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Das Trauerspiel Karlskirche

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Noch ist, im Gedenkjahre des großen Fischer von. Erlach, die Gefahr nicht gebannt, die seinem bedeutendsten Gartenpalast, dem Palais Traut- son, droht, und immer noch ist, nun schon seit genau hundert Jahren, die Frage ungelöst, wie seiner herrlichsten Kirche, dem gewiß schönsten sakralen Barockbau in deutschen Landen, der Karlskirche, endlich eine würdige Umgebung geschenkt werden könnte.

Es soll hier nicht untersucht werden, wie viel an unserer Karlskirche gesündigt worden ist durch die Monumentalbauten, die sich von ihr abwenden und ihr die Flanke weisen: Musikverein und Handelsakademie, durch die unschönen Häuser an der Maderstraße, das ungeheure Porrhaus, die unziemlichen Gezelte des „Börsebasars“ und vollends durch den Bau des Historischen Museums, just an derselben Stelle, wo es vor einem halben Jahrhundert nach leidenschaftlichem Kampfe gegen einen sehr bedeutenden Baukünstler abgelehnt wurde. Wir wollen nicht klagen, wir wollen nur feststellen, daß unserer Generation die schwierige Aufgabe zugeteilt ist, endlich einen Platz zu schaffen, wo bisher nur eine „Gegend" gewesen.

Vorweg sei betont: dieser Platz kann gar nicht groß genug sein. Der seit Jahrzehnten immer wieder auftauchende Gedanke, die Kirche zu „fassen“, etwa gar durch ein vor die Evangelische Schule auf den Boden des Ressel- Parkes zu stellendes Bauwerk, sind mit aller Entschiedenheit abzulehnen. St. Karl ist nicht, wie unsere Kirche Am Hof, wie Sant’Agnese an der Piazza Navona in Rom, eine Fassadenkirche, sondern eine Landschaftskirche. Als solche, mit vier Schauseiten — nach den vier Weltrichtungen —, ist sie erbaut worden. Wir können nichts Besseres tun, als ihr Landschaft zurückzugeben, soweit dies heute noch möglich ist.

Man fürchte nicht, daß dieser Platz zu groß sein könnte. Der Wenzelsplatz in Prag ist fast 700 Meter lang, die Entfernung vom Cafe Museum bis zum neuen Museumsbau beträgt dagegen nicht einmal 450 Meter. Auch gilt es weniger einen Platz als, eine der herrlichen Kirche untergeordnete Stadtlandschaft zu' gestalten. Diese soll mit Recht den Namen Karls- platz tragen und die Namen Technikerstraße, Treitlstraße, Operngasse, Friedrichstraße, Lothringerstraße, Maderstraße werden, als Ausdruck der Hilflosigkeit, endlich verschwinden müssen.

Unseres Wissens gibt es zur Zeit zwei Pläne zur Gestaltung des Karlsplatzes. Wir meinen die von Regierungsbaumeister a. D. Dr.-Ing. habil. M. E. Feuchtinger (Ulm), beratendem Ingenieur für Straßen-, Verkehrs- und Stadtbauwesen, im Oktober 1956 beendeten Lageplanentwürfe 2 (5) a und 2 (5) b der Magistratsabteilung 28 und Plan und Schaubild des Rektors der Akademie der bildenden Künste, Professor Clemens Holzmeister, die in der Fischer-von-Erlach-Aus- stellung zu sehen waren.

Jahrtausende hat der, freilich nur bedingt richtige, Satz des Protagoras gegolten: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Auch hat man bis in unsere Tage hinein geglaubt, daß eine menschliche Ansiedlung zuallererst für die hier wohnenden Menschen bestimmt sei. Wer die Pläne der Mag.-Abt. 28 betrachtet, der gewinnt den Eindruck, daß hier ein Städtebauer den Stadtgrundriß nur ansieht als ein leider immer wieder von Wohnblöcken und menschlichen Gehwegen unterbrochenes Reich des, wenn wir so sagen dürfen, Benzinismus, ein Tummelfeld der Benzinnomaden. Die Magistratsabteilung 28 ist die S t r a ß e n bauabteilung, sie vor allem bestimmt das Stadtbild. Erst wenn ihre Forderungen erfüllt sind, darf sich, viel zu spät, die Städtebau k u n s t bescheiden und gerade nur geduldet zu Worte melden. Welcher Tiefstand, welcher Kulturverfall!

