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Das Schiff der Geister

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Berge, Sümpfe, Steinzeitmenschen — verständlich, daß diese wilde Insel Neuguinea auf ihre Entdecker nicht sehr anziehend wirkte. Mehr lockte damals das Wunderland Indien, das sagenhafte Zipangu (Japan) und die reichen Inseln des Malaiischen Archipels.

Heute hat sich das Blatt gewendet. Neuguinea ist zum Zankapfel geworden. Indonesiens Außenminister Dr. Subandrio vertritt mit Feuer die Ansprüche seines Landes auf den holländischen Teil der Insel, auf Irian. Schon vor der europäischen Kolonisierung hatten ja die malaiischen Sultanate Tidore und Ternate ihre Interessensphäre bis nach Westneuguinea ausgedehnt.

Doch vergebens versuchte Dr. Subandrio bei einem Besuch in Canberra Sympathien für die Ansprüche seines Landes zu gewinnen. Australiens Außenminister Casey ließ nur vernehmen, daß die Kontroverse zwischen den Niederlanden und Indonesien mit friedlichen Mitteln gelöst werden müsse.

Warum diese Zurückhaltung? Australien ist selber an Neuguinea interessiert, es verwaltet ja den Nofdostteil der Insel als Mandatsgebiet und besitzt den Südosten, Papua, als Kolonie. Und in Papua stieß man in den letzten Jahren auf Erdöl. Dieser Fund eröffnet für das an Bodenschätzen reiche Australien neue Perspektiven. Unabhängigkeit in der Energieversorgung ist für diesen isolierten Kontinent von lebenswichtiger Bedeutung. Die größten Oelfelder Neuguineas sind aber bis jetzt noch im holländischen Teil. Seit 1936 haben die Niederlande mehr als 300 Millionen Gulden für ihre Aufschließung freigestellt. Und heute sind 75 bis 85 Prozent des Gesamtexportes Erdöl.

Und gerade auf dieses Gebiet erhebt nun Indonesien seine Ansprüche. Die historische Begründung dieser Haltung überzeugt noch am meisten, schon weniger die geographische und überhaupt nicht die rassische. Denn die dunkelhäutigen Bewohner des Landes gleichen eher den Negern Afrikas als den Malaien Indo- ;nesi ffo WSW

Spanier Ortiz Retez,. dem die Aehnlichkeit der -cG»j jeasoaūl’8dlJdie Insel Neuguinea.

Riesige Sümpfe und undurchdringliche Urwälder sperrten bis in unsere Zeit den Zugang zu den Gebirgen und Hochländern des Innern. Dort verbringen noch heute unbekannte Kopfjägerstämme ihre Tage im selben Lebensrhythmus wie einst die Vorfahren vor Jahrtausenden. Von offizieller Seite schätzt man die Zahl der Steinzeitmenschen, die hier noch aufzuspüren sind, auf etwa 200.000. Und diese Menschen der Urzeit wissen ihre Steinbeile gut zu gebrauchen. Keine vier Jahre sind es her, daß zum letztenmal scharfgeschliffene Walzenbeile auf die Köpfe weißer Männer niedersausten …

Die Sitten sind hier rauh, und für die Mächtigen ist Vielweiberei selbstverständlich. Aber im Vergleich zur Küstenbevölkerung sind die Hochlandbewohner sittlich kerngesund. Wohl ist auch im Hochland die Zahl der Kinder nicht übermäßig groß, doch liegt das an den harten Lebensbedingungen und am Fehlen jeder Hygiene. Die Kindersterblichkeit im ersten Jahr allein beträgt 8 5 Prozent.

Die rauhen Bergler des Hochlandes haben den Zusammenprall mit der Zivilisation noch vor sich. Die Stämme im Küstenland aber haben die ersten Kontakte mit der modernen Zeit schon gefunden. Junge Burschen arbeiten in den Plantagen der etwa 4000 weißen Siedler und der Regierung. Kanakenregimenter kämpften an der Seite der Australier gegen die Japaner. Die alten Stammestraditionen zerbrechen, eine Flut von Unbekanntem drängt auf die Kanaken ein und weckt Verlangen und Argwohn.

Zündholz und Taschenlampe, Dosenfleisch und Khakianeug, Armbanduhr und Jagdgewehr — alle diese schönen Dinge des weißen Mannes bezeichnet der Kanake mit dem Namen ..Cargo“. Und sobald er Cargo denkt, steigt dumpfe Wut in ihm auf. War«m? Er ist fest davon überzeugt, daß alle«, was der weiße Mann aus den Schiffsbäuchen fördert, von Rechts wegen ihm, dem braunen Mann im Lendenschurz, gehört.

