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Das österreichische

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Stifters als einer literarhistorischen Erscheinung gewertete Bedeutung liegt nicht, wie man, scheinbar nur auf die Werke und den Umriß eines unauffälligen Lebens angewiesen, meinen möchte, in seiner schriftstellerischen Leistung beschlossen — die malerische, gipfelnd in einigen anmutig farbigen Landschaften, ist gegenüber jener zurückgetreten —, sondern in dem gar nicht geringen Kreise, den seine Persönlichkeit mit ihrer Gegenwart und ihrem Widerschein beherrscht. Stifter ist nicht ein großer Schriftsteller, wie Flerder, Schiller und Jean Paul, sondern ein repräsentativer Mensch wie Goethe, wie Hamann, er drückt eine Epoche, mehr: ein für die Kultur einer geschichtlichen Epoche maßgebendes Volkstum aus. Wenn wir Dostojewski nennen oder — in gebührendem künstlerischem Abstand — Ibsen und Hamsun oder Balzac oder Dik- kens, besagen wir mit dem Namen nicht eine Reihe von uns mehr oder weniger geläufigen Werken, aber auch nicht, wie etwa bei den Namen Sterne oder Voltaire oder Jean Paul, daß mir den einheitlichen Eindruck eines schöpferischen Daseins von eigenen Gesetzen und Maßen in uns wachrufen, sondern wir denken in lebhafter Vorstellung an das von jenen eindeutig vertretene Volkstum einer bestimmten uns eben in ihnen und durch sie. sehr nahegebrachten Zeit. Dostojewski ist der gottbegnadete Mund eines geheimnisvoll hinter dem sozusagen üblichen sich unaufhaltsam verbreitenden Russentums, aus Balzac er- schwillt wie aus einer Posaune das auf den Trümmern der napoleonischen Welt sich ins Abenteuer eines vom Alp befreiten Lebens stürzende neue französische Bürgertum, der zur Macht emporstürmende Bourgeois, in Dickens ist ein halbwegs märchenhaftes Alt- England verkörpert, das dem braven Manne von gesichertem Einkommen seine Lebens? fähigkeit bestätigt. So und nicht anders ist Stifters aus seinen schlichten Geschichten gar nicht zu beglaubigende Bedeutung zu ermessen. Er ist der Österreicher an der Wende des Vormärz, der Österreicher, der seine unwahrscheinliche Revolution erlebt und schmerzlich überlebt, ein im neuen grellen Tag Vereinsamter.

Man kennt den Österreicher viel Zuwenig in der sogenannten geistigen Welt. Er ist dem Deutschen, der ihm seit Dezennien die Geschichte der gemeindeutschen Entwicklung schreibt, etwas schlechthin Unfaßliches. (Viel eher haben ihn durch Jahrhunderte alte Berührung andere Völker, die Polen, die Italiener, die Franzosen erkannt.) Denn nicht die gemeinsame Sprache macht ein Volk zur Einheit, sondern gemeinsames Erleben auf angestammtem Boden, und das Erleben der Österreicher war lange vor dem Dreißigjährigen Kriege von dem der Deutschen trotz der Reichseinheit völlig abgesondert. Der Österreicher — so wenig er sich landschaftlich-ethnisch begrenzen läßt wie der Mecklenburger, der Friese, der Rheinländer — ist ein sehr starkes Stück ureigentümliches Volkstum, ja eine Rasse,