Der Mensch hat seine Arbeit aufs Fließband gelegt, der moderne Stadtgrundriß, ja auch die moderne Landkarte zeigen eine Abfolge von Verkehrsfließbändern. Vielleicht bleibt dazwischen noch etwas übrig, etwas Menschliches — vielleicht!

Der ohnehin so zerfetzte Karls„platz“ soll — nach diesem Plan — noch mehr zerstückelt werden: der hinter der Akademie der bildenden Künste ziehende Ast des Getreidemarktes wird Einbahn in der Richtung Mariahilf—Landstraße, die Nibelungengasse in der Gegenrichtung. Die Einbahn Mariahilf—Landstraße setzt in annähernd gerader Richtung auf Kosten des Börsebasars über die Wiedner Hauptstraße und nimmt dem Ressel-Park ein gutes Stück weg. Die Ecke des Parkes wird ausgerundet, um den von der Wieden kommenden Wagen das Einbiegen zu erleichtern. Der in unserer Zeit erst begrabene

Straßenzug Akademiestraße — Laurenzer Berg feiert in der Gegenrichtung fröhliche Urständ, denn er wird schnurgerade auf den Mittelbau der Technischen Hochschule durch den Resselpark durchgęrissen, Fernkorns Denkmal des Erfinders der Schiffsschraube darf auf einem schmalen „Grünstreifen“, einem Trennungsband, inmitten zweier dahinter in eigenwilliger Biegung sich vereinigenden und der Argentinierstraße zustrebenden Aeste stehenbleiben: eine angemessene Ehrung zur hundertsten Wiederkehr des Todestages Ressels (10. Oktober 18 57)! Nur der Raum vor der Kirche und zwischen ihr und dem neuen Museum bleibt vorläufig näherer Planung vorbehalten. Der östliche Schlitz der Stadtbahn wird überdacht, der westliche Teil zum Bahnhof in beiden Richtungen gemacht. Verkehrsbüro, Naschmarkt und Basar verschwinden; hinter diesem ist eine Großgarage vorgesehen. Girardi-Denkmal und Pla- tanen„hain“ dürfen stehenbleiben, aber sie werden von einer Straßenbahnschleife eingekreist werden, und in der Längsrichtung ist ein Straßenbahnhof vorgesehen!

Der Stadtplaner aus Ulm, der sich hier versucht hat, hat nicht begriffen, daß man einen Platz schaffen muß. Das erhellt schon aus der Tatsache, daß die Einbahn Mariahilf—Landstraße auf dem Karlsplatz als — Lothringerstraße bezeichnet wird, genau so wie die dem Gegenverkehr dienende Nordwand des Karlsplatzes!

Die Sünden der Väter rächen sich sehr bald. Vor einem Vierteljahrhundert etwa hat man die unmögliche, sich alsbald totlaufende Opern- „gasse" auf Freihausgründen durchgerissen, obwohl sie so gut wie gar keine Verbindung zur eigentlichen Operngasse hat und deshalb (und weil dazwischen ein Stück Karlsplatz mit dem irreführenden Namen „Friedrichstraße" zieht) so gut wie unauffindbar ist. Unzählige Irrtümer sind die verständliche Folge der unverständlichen, unverständiger Planung. Man sollte glauben, daß die beiden Wienzeilen die natürlichen Einzug- und Ausfallstraßen sein müßten. So ist denn auch die Einschleifung der Operngasse in die Opern„gasse" ganz unmöglich.

Die alten Stadtgrundrisse lassen durchweg erkennen, und das weiß man spätestens seit Camillo Sitte (18 89), daß die Platzmitte freizuhalten ist und dem Verkehr ein oder höch-

stens zwei Platz r ä n d e r gehören. Der Beispiele sind Legion) Daher ist auch für den Karlsplatz zu fordern: aller Verkehr ist an den Rand zu legen, an die Nordwand, also vom Hause Lothringerstraße 3 bis zum Hause Getreidemarkt 2. Die Schlitze der Stadtbahn sind einzudecken und die Einstiegstellen endlich dorthin zu legen, wohin sie gehören, an den Zug der Wiedner Hauptstraße.

Nun die Pläne Clemens Holzmeisters! Es ist ein sehr glücklicher Gedanke, die auf die Kirchenlängsachse losrasende Straße durch ein um etwa drei Meter versenktes Parterre zu ersetzen. Die alten Gartenkünstler habe» gewußt, daß Blumen- und Rasenflächen gesehen werden wollen, daß man Daraufsicht auf sie haben muß. In Wien kennen wir nur zwei Beispiele aus neuerer Zeit: das Blumenparterre vor dem Glashaus im Schönbrunner Park und den Votiv kirchenpark. In unserem Falle wird hierdurch überdies sinnbildlich ausgedrückt, daß die Kirche einst hoch über dem Prallufer der Wien sich erhoben hat.

