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Das Theaterfest hat begonnen

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Was das Theater und die Theaterkultur in Wien heute im allgemeinen und in den Wiener Festwochen im besonderen für Aufgaben haben, hat vor mehr als einem halben Jahrhundert der Welt und Wien „die Paulin”' vorgestellt. Pauline Fürstin Mettemich-Sandor, die Enkelin und Schwiegertochter des großen Staatskanzlers, hat in einer Zeit zunehmender internationaler Spannungen, in denen sehr deutlich die Vorzeichen des Großen Krieges erkennbar waren, alles, was in ihrer Macht war, versucht, um die Völker EurSpas und darüber hinaus wieder zusammenzubringen zu einem Mitspielen und Mitstreiten im Frieden. Eine ihrer vornehmsten Veranstaltungen war die Internationale Theater- und Musikausstellung in Wien anläßlich der Jahrhundertfeier des Todes Mozarts 1892. Erbe, Mahnung, Verpflichtung: wenn Wien und Oesterreich kulturell nicht dem Todfeind Nr. 1, der inneren Provinziali- sierung, Verflachung, der eitlen Selbstbefriedigung mit Mediokritäten, verblümt durch Phrase und Selbstlob, erliegen sollen, dann muß heute entschieden da begonnen werden, wo diese starke Frau, die ungebrochen als Fünfundachtzigjährige 1921 starb, aufhörte. Nun ist es tief zu bedauern, daß die europäische und internationale Verdüsterung des letzten Jahres die Wiener Festwochen in Programm und Gestaltung reduzierte. Ließen die Aengstlichkeit und innere Beklommenheit eine größere Reichweite und Blickweite nicht zu, so wollen wir den Anfang, der da doch gemacht wird, nicht übersehen. In der ersten Festwoche sind bereits die Comėdie franęaise und das Berliner Schillertheater zu Gast; die Wiener Eröffnungsvorstellungen gelten zwei Autoren, die durch Leben und Motive ebensosehr Wien und Oesterreich verbunden sind, wie sie der Welt etwas zu sagen haben: Raimund und Strindberg. Ungleich und tief verwandt wie alle Brüder im Reich des Geistes und der Seele, haben sie sich hinabgelotet in die Abgründe des Menschlichen. Umgang mit dem Mitmenschen und Völkerpsychologie können heute noch von beiden lernen.

Es ist also sinnvoll, daß das Burgtheater als erste Eröffnungsvorstellung der Festwochen Raimunds Werk von 1828, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind" gewählt hat. Die Pflicht des Menschen zur Selbsterhellung, zur Distanzierung seinem eigenen Ich und seinem Wahn gegenüber, wird hier bekanntlich auf das allerschönste und ergötzlichste dem Zuschauer einladend zur Nachahmung vorgeführt. Raimund, mit Grillparzer, Feuchtersieben und anderen Wiener Zeitgenossen einer der Väter der Tiefenpsychologie, ohne die eine künftige Weltpolitik und Weltkultur nicht, auskommen wird, hat mit .seinem Herrn von Rappelkopf ine weit gültige; Gestalt geschaffen. Diese Steckt nun freilich in 'einem S‘ück. das voll ist von zeitgebundenen Requisiten, die so veraltet sind wie Viktorinens, Walburgas und Emerentias Geister, die Geister der drei ersten Frauen Rappelkopfs. Das hat wohl die Regie dieser Aufführung dazu verführt; sich um ein Bühnenbild zu bemühen, das exotischen, ja fernöstlichen Zauber bemüht (Teo Otto), höchst wirksam, wenn allein betrachtet, und die hier fragwürdige Magie der Technik restlos einzusetzen. Deren fataler Zauber legt sich zumal in den Sprechkünsten im Geisterreich des Alpenkönigs wie ein Mehltau auf die Begeisterung der faszinationswilligen Zuschauer. Lautsprecheranlagen und Maschinen können eben das Echo und die Stimme der Natur (und Uebernatur) nicht ersetzen. Ein gewisses artistisches Gehaben einzelner Darsteller korrespondiert mit dieser gemachten Magie und läßt bisweilen dieses „romantisch-komische Märchen" auf dem Wege (einem Abwegel zu einer Musical-Show erscheinen. Vorzügliche Einzelleistungen (Hermann Thimig als Rappelkopf, Hilde Mikulicz als Lischen, Hugo Gottschlich als Habakuk. Fred Liewehr als Astragalus') und der ersichtliche Wille aller zu guter Laune und gutem Spiel ließen denn doch eine sehr beklatschte Aufführung zustande kommen.

Strindbergs „Traumspiel" im Volkstheater, sehr glücklich inszeniert durch Günther Haenel, wird durch Marianne Hoppe als Tochter Indras zu einem starken Eindruck. Der Weg der Göttertochter zu den Menschen, zu ihrem Glück und Leid, ihrer Erbärmlichkeit und Erbarmungs- würdigkeit ist der Weg des Dichters, des Sehers, des Propheten. Gerade die Dichter des 19. Jahrhunderts, die sich selbst, Einzelne und Einsame, als Ausgestoßene einer saturierten und sich in falschen Sicherheiten verschließenden Gesellschaft erfuhren, haben in der Situation unserer. Zeit durch ihr Leben, und Werk Akzente erhalten, die das Antiquierte an ihnen zurücktreten, als unwesentlich erscheinen lassen. Die Neuinszenierung des Traumspiels im Volkstheater arbeitet, unterstützt durch ein ebenso kluges wie schönes Bühnenbild und getragen durch die Leistung einer Schauspielerin, diese mögliche Bedeutung scharf heraus. Ohne sie würden Masken und Mären, unglaubwürdig genug, das Spiel betreiben. Marianne Hoppe gestaltet glaubwürdig den gnostischen Mythus, der dem Stück zugrunde liegt: den Eingang der göttlichen Seele in das Gefängnis irdischen Lebens und Leidens, und die Rückkehr in den Schoß des Vaters. So wird dieses in sich problematische Erlösungsspiel zu einem Drama des Menschen, an dem jedermann Anteil hat und Anteil nehmen kann: keiner kann sich in diesem Leben unbefleckt bewahren, und jeder sehnt sich.

wenn auch oft sehr auf seine Weise, nach Erlösung und Befreiung. — Das große, für diese Aufführung notwendige Ensemble diente hingebungsvoll und diszipliniert in den vielen, teilweise recht unergiebigen und schemenhaften Rollen dem Werk und der Intention des Dichters und des Theaters.

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