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DAS „STEINHAUPT“ DER KÖNIGIN ISABELLA

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Glühende Küstenberge der Sierra de Gata — ich durchkletterte auf abenteuerlicher Wanderung diese Steinwüste nördlich von der andalusischeo Hafenstadt Almeria — batten mich fast verbrannt. Felsenmauern der südöstlichen Steilküste hielten mir die grausige Kahlheit starrender Stirnen und Hörner entgegen. So wie der Kletterer nach hilfreichen Vorsprüngen sucht, um sich an ihnen emporzuziehen an senkrechter Wand, so sucht da die verzweifelte Einbildungskraft nach den etwa möglichen Veränderungen in dieser Natur, Denn was hat sie, die Natur, in diesem schrecklichen Küstengebirge verkörpert? Den steingewordenen Triumph des Todes! Es sucht die Phantasie nach irgendwelchen Veränderungen, die diesem Triumph des Todes irgendeinmal Blumen, einen Wald, kurz: Leben abnötigen könnten. Nur die Vision solchen zukünftigen Lebens kann, im Wanderer, den Zuruf bannen, den ihm hier eine jede zerhackte Klippe zugellt:

„Jedes Leben, auch das deine, ist Wahn. Es gibt nur den Tod, und dem gehören wir; ja, der Tod sind wir —.“

Doch welche Macht hat für die Hänge einer Sierra de Gata — das Leben?

Von einer einzigen solchen Macht weiß ich. Es war die längst niedergebrochene der Mohammedaner, der Mauren in diesem Land. Die erstarrten, versiegten Flußläufe führten zu deren Zeit-Wasser. Kaum noch erkenne Ich heute die Einschnitte, durch die es sich einst zum Meer hin Bahn brach. Heute lügt das Landkartenbild — es zeigt vereinzeltes Blau eingezeichnet: das sollen Flußläufe sein! Aber acht Tage wandere ich nun schon: Ich habe nicht eine einzige lebendige Wasserader entdecken können.

Aufwärts an einem der Felskolosse, welche die Küste Überhängen, arbeite ich mich hoch, wie ein Tier, das sich aus finsterem Erdenschoß zu der Oberfläche hinanschaufelt. Kaum ein Atemholen — bis genug der Rundsicht gewonnen ist, daß ich die endlosen Grate, die vor Zeiten trennende Wasserscheiden gewesen sein könnten, nach allen Richtungen überschauen kann:

Ein Gewirr der Massive. In ihm zeichnet sich jetzt ein Zusammenhang tiefgebuchteter Einschnitte ab. Der Blick faßt sie in eines zusammen:

Das erstarrte System der Hydrographie dieser Ecke Europas entbreitet sich, überschaubar!

Tot — tot ist es und starr. Lenkt keine Macht der Erde es wieder zurück zu jenem Leben, von dem es zur Zeit der Mauren durchpulst, durchblutet war? Bei den Mündungen, in denen sich heute nur hoch leere Rinnen mit dem Meer vereinigen, türmen sich die seit Jahrhunderten mitgeführten Gesteine. Jüngere Schichten scheinen von alten ununterscheidbar. An den älteren Steinen, die sich in den Tagen, da die Gewässer noch flössen, abgelagert haben, legten die Boote maurischer Flußschiffer vor den Mündungen an. Boote, zum Mittelmeer hin befördert: unter deren Kiel Wellen gesprüht haben — ja, Wellen! — Unvorstellbar, heute.

Und, in weiße Schleier gehüllt, naht mir eine junge Tochter des Maurenvolkes, Spitzen gelben Tonkrug füllt sie: mit der Labung, die ich, die Quelle, ausspende. Fernher, von einer Bergmoschee, schallt ein langgezogener Ruf. Er entbietet die Mahnung, daß Gebetszeit ist. Die Verschleierte wirft sich nieder — blanke Stirn preßt sich in Felsenstaub. Welches Gebet ist es? Eines aus dem Koran.

„Erhabenes, weises, du noch heute vieler hunderter Völker Leben und Wirken lenkendes Glaubensbuch!“ So drängt es mich jetzt zu rufen: „Oh, Koran! Lehre abermals die Menschen, die Steinwüste umzuzaubern: in die holden Gärten von einst! Deine weisen Priester, genannt die Imame, wußten das zu lehren: wie man es beginnen muß, daß wieder Pflanzen sprießen, welche endlich Regen herabziehen von diesem eisern verschlossenen Himmel! Regen! Zu sammeln weiß er die Gewässer, so daß sie wieder Quellen bilden, welche Flüsse strömen machen: und eine starre Hölle täte sich auf!“ Wo ist der Koran, zu dessen Surenklang die Quellen- ausschöpferin betete? Hört er mich, mit den Ohren aller seiner Priester, die, zeitlebens ihn sprechend und singend, doch alle zusammen wieder nichts anderes sind als er — er allein? Die alle zusammen mit ihren Mündern, ihren Stimmen ihn bilden, einen einzigen, unvergänglichen Riesenleib? — Vielleicht sind sie nur scheintot — sie, die tief unter den Böden dieser unermeßlichen Steinwüste ruhen. Vielleicht haben ihre Körper, in der Erde, Ohren — um etwas zu hören von meinem verzweifelten Schrei? — Mich will, aus den Tiefen der Wüste rundherum, ein Flüstern ihrer Münder umraunen. Ich meine es zu vernahmen:

„Was willst du, Fremder, in der Sierra de Gata? Wir hören.“

Mich dünkt dann: Erfüllung der Bitte, die ich Fremdling ausspreche, fordern sie von der mächtigen Erbin ihres Landes: von der Nachfolgerin ihrer Herrschaft und Macht. Von der Ahnherrin des Spaniens der Neuzeit: von der Königin Isabella.

So wie noch in unseren Alpen ein Hauch lebt vom Franz Joseph, dem toten Kaiser, d.er dort gejagt hat — so atmet von Isabellens Geist noch etwas in einer der steilen, senkrechten Felsenmauern mir gegenüber. Die schneidende Kurve, mit welcher deren Grat den Horizont trifft, scheint nichts zu sein als ein steingewordenes, hartes Nein:

„Ich, Isabella, kenne hier keinen Fremden, Kein Lebewesen ist hier im Reich meiner Berge.“

Heißer Rauch geht von ihr aus. Es blitzt von drüben — vom Grat. Als schleudere Isabella nochmals jenen tötenden Blick, von dem der Dichter Calderon sagt:

„Er allein, er mit seiner Gewalt, bat aus dem leblos hinsinkenden Leib ihres maurischen Gegners — des Cagneri — dessen Seele herausgetrieben!“

Die Tiefe der Weltenöde unter mir, die Tiefe auf allen Seiten scheint leise zu hallen, als vibriere ein letztes Echo von dem — hier einst millionenmal erklungenen — Korangebet.

Die ganze tote Erde schwingt es mit:

„Wir beten! Erbarmer, Gott, gib Regen! Dies ist ein Fremder, ein Freund unserer einsamen Berge!“

Glühend streng blitzt der Umriß des Isabellenhauptes, verneinend:

„Schweiget! Hier, ist niemand. Die Sierra de Gata ist tot.“ Das Echo . wird leiser. Die Vibration: verklingt. Die Tiefe betet nicht mehr. Unendliches Schweigen entbreitet. sich.

Über dem weithin- verkarsteten Rinnenzusammenhänge der — seit vier Jahrhunderten toten — Flußläufe zieht, ungeheure Weltendämmerung mit den Flügeln schlagend, ein riesiger Geier.

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