Also: 1. Freihalten der Mitte, auch vor der Kirche.

Gegensatz des Grüns des ftrtėrres zum Grau der Kirche.

2. Verlegung des Verkehres zur Argentinierstraße auf eine rechts der heutigen ziehende

Zweibahnstraße. Das wird freilich nicht ohne schmerzliche Opfer gehen: Der Ressel-Park wird angeschnitten, die beiden Wache stehenden Pappeln werden fallen und wohl auch das Ressel-Denkmal etwas gegen die „Technik“ zu verschoben werden müssen.

Das sind gewiß Nachteile, aber sie sind viel kleiner als diejenigen, die der amtliche Entwurf bringen würde, und es stehen ihnen bedeutende Vorteile gegenüber. Denn Holzmeister sieht zwischen Kirche, Museum und Stadtbahn, im östlichen Teil des Platzes, eine große Gartenfläche vor, so daß wenigstens links der Kirche näherungsweise der Gedanke an eine Landschaft erweckt werden wird; auch bleibt ein großer Teil des Ressel-Parkes erhalten.

Wir halten die Planung Holzmeisters im wesentlichen für durchaus richtig; im einzelnen können wir uns nicht zu allem bekennen. Höch mais: aller Verkehr gehört an den Nord? (und den West-)rand des Platzes, und der Kirche ist möglichst viel Landschaft zurückzugeben. Daher muß aller Verkehr auf ein breites Band am Nordrand verlegt werden. Es stehen hier bis zur Stadtbahn nicht weniger als gute vierzig Meter zur Verfügung, also mehr als irgendwo anders. Auch die Straßenbahn wäre wieder, wie einst, an den Nordrand des Platzes zu verlegen, kreuzungsfrei — mit Ausnahme natürlich der Ausfallstraße zur Wieden. Auf dem Karlsplatz, zwischen der neben der Stadtbahn ziehenden Straßenbahn und den Wagenfahrbahnen, könnten Wagenabstellplätze geschaffen werden. Der nördliche Ast des zu schmalen Getreidemarktes könnte auf Kosten der Häuser Nummer 2 und 4 verbreitert werden.

Dadurch würde die heute den Platz zerreißende Straße südlich der Stadtbahn durchaus überflüssig werden. Man stelle sich vor, was dies bedeutet! Nichts weniger als eine mächtige, nur durch den Straßenzug zur Argentinierstraße unterbrochene Gartenfläche zwischen Wiedner Hauptstraße, Evangelischer Schule, Technischer Hochschule, Historischem Museum und Stadtbahn! Und an Stelle des Fruhwirtschen Hauses dürfte, wenn es wirklich fallen muß, kein Neubau errichtet werden, auch nicht ein Haus, das das Museum nicht überragen und nicht auf die Kirche drücken würde; vielmehr wird an seine Stelle ein Teil des mächtigen Gartens zu treten haben, unmittelbar zu Seiten der Kirche. Erst dann werden wir uns der gestalteten linken Flanke der Kirche, die durch das Museum zugedeckt worden, wenigstens aus nächster Nähe, in aller Ruhe erfreuen dürfen. (Dort auch könnte das Denkmal unseres größten Barockplastikers, das heute eines der schlechtest aufgestellten Denkmäler Wiens ist, unseres Georg Raphael Donner, eine würdige Heimstatt finden.)

Nochmals: reinliche Trennung des der Kunst und der ihr dienstbar gemachten Natur gehörigen Platzes und des an die Ränder zu verweisenden Verkehres! Niemand kann einsehen, warum gerade nur auf dem Karlsplatz Einbahnen sein sollen, da doch die Lastenstraße im übrigen Zweibahn ist und kein Mensch das von der Mag.-Abt. 28 aufgegebene Rätsel wird lösen können, wie der Verkehr von der Nibelungengasse in die Babenbergerstraße und von dort auf den Messeplatz finden soll, ohne die bestehenden Verkehrszüge empfindlich zu stören und das Kunsthistorische Museum zu gefährden.

Unsere Zeit wird endlich den Karlsplatz schaffen müssen. Möge Fischer von Erlachs Geist über dem Werke schweben, auf daß wir „gutmachen, was andere verdarben"!

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