wenn man den Begriff nicht ideologisch, sondern als im Blut gegebene Tatsache faßt. Und dieser Österreicher, der schon unter Wallensteins Lagerwimmei sich deutlich abhebt — wenn man nicht gar, und man darf’s geruhig, auf die Zeiten der Babenberger und Walthers mit offenen Augen zurückblicken mag —, dieser unverkennbare, aber so wenig noch in der gewohnten deutschen Geschichtsschreibung erfaßte Österreicher hat seine durch mächtige Kerben gekennzeichnete lebendige Entwicklung. Sein Wesen nährt sich aus vielen Quellen: der Segen seines unseligen Völkerstaates hat es gezeitigt. Der „Ungar“ Lenau oder der Magyare Josef Graf Majläth ist genau so ein Österreicher wie der Pole Bihnski, der Wiener Lueger und die aus dem mährischen Herrengeschlecht der Dubsky stammende Baronin Marie von Ebner; Nestroy, Kürnberger, von Pettenkofen, von Bauernfcld, Max Burckhard, Klimt, von Saär, Ladislaus von Pyrker, Girardi, Bruckner und Franz Schubert haben denselben Nenner. Und so stark ist dieses österreichische!, daß es sogar Fremde mit sich durchdringt: Metternich und Stadion, Gentz und Adam Müller, Klinkowström und Beust, Beethoven und Schwind. Adalbert Stifter, der Sohn des Böhmerwaldes, der Zögling von Krems- münster, der Wiener Hofmeister, der Schulrat in Linz: das ist, anders als der in Weimar naturalisierte Frankfurter Goethe, der als geadelter Geheimrat „im Karlsbad“ steif dem Kaiser und der Kaiserin huldigt, wie er bewundernd wieder vor Napoleon steht, eine in sich unwandelbar geschlossene seelisch-körperliche Einheit, eine Gestalt von unverrückbaren Maßen, Jahresringen gleięh- sam der stetigen Entwicklung zum immanenten Selbst.

Und eben als diese Individualität der Repräsentant. So wie die vollendete Gestalt eines großen Schöpfers in ihrer Einmaligkeit die ewigen Züge der Gattung zeigt und dadurch, nicht als ein Sondergebilde, dauert.

Der Repräsentant muß nicht erst durch einen Schwanz von Prädikaten erklärt werden. Wer etwas bedeutet, besagt mehr von sich, als sein mehr oder weniger belangvolles, auch das künstlerisch noch so belangreiche Dasein enthält. In diesem Sinne steht Stifter neben Goethe. Im Namen Goethe verklärt sich uns ein deutsches Zeitalter zu formelhafter Sinnbildlichkeit: der aus der Aufklärung zu neuer Menschlichkeit geläuterte Sturm und Drang des Genietums. In Stifter aber steht der Geist des sittlichen Maßes und der bürgerlichen Ordnung leibhaftig vor uns da, den Österreich, das vielgeschmähte Österreich, vor seiner Revolutionierung durch den Nationalismus in aller Stille und Einfalt in sich hatte erstarken lassen, nicht ein Geist soldatischen Drills, nicht des höfischen Despotentums, sondern ein Geist gelassener innerer Freiheit, selig in sich ruhender Andacht zum naturhaften Göttlichen. Dieser Österreicher seit den Türkenkriegen seines edeln Ritters — auch er, der französische Savoyarde, ein repräsentativer Österreicher — war ein in schön gegliedertem Schichtenbau, den keineswegs Kasten- und Klassendünkel verseuchte, sich zu mittlerer Lebenshöhe erstreckender Heimat -, nicht Staatsbürger, ein genau an seiner Stelle zur österreichischen Harmonie aufklingender reiner Ton. Wir sehen ihn auf den Familienbildern der Amerling und Daffinger, den gemütlichen Lebensszenen der Waldmüller und Fendi, wir erleben ihn in seinem köstlichen Hausrat, von der Kommode bis zur Kaffeetasse, wir hören ihn in seiner mit Weihe gepflegten Hausmusik, wir empfinden ihn in der sonderlich österreichischen Kirchlichkeit seines niemals geschmacklosen, niemals zelotischen Katholizismus, wir genießen ihn im herzlichen und reizvollen Schrifttum der Seidl, Vogl, Pichler, Raimund. Der von der deutschen Literaturgeschichte im Gefolge der Klassiker mit späten Ehren verzeichnete Grillparzer ist viel mehr sein als der Ausdruck dieses Epigonentums: in seinen Tagebüchern, der klassischen österreichischen Novelle vom „Armen Spielmann", in der altösterreichischen Vasallengesinnung seines Bancbanu ,

