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Das neue Wort

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„Wir müssen hinein in diese Zeit, in diese Stadt! Der Herr hat uns zu Menschenfischern gemacht. Aber nicht für seine wohlbehüteten Fischteiche, sondern für das weite, wilde Meer der modernen Großstadt.“ So schloß das Referat über „Neue Formen der Wortverkündigung“ auf der letzten Tagung des Osterreichischen Seelsorgeinstituts, an der gegen 300 Priester aus ganz Österreich sowie Gäste aus Südtirol und der Schweiz teilnahmen.

„Es geht noch immer bergab, vom Glauben weg. Unser Bauernvolk steht jetzt in der großen-Krise: wird es ganz in den Materialismus versinken oder wird es sich aus seinem veralteten Brauchchristentum zu einem bewußten christlichen Glaubensleben durchringen?“ So kennzeichnete der Leiter des Aussprachekreises „Die Predigt im Dorf“ die gegenwärtige seelsorgliche Situation auf dem Lande. Da sich am 26. Dezember 1951 der Geburtstag Clemens Maria Hofbauers, des nachhaltigen Predigers von Warschau und Wien, zum 200. Male jährt, hatte man als Tagungsthema die geistige Erarbeitung der von diesem Heiligen erkannten unabdingbaren Notwendigkeit gewählt, das Evangelium sei hier und heute völlig neu zu predigen.

Wenn Clemens Hofbauer zu seiner Zeit vor Ruinen stand, so sieht die heutige Seelsorge sich den in ihren Tiefen geborstenen Grundfesten, wenn nicht gar dem reinen Nichts gegenüber. Denn die Atomisierung des Geistigen ist in vollem Gange. Das Zeichen der Zeit ist die Leere, die Jean Paul Sartre zu deren seltsamem Vergnügen stets in neuen Varianten besingt, die tödliche Langeweile, das Des-interessement an der Wahrheit und Schönheit. Die Kakophonie erscheint ihr als der ihr adäquate Ausdruck. Bernanos, Graham Greene, von einem Großteil unserer Frommen zumindest nicht verstanden, wenn nicht abgelehnt, und einige wenige andere Dichter noch reden die Sprache des leeren, gehetzten, gequälten Menschen der Tage, der sich weder selbst versteht noch recht ernst nimmt und doch vom anderen verstanden und ernst genommen sein will.

Mit diesem Menschen von heute gilt es, ins Gespräch zu kommen. Dabei ist die überkommene Predigtweise weithin zu einem Selbstgespräch des Priesters geworden. Erklärbar aus vielen Gründen. Dem die Wahrheit des Gotteswortes selbst einleuchtete, der meint leicht, sie müsse auch dem andern evident erscheinen. Indes ist der andere oft so ganz anders! Das Gespräch aber muß in Gang gebracht werden.

Die Tagung zeichnete den Weg dahin mit logischer Exaktheit und psychologischem Einfühlungsvermögen. Erste Voraussetzung: die Aufrichtigkeit dessen, der das Gespräch sucht und aus eben diesem Grunde, den andern für aufrichtig hält. Weiter: rechtes Verständnis für den Gesprächspartner, da nur der sich tiefer in das Gespräch einlassen wird, der sich verstanden und nicht mißdeutet fühlt. Ferner: absolute Gerechtigkeit für den Gegner, der gewonnen, nicht in erster Linie widerlegt werden soll. Dann: die eigene Ergriffenheit des Sprechenden. (Das „Territus terreo“ des Kirchenvaters Augustinus.) Vielleicht ein wenig der Demut, die Clemens Hofbauer meinte, wenn er auf seine Knie zeigte. Die Haltung der Verantwortlichkeit und der Redlichkeit den Menschen und den Tatsachen gegenüber.

Die Tatsachen freilich findet der Landseelsorger leichter als der Priester in der Stadt, da hier allzusehr der Widerhall fehlt, den der Landpfarrer nach einer kernigen Predigt vielleicht gleich am selben Tag vom Streitgespräch oder der ätzenden Kritik sogar vom Wirtshauses* her noch vernimmt. Auf dem Land geht der Priester durch sein Dorf, er horcht den Schlagworten der Zeit beim Geplauder am Leichenmal nach, er spricht in der Pfarrkanzlei ein übriges Wort und holt damit auch den andern aus der Reserve.

Aber in der Stadt! Und doch muß auch hier dieser Kontakt gefunden werden.

