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Das Phänomen Dietmar Grieser

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Dietmar Grieser hat schon wieder ein Buch geschrieben -„Alle Wege führen nach Wien” —, diesmal aber ein etwas anderes als sonst. Keines über Literaturschauplätze oder Dichterwitwen. Nicht auf den Spuren Berühmter wandelt er dieses Mal, sondern auf den eigenen - freilich ist er ja längst selber berühmt. Wie berühmt, erfaßt man erst, wenn man eine seiner öffentlichen Lesungen besucht. Etwa in der Nationalbibliothek, wo er ob des Ansturms in den Prunksaal ausweichen darf, der dann auch ziemlich voll wird. Die Beliebtheit eines Schauspielers drückt sich im Applaus aus, die eines Buchautors in der Auflage, diese aber ist eine Zahl, ein Abstrak-tum. Sie verleiht dem einzelnen Exemplar keine Aura. Die Lesung ist die Stunde der Wahrheit. Wenn da der Büchertisch ratzeputz geleert wird, die Zahl der in einer Stunde signierten Bücher der vollen Auflage der Neuerscheinung eines angesehenen Lyrikers entspricht, dann lernt man etwas über die Geheimnisse der Beziehung zwischen Autor und Lesern.

Und genau die ist auch das Thema dieses jüngsten Buches, das denn auch sein persönlichstes- geworden ist. Er erzählt aus seinem Leben, von seinen Anfängen als literarischer, keineswegs rasender, sondern bedächtiger Reporter, sind doch die, denen er hinterherjagt, längst tot, von seinen Reisen (ein manischer Reisender scheint er wirklich zu sein), diesmal vor allem von seinen Lesereisen.

Wer Grieser nicht kennt, mag eine Selbstbeweihräucherung befürchten. Wer ihn kennt, weiß, daß er, wenn er schon ein bißchen dieser Versuchung erliegt (alles andere wäre ja ein Wunder), es auf eine so subtile, zurückgenommene und stilvolle Weise tun wird, daß es nicht weniger genußvoll zu lesen ist als alles, was er schreibt.

Da ihn so viele Leserinnen und Leser lieben (einst hätte man gesagt: Der Autor hat eine Gemeinde), da er ein so gesuchter Vortragender ist (was nicht nur an seinen Texten liegt, sondern auch an seiner gepflegten, nuancenreichen, ausgefeilten Vortragskunst), kann man von ihm auch eine Menge darüber erfahren, was sich so abspielt, wenn sich ein Autor , auf die Reise macht, um sich seinen. Lesern höchstpersönlich zu stellen: Psychologisches, Menschliches, Allzumenschliches, Anekdotisches, aber auch manch rein Technisches über diese wichtige, direkte Art von Literaturbetrieb.

Wie Grieser seine Reiseerlebnisse schildert, wie er auch viel Biographisches preisgibt, das hat schon eine ganz eigene Art, eben die für ihn typische, die man in diesem Buch studieren und wohl am ehesten als eine Mischung von Sympathie für die Menschen,”denen er begegnet und über die er schreibt, und dezenter Selbstironie charakterisieren kann. Er ist sozusagen ein Mensch, dem das Negative völlig fehlt, ein Liebender ohne das Gegenteil, einer ohne Schärfe und Bitterkeit - oder aber einer, der seine Dunkelheiten perfekt versteckt, seine Schattenseiten kunstvoll tarnt. In hohem Maße typisch für ihn ist in der Schilderung seiner vorjournalistischen Erwerbsarbeit als Hilfsbohrer in einer Landmaschinenfabrik der Satz: „Hier hat der tiefe Respaju seine Wurzel, den ich mein Leben lang für jegliche Tätigkeit empfunden habe, für die ich selber nicht tauge”.

„Alle Wege führen nach Wien” ist ein Buch voll von Begegnungen, ein Buch mit vielen Anekdoten, und, vielleicht sogar vor allem, eine der großen Liebeserklärungen an Wien, die in den letzten Jahrzehnten eher spärlich geworden sind. Dietmar Grieser wurde in Hannover geboren, seine Familie stammt aus Tirol, er lebt seit genau 40 Jahren in Wien. Auch diese Liebe trübt erstaunlicherweise kaum ein Schatten.

Vielleicht ist diese seine uneingeschränktpositive Haltung- und Ausstrahlung! - das tiefere Geheimnis seines Erfolges in einer Zeit, der es genau daran mangelt. Gern würde ich ihre Grenzen kennenlernen. Aber die gibt er nicht preis.

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