im stammverwandten Spaniertum der Traum- und Wahnspiele von Rustan und der Jüdin von Toledo, in der geheimnisvollen Tragik des habsburgischen Bruderzwistes, dort hat man den Grillparzer zu suchen, den der Klassizismus seines goldenen Vlieses Fernerstehenden zur Schablonenfigur verfälscht. Aber mehr als dieser in seinem dilettierenden Ehrgeiz schwankende Selbstquäler, voller gültig als eindeutiger Repräsentant steht neben Mozart, Raimund und den großen Malern Stifter da, der so bescheiden den Dichter abgelehnt hat, in aller Demut nur um so stolzer den Erzieher, den Führer zu bekennen. Das aber und wirksamer eben als der reine dichterische Ausdruck seiner edeln innern Gestalt ist er wahrhaftig gewesen: ein weisheits- und liebevoller Führer der Seele auf dem schmalen Wege zwischen den Abhängen der Einseitigkeiten. Einen Mann des Maßes und der Freiheit hat er sich selbst genannt. Kein anderer als ein Österreicher konnte dieses sichere Wort mit Überzeugung aussprechen. Denn wo war in der damaligen Welt — man denke an das kaum seiner „großen“ Revolution und der Völkergeißel entronnene und schon in Politik und Klassenkampf verkommene Frankreich, an das bleierne Deutschland Friedrich Wilhelms IV., das die Hegelei und die Runge, Wienbarg und Gutzkow neben geeichter Staatstheologie zeitigt, an das England der dereinst von Engels zu enthüllenden Schande seines heuchlerisch die Wehrlosigkeit ausbeutenden Kapitalismus, an das sich im blutigen Düster der Verschwörungen aufreibende Italien —, wo war in der damaligen Welt eine Stätte stetigen, von Gegensätzen nicht zerwühlten bürgerlichen Daseins, wenn nicht in Ö

h, das, ähnlich wie das „finstere Mittelalter“, seinen Schmähern als „Hort des Absolutismus“ zu gelten verdammt war: eine finstere Wolke gehässiger Anschauung, die wie in Tiecks „Elfen“ das Wunderreich den friedlich duftenden Genügsamkeit den Bük- ken der Außenstehenden verhüllte. Dieses Österreich, nicht ein banales Phäaken- und Schlaraffenland, sondern ein sanft von unbefangener Menschlichkeit erglänzendes Gefilde ungestörten Wachstums, atmet aus Stifters tief im Heimatboden verwurzelter, gerade aufragen der, melancholischer Männlichkeit. Dieser ewige Jüngling, das heißt dieser ewig sehnsüchtige Mensch, war ein Mann, ein seine Sehnsucht nicht krankhaft verströmender, sondern zu süßer Frucht zeitigender Überwinder des Lebens. Er hat eine tiefe, hold und verzehrend in ihm währende Liebe begraben, er hat ein weitausschauen- des Wirken verzichtend eingefriedet, er hat' ein Künstlerherz von weltwiderhallendem Gehalt in die stille Kirche seiner Dichtung geweiht als die zum Gottesdienst der Liebe ladende Glocke für alle, die Verlangen tragen nach der Weihe einer nicht zerstreuenden, sondern sammelnden Muße; er hat in jedem Sinne sich, seiner ewigen Freiheit bewußt, ins Maß gefügt, das ihm der unbeirrbar feine und lautere Sinn seines wohlge- bornen Daseins bestimmte. Und so ist er uns, die wir ihn lieben und verehren, mehr als ein großer vaterländischer Schriftsteller, mehr als ein wundersamer Dichter aller Heimlichkeiten der gottseligen Natur und des ihr in Gott verwandten, tiefunschuldigen Menschenherzens: er ist uns unsers unverlierbaren Österreich klarster, innigster Ausdruck, der Repräsentant unsrer versunkenen alten Herrlichkeit.

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