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Das „süße Mädel“ heute
Zur Zeit, als die Franzosen ihr Ehebruchskomödien schrieben und Wedekind vom Theater her in Sexualfragen vorgestoßen war, rührte Arthur Schnitzler im Bereich lockerer Lebensauffassungen an die Frage der Verantwortung. Sein Schauspiel „Liebelei“, das im Jahr 1895 im Burgtheater uraufgeführt wurde und nun im Theater in der Josefstadt zu sehen ist, läßt sich fast als Moralität auffassen, mochte auch eine führende Wiener Zeitung damals geschrieben haben, es sei eine „ekle Comödie“.
Wird Sex, vom Mann,als Amüse- ment, als Abreaktion betrieben und ÄW weibliche Partner echtes Gefühl ein, ergibt sich eine konfliktgeladene Diskrepanz. Damit entsteht eine schwere Schuld des Mannes gegenüber der Frau. Das zeigt Schnitzler an diesem jungen Fritz aus vermögendem Haus, der sich mit dem Vorstadtmädchen Christine einläßt, obwohl er ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau hat. Auch am Ende des 19. Jahrhunderts mußte diese Beziehung nicht durch Duell und Freitod zu tragischen Folgen führen. Daß dies aber hier so ist, zeigt, wie sehr Schnitzler die Schuld des jungen Mannes mit Nachdruck sichtbar machen will.
Gibt es zwar heute keine Duelle mehr, sind die Beziehungen der Geschlechter von der weiblichen Seite her in der Mehrzahl leichtfertiger als früher, so darf man doch nicht übersehen, daß die Frau von ihrer Grundlage her zu stärkerer seelischer Beteiligung neigt als der Mann. Ist dies der Fall, kann er auch heute ihr gegenüber schuldig werden. Hierin besitzt das Stück zeitlose Bedeutung. Das Seelische in zartesten Schwingungen, das Stimmungshafte dieser Menschen, das Leichtsinnige und Schwermütige, die Einbettung in die Zeitlage, die den Reiz des Stückes ausmachen, erweisen den Meister des Dialogischen.
Christine ist das Urbild des süßen Mädels. Nun kennen wir aus der erst vor kurzem erschienenen Autobiographie Schnitzlers „Jugend in Wien“ das Modell, ein Fräulein Gusti, die nie zu ihm in Beziehungen trat. Sie besaß auch keineswegs, entnimmt man daraus, jene Tiefe des Gefühls, die Schnitzler der Christine zuordnet, um die Schuld dessen, für den sie nur Liebelei war, herauszustellen. In der Aufführung unter der Regie von Heinrich Schnitzler, dem Sohn des Dichters, kommt das subtil Seelische der Vorgänge vorzüglich heraus, nur stimmen nicht alle Besetzungen. Marianne Nentwich legt Christine zwar auf echtes Gefühl an, bei ihr fehlt aber alle „Süße“, sie ist von allem Anfang an eine schwer tragisch beschattete Gestalt, wodurch der Reiz der Figur verlorengeht. Von Gertraud Jesserer wird das unbeschwert Leichtfertige nur erspielt. Leopold Rudolf als Christines Vater wirkt zu sehr als liebenswerter Sonderling.
Ohne Übersteigerung läßt Michael Heltau als Fritz bei aller Nonchalance die Todesschatten erkennen, die an ihn heranwehen. Albert Rueprecht hat als dessen Freund die
nötige Unbekümmertheit, Hans Holt glaubt man den tragischen Ernst des betrogenen Gatten, Helly Servi gibt der Frau eines Strumpfwirkers das boshaft Geschwätzige dieser Gestalt. Gottfried Neumann-Spallart schuf die milieugerechten Bühnenbilder.
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