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Das Salzburger Barockdrama

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Wenn man von Schicksals wegen in Dichter, ein Schriftsteller ist meine Damen und Herren, so hält man das anfangs für etwas ganz Eigentümliches und Unverbundenes; man ist weit davon entfernt, zu denken, daß man sich damit einer Gesellschafts- und Berufsklasse einfügt, in der es also auch di.e Erscheinungen des Berufslebens, Konkurrenz, Wettstreit, Eifersucht, Medisance und Bosheit gibt. Davon gibt es nun im literarischen Berufsleben, in das einen der produktive Trieb überraschenderweise stellt, vielleicht noch mehr als in anderen Berufen, und wenn einer in dem ungesuchten Wettstreit unwillkürlich und in seiner Einsamkeit gut abschneidet, so braucht er für den Haß und den Spott nicht zu sorgen.

Thomas Mann. Aus der Fsstiede Im Stadtthacrter xu Lübeck

Schon im vorigen Jahre, kaum daß der Donner des letzten Bombenhagels vergrollt und die ersten Trümmer notdürftig beseitigt waren, fanden in Salzburg wieder Festspiele statt. Es war ein schüchterner, tastender Versuch, dem in diesem Jahre schon ein festes, vollwertiges Programm gefolgt ist. Diese nur durch manches Kriegsjahr oder Fremdherrschaft unterbrochene Sendung der einzigartigen Barockstadt an 'der Salzach, der gleichsam der Herrgott selbst in einer ebenso anmutigen wie großartigen Landschaft die natürliche Szenerie geschaffen, hat eine Tradition, die weit über die Jahrhunderte zurückreicht: In der Pflege des Barodtdramas vor, während und nach dem Dreißigjährigen Kriege erreicht diese Sendung ihren ersten Höhepunkt. „Salzburg als Festspielstadt“ könnte das Thema der nachstehenden Zeilen ebensogut lauten, und es bedeutet wohl einen Trost in dieser Zeiten Not, daß gerade nach dem gewaltigen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch Mitteleuropas im Dreißigjährigen Kriege, hier, am Sitze des Primas Germaniae ein neuer Frühling erblüht, dem zu begegnen weit wertvoller erscheint, als etwa den grellen oder düsteren Farben des Alamannen Grimmelshausen in seinem „Simplicius Simplicissi-mus“. Es ist geradezu der vertrauensvolle Anruf des „Levate capita vestra“ nach soviel Kampf und Leid, der die unzähligen Aufführungen durchzieht, die zur Ehre Gottes (und des Hauses österreidi) Himmel und Erde in Bewegung bringen und besonders in den Erzbischöfen des 17. und 18. Jahrhunderts ebenso großzügige wie feinsinnige Förderer finden sollen.

Der immer bewußtere, immer farbigere Ausbau der großen Prozessionen, die ja auch schon das fromme Mittelalter kannte, mochte es nun in der Fastenzeit oder zu Fronleichnam sein, führte fast naturnotwendig zu dramatischer Handlung. Ist ja schon jede Meßfeier ein „sacrum opus“, gesteigert in den ergreifenden Zeremonien der Kartage, der starke Ausdruckswille des Barocks drängte geradezu nach dramatischer Betätigung. Dazu gesellte sich die reiche Sing-una Sinneßreude des bajuvarisch-österreichi-schen Alpenvolkes, das die mehr tragischen Stoffe durch heitere Spiele zu ergänzen wußte. Die großen Antriebe zur darstellerischen Form erwuchsen aus dem berühmten Schuldrama der Jesuiten, die dieses bedeutsame pädagogische Mittel zu einer eigenen ganz großen Kunst gestalteten. Nidit umsonst war einer der glänzendsten Herren Salzburgs, Marcus Sitticus, Reichsgraf von Hohenems (1612 bis 1619) bei den Jesuiten in Rom aufgewachsen und dürfte selbst in so manchem Schuldrama „mitagiret“ haben. Während seiner nur siebenjährigen, aber sehr e r h a r d, Salzburg folgenreichen Regierung in Salzburg, errichtete er das erste Naturtheater auf deutsdiem Boden in seiner Sommerresidenz zu Hellbrunn In diesem geradezu idealen Felsentheater, das von den Figuren der „Tra-goedie“ und „Komoedie“ flankiert wird, fand — nach dem noch teilweise erhaltenen Hoftagebuch des Salzburger Domardiivs — als „Eröffnungsvorstellung“ am 31. August 1617 die „künstliche Action von der heiligen jungfräulichen Christi Blutzeugin Christina“ statt, „ein fürtrefflich Werk, desgleichen, weil Salzburg gestanden, nie gehalten worden“. Unter den zahlreichen Gästen des Erz-bischofs befand sich der Kurfürst von Köln und die bayrische Kurfürstenfamilie, die- von einem Jagdaufenthalt in Berchtesgaden herübergekommen war. An dieses Spiel schlössen sisch unzählige andere an, so daß man bald gezwungen war, der Überfülle des dramatischen Stoffes neue Gesraltungsmöglichkeiten zu sdiaffen. So hören wir unter vielen anderen von der Aufführung „in musica“ eines „Orpheo“ anläßlich eines Besuches Ferdinands II. in Salzburg, der die so gastlidie Stadt auf seiner Krönungsfahrt nach Frankfurt berührt und zugleich von deren neuem Erzbischof, dem ebenso geistvollen wie kunstsinnigen Paris Grafen von Lodron begrüßt wird. Dieser, wie sein allzufrüh verstorbener Vorgänger, nidit zu Rom, aber in Ingolstadt, hat in seiner langen, segensvollen Regierung (1619 bis 1653) das barocke Salzburg geschaffen. Inmmitten der Stürme des Dreißigjährigen Krieges gründete Paris Lodron die Salzburger Universität (1623) und vollendet 1628 den herrlichen Dom, dem nur die Kuppel (nach dem zweiten Weltbrand) fehlt. Darüber hinaus ist er der eigentliche Begründer der modernen Oper, für die er selbst nicht nur ein Residenztheater, sondern auch in der Alma mater eine Bühne schafft.