So hat ein bekannter, seiner Eloquenz und Tiefgründigkeit wegen gleichermaßen geschätzter Prediger der Großstadt manche seiner Predigten mit einem Kreis wacher Laien richtig „erarbeitet“. Damit war die Predigt von der Entstehung bis zu ihrer Darbietung wirkliches Gespräch, das verstanden wurde, weil es den andern zu verstehen sich mühte.

Einer der Referenten berichtete aus seiner Praxis. Auch er ist Großstadtpfarrer. Nicht so im Zentrum wie jener, deshalb mag ihn die Verlorenheit des Priesters in dieser Zeit noch unmittelbarerer angefaßt haben. Er teilte seine (zahlenmäßig!) große Pfarre, wie sie selbst nach den vielen Pfarrteilungen dem verantwortlichen Seelsorger sich darstellt in S p r e n g e 1 zu je 300 Seelen. Ein Laie ist hier — urchristlich der Idee, modern den Mitteln nach — als sein Diakon tätig: im Dienst am Wort und an der Liebe. Er lädt die Menschen seines Sprengeis- in eine geeignete Wohnung, er fragt sie, wo sie der Schuh drückt (materiell und geistig) und bringt dann den Priester und sein Volk zu einer Aussprache zusammen. Gut zwei Drittel der Pfarrchristen müsse man zu den Fernstehenden rechnen, erklärt der betreffende Pfarrer, der „nüchtern und illusionslos“ die ihm Anvertrauten kennengelernt hat. Und er fordert: „Es müßte ein ganzes System der Seelsorge für solche Menschen ausgedacht und ausprobiert werden.“ Denn: „Die Irrlehrer wurden von uns indiziert und exkommuniziert, die Irrlehren anathematisiert, und wir hielten die Angelegenheit damit für erledigt. Aber die Irrlehren bleiben da und treiben unter der Decke in den Christengemeinden ihr unheimliches Unwesen. Man bannt sie, indem man sie anspricht und ausspricht.“

Ein weiterer Versuch dieser Art ist die sogenannte D i a 1 o g p r e d i g t: ein Priester steht, wie ja auch sonst, in Röchet und Stola auf der Kanzel, einer, gewissermaßen als „Privatmann“, unter dem Volk. Und nun kann dieses Volk einmal, was es schon durch Jahrhunderte so gerne täte, dem Prediger auf der Stelle antworten. Gewiß wird diese Art von Predigten nicht die Regel sein, auch nicht von allen richtig gewertet und :— von einzelnen — sogar mißverstanden werden. Denn sie hat ihre eigene Gesetzlichkeit und ihre Gefahren. Jedoch auch ihre eigene Kraft.

Wo aber der Priester einen Schritt weiter tut und — in einem Saal etwa — sich einem Arbeiter, einem Akademiker zu öffentlicher Diskussion stellt, da gibt es, wie die Erfahrung lehrt, nur positive Ergebnisse! Ebenso in der von der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien durchgeführten und weitausholenden Form des religiösen Gesprächs, wie sie unter dem Anruf „Fragen Sie die Kirche!“ nun schon zu einem Begriff geworden ist.

Ein nicht näher diskutierter Vorschlag der Tagung galt der Straßenpredigt, die als eine gewagte wie zu wagende Form des Anrufs an die Masse und den in ihr versteckten Anonymen große Möglichkeiten bietet, aber auch eine großzügige Vorbereitung und Durchführung verlangt.

Das Wort von der notwendig neuen Predigt des Evangeliums, unter das sich die Tagung gestellt hatte, ist uns durch den langjährigen Domprediger von Sankt Stephan, Johann Emanuel Veith, überliefert, der über Clemens Maria Hofbauer berichtet: „Er empfand sehr tief, daß die Neuzeit neuer Formen der Heilspredigt bedürfe. Oft, sehr oft, ja fast täglich, vernahm ich von ihm die feierlich und nachdrücklich ausgesprochenen Worte: ,Das Evangelium muß ganz neu gepredigt werden.' Das ist ein Spruch, zu dem sich ein ganzer Kommentar schreiben ließe.“

Den jüngsten Kommentar schrieb die Weihnachtstagung des österreichischen Seelsorgeinstituts. Der weitere Kommentar bleibt als große Aufgabe im Clemens-Maria-Hofbauer-Jahr als — in der Stadt und auf dem Lande — gleich dringlich zu bewältigen, der Arbeit der Priester und der ihrer Verantwortung bewußten Laien vorbehalten.

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