temenos“, an sich hat, geben irgendwelche Garantien, wenn die Verantwortlichen, sich gegen Inhalt und Sinn versündigend, einen unheiligen Hain modischer Attraktionen daraus machen wollten.

Das alte Haus hat einen nicht wesentlich geringeren Fassungsraum als das neue. Seine Sicht- und Hörverhältnisse dagegen sind weniger vollkommen. So bleibt es dem neuen Haus gegenüber durch eine gewisse Parallelität der Aufführungsmöglichkeiten im Nachteil. Was im Festspielbezirk jedoch noch fehlt, ist ein kleineres Haus für die Spieloper, für das intimere Schauspiel und die klassische Komödie. So darf man daran denken, bei guter Gelegenheit durch Verkürzung des allzu langen Zuschauerraums und durch Einbau von drei Geschössen mit Logen der Bühne gegenüber Sicht und Akustik radikal zu verbessern sowie bei einem solchen, nicht zu kostspieligen Umbau aus der gegenwärtigen Kinoorgie aus Gips, Gold und rotem Sammet von Anno 1939 wieder einen anheimelnden Innenraum mit aller Rücksichtnahme auf dessen theatralische Aufgabe zu schaffen. Der teuerste Teil des Theaters, die Bühne, ist ja schon in gutem Zustand vorhanden.

Dann wäre — mit der offenen Felsenreitschule als dritter Spielfläche — alles zur Stelle, was den Zusammenschluß dieser einzigartigen Möglichkeiten zu einem in der Kulturwelt nirgends sonst in ähnlicher Bedeutsamkeit bestehenden theatralischen Bezirk verwirklicht, wie ihn die Gründer des Salzburger Festspielgedankens kaum zu träumen gewagt haben.

Damit wäre eine unsagbar reiche Fülle künstlerischer Aufgaben für die Zukunft gegeben. Voraussetzung bleibt freilich, daß die „innere Planung“ voll und ganz der Größe jenes durch eine beispielhafte bauliche Leistung von vier Jahrzehnten errungenen idealen Gesamtraums und der bisher darin geleisteten künstlerischen Arbeit entspricht, um gemeinsam festlicher Ausdruck zu werden der unzerstörbaren Vitalität und Größe österreichischen Kulturwillens.

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