Und die Stücke selbst, ja sie sind der unmittelbar universelle Ausdruck des religiöskünstlerischen Empfindens des Barocks, dem nicht nur der christliche Heiligenhimmel genügt, die Ehre Gottes zu erzählen, nicht nur die Erde, das Werk seiner Hände zu verkünden. Sondern in friedlich-bunter Eintracht mit den Engeln und Heiligen wetteifern die zahllosen Götter und Heroen des antiken Olymps, alles Imaginäre anschaulich zu machen. Ein Drang nach künstlerischer Totalität in Fläche und Farbe, Wort und Ton, wie wir diese ja auch auf den gewaltig-schwerelosen Deckengemälden eines Alto-monte und Prandaner, Giordano und Mug-genast finden. Es ist das oft ebenso großartige, wie naive Bedürfnis, „omnia et in

Omnibus Christas“ zo sehen, dessen Awsdrucksformen uns Spätgeborene, die wir eben doch alle vom späteren Rationalismus irgendwie beeinflußt sind, einfach verblüffen. Dazu nennen die Aufführungsverzeichnisse, besonders des Akademietheaters, die noch ziemlich lückenlos vorhanden sind, eine geradezu verwirrende Fülle von Titeln. Nur eine ganz kleine Auslese sei getroffen: da steht „Paris, der erste Hirt“ neben den „Heiligen drei Königen“, die „Sonne Österreichs und der jüngst gekrönte Reichsadler“ (1658) neben „Des Montanus Traumwanderung“, wir finden ein „Spiel von der Gött-

liehen Vorsehung“ ebenso wie den Schwank „Die in den April geschickte Welt“ usf. *. — Und die Verfasser? Nun, das sind meist Benediktiner, aber auch Studenten; man kann — modern gesehen — von einer geistlichen Schauspielschule allergrößten Stils sprechen, oder besser nodi von einem theater-wissenschaftlidien Seminar mit den reichsten „praktisdien Übungen“ Aus der Verfasserschar seien vor allem Heinrich Piber, Matthias Bischtaler und später besonders Simon Rettenbadier genannt. Dieser, zu Salzburg und Kremsmüster wirksam, ist Musiker, Dichter, Dramatiker und technischer Inspizient zugleich, ein barocker Universalist, dabei von echt österreichischem Humor und Bescheidenheit. Auch nach der technischen Seite stellen die Aufführungen eine kleine Wunderwelt dar, besonders wenn man bedenkt, welche Darstellermassen bei drängen-

* Das erwähnte Verzeichnis, das über Titel, Verfasser, Veranstalter und Zeit der Aufführung genauen Aufschluß gibt, behandelt eine Zeit von 160 Jahren (1618 bis 1778) und nennt 368 Aufführungen. Zu ihren letzten Verfassern gehören unter anderen als Librettist Pieter Metastasio und als Komponist Johann Michael Haydn.der Szenenfolge oft for die großen historischen oder allegorischen Dramen konzentriert und zusammengehalten werden mußten. Wir denken dabei etwa an die berühmte Oper „II pomo d'oro“ Calatis, die anläßlieh der Vermählung Leopolds I. mit der spanischen Infantin Margarete Theresia in Szene ging und bei der Salzburger Benediktiner die Regie führten.

Gerade in dieser Hinsicht besitzt das Salzburger Barockdrama eine überraschende Aktualität, bei aller Zeitbedingnis atmet es eine ganz bewußte staatserhaltende Tendenz in jener echt österreichischen Verbindung von fester Wurzeihafugkeit und fromnigläubiger Gottes- und Weltfreude. Die spätere Rokokozeit mit ihrem stark verkünstelten, glattrasierten Heckentheater im Schloß Mirabell rückt auch inhaltlich in ihren leichten Pastoralen von dieser großen, bewußten Sendung ab. Die große Zeit der Salzburger Barockdramatik ist die Zeit des Marcus Sitticus und Paris Lodron, die Tage, in denen dann auch Wien seine große, kulturelle Erneuerung erlebt. Damals sind die Kaiser ja nicht nur die lebhaftesten Förderer der großen Opern und Oratorien, sondern sie gehören selbst zu deren Komponisten und Dramaturgen. Denn sie wußten um die hohen kulturellen, geistigen und erziehlichen Werte dieser großangelegten Schöpfungen, Anschauungsunterricht für Auge und Seele in imposantester Ausgestaltung. Diese hohe ethische und ästhetische Sendung hatten die Erzbischöfe von Salzburg früh erkannt, aus ihrer religiösen Grundhaltung hatten sie nicht nur Santino Solari den einzigartigen Dom vollenden lassen, nicht nur eine Universität gegründet, sondern sie pflegten auch die darstellende Kunst in der ganzen stolzen Gestaltungs- und Lebensfülle ihrer Zeit.

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