Denn alle diese Güter werden —, und kaum eine Kanake zweifelt daran — an einem geheimnisvollen, weit entfernten Ort von den eigenen Vorfahren produziert Dann werden sie von den guten Ahnen in große Kanus gepackt und auf die Reise geschickt, um die Söhne und Enkel in Neuguinea zu erfreuen. Doch an der Küste der Insel lauert nun der böse Weiße, der sich mit Gewalt aller Schiffe bemächtigt und den Kanaken um sein Eigentum prellt.

Oder der Weiße beschafft sich mit List diese Güter der Kanakenahnen, wie andere Eingeborene wissen. Er beschreibt ein leeres Papier mit Zauberformeln — vom bargeldlosen Verkehr mit Schecks hat der Steinzeitmensch natürlich keine Ahnung —, und die Ahnen werden auf diese Art hereingelegt.

Aber einmal, so hoffen die Kanaken inbrünstig, einmal ?wird das goldene Zeitalter anbrechen. Dann werden sie keinen Finger mehr zu rühren brauchen, und die Güter der Ahnen werden auf sie herabströmen.

Und aus einem Geflecht wirrer Mythen wächst allmählich der Fremdenhaß.

Der Cargowahn ist nichts Neues. Schon seit Jahrzehnten gärt es in Neuguinea, ja in ganz Melanesien. Der Uebergang von der Steinzeitkultur zum modernen Maschinenzeitalter schafft eine Krisensituation, eine Zeit allgemeiner geistiger Verwirrung.

Der Kanake verlangt nun nach höherem europäischen Lebensstandard und nach geistiger Bildung. Bald beginnt sich auch der Nationalismus zu rühren, der freilich mehr ein Verlangen nach Freiheit und nach Abschaffung aller beklemmenden Verhältnisse ist. Besonders tief geht vielfach die Abneigung gegen die Bevormundung durch die Missionen, speziell gegen die straffe Disziplin mancher Sekten. Die Europäerfeindlichkeit wird allgemein. Der keimhafte

Nationalismus sucht politische und religiöse Selbständigkeit zu erringen.

Das gemeinsame Nationaibewußtsein, das nun in Neuguinea und in ganz Melanesien aufbricht, ist eigentlich ohne die europäische Verwaltung undenkbar. Früher lebten die unzähligen kleinen Stämme und Dorfgemeinschaften streng abgeschlossen für sich. Heute werden selbst die Eingeborenen verschiedener Inseln und Inselgruppen durch das Kontraktarbeitssystem der Regierung miteinander bekannt. Durch die Propagierung des Pidgin-Englisch als Umgangssprache fallen ,die Sprachenschranken. Was das heißt, wird einem klar, wenn man hört, daß allein in Neuguinea mehr als 500 verschiedene Sprachen gesprochen werden. Und gemeinsame Sprache und gegenseitiges Kennenlernen wird zur Grundlage eines allgemeinen Zusammengehörigkeitsgefühls.

In ganz Melanesien kam es so immer wieder zu Bewegungen, deren Antrieb die Hoffnung oder das Verlangen nach Teilnahme an der technischen Zivilisation war. Und im zweiten Weltkrieg schien sich diese Hoffnung zu erfüllen. Als die nördliche Hälfte Melanesiens Kriegsschauplatz wurde und die südliche zur großen Nachschubbasis der amerikanischen Flotte, kamen tatsächlich Schiffe aus einem anderen Land und brachten eine bisher nicht gekannte Fülle von Cargo nach Melanesien. Und die Amerikaner waren großzügig. Große Mengen Nachschubgüter wurden bei Kriegsende an die Eingeborenen verschenkt. Die Tatsache, daß ein großer Prozentsatz der amerikanischen Truppen Neger waren, stärkte die Ueberzeugung der Kanaken, daß alles Cargo von dunklen Menschen hergestellt würde.

Der wirtschaftliche und wissenschaftliche Hintergrund der technischen Zivilisation blieb den Eingeborenen verborgen. So zerbrach ihre technische Welt nach Abzug der Amerikaner langsam wieder. Was blieb, war aber das Gefühl, ohne die bisherige weiße Verwaltung in einer technischen Welt leben zu können.

Verdächtig ist, daß heute auf manchen Inseln Melanesiens die Ansicht auftaucht, das Land, wo die Vorfahren Cargo herstellen, heiße Rußland.

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