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Jedesmal, wenn ich von einer literarischen, künstlerischen oder anderen jungen Generation lese, werde ich stutzig. Es kommt mir dann immer so Vor, als würde man mit besonderem Nachdruck von einer zweibeinigen Generation sprechen. Alle Generationen, die ich kenne, sind zweibeinig; alle Generationen, die heute in Erscheinung treten, sind in ihrem Wesen jung. Wenn es irgendwo in exaktem Sinne alte Menschen geben sollte, dann sind sie Überreste vergangener Zeiten,- sie sind sehr selten und sollten unter Denkmalschutz gestellt werden. Wir übrigen Zehn- bis Achtzigjährigen sind jung; das Alter wurde stillschweigend abgeschafft und hörte damit auf, Endziel des Lebens zu sein.

In meiner Kindheit gab es noch alte Menschen. Das waren Männer von vierzig aufwärts, meist bebärtet, die trübsinnige Ansichten äußerten und vor allem mit tiefer Verachtung auf die grüne Jugend herabblickten. Diese Männer hielten sich mit vierzig für reif und mit fünfzig traten sie in das Greisenalter ein. Vollbart und schwermütiger Ernst waren das Ideal der Zwanzigjährigen: die Jünglinge von damals schämten sich ihres Alters wie einer Schwäche oder eines Mangels. Kaum war einer volljährig geworden, gab er schwerwiegende Lebensweisheiten von sich und sprach über viele Dinge mit der Bitterkeit eines Menschen, der längst schon alle dummen Illusionen überwunden hat.

Vergleicht einmal, welch ein Jüngling und Windbeutel ein Fünfziger vo n heute ist im Vergleich mit dem reifen u d abgeklärten Dreißiger von damals; seht ihn euch an, wie er läuft und hüpft und auf allem Möglichen einherfährt, seht ihn euch nur an mit seinem glatten und rosigen Gesicht. Wollt ihr ihm schmeicheln, dann sagt „Junger Herr" zu ihm und verwechselt ihn mit seinem Enkel. Diese Verjüngung vollbrachte keine Wunderkur oder -Operation, das ist Sache der Lebensauffassung.

Wir sind uns noch nicht darüber einig, wie man das 20. Jahrhundert benennen sollte, ob es das Zeitalter des Automobils, des Flugzeugs, des Rundfunks Und Fernsehens oder des Atoms ist. Ich meine, man sollte es das Zeitalter der jungen Menschen nennen, denn das ist die tiefste Veränderung im Vergleich mit dem vorigen Jahrhundert. Die Menschen sind — sofern sie nicht über Politik sprechen oder Leitartikel schreiben — jünger als früher; es scheint, daß sie auch gesünder sind. Ab und zu kommt es vor, daß so ein sechzigjähriger Jüngling stirbt, und dann wundern wir uns alle und schütteln den Kopf über sein frühes Ableben. Es gibt keine Veteranen des Lebens, keine in schweren Kämpfen ergraute Männer mehr, kaum mehr ehrwürdige Greise, hingegen gibt es ehrwürdige Jünglinge, die noch mit 75 den Kopfstand ausführen und über Graben hopsen. Diese bejahrten Jünglinge unterscheiden sich von denen, die erst ganz kurze Zeit jung sind, besonders dadurch, daß sie ihre Jugend bescheidener zur Schau tragen. Sie schreien . nicht bei jeder Gelegenheit in die Welt „Wir Jungen", sie nennen sich auch nicht „Junge Generation", zeigen nicht bei jeder Gelegenheit, daß sie die Welt aus den Angeln heben wollen. Der Mensch gewöhnt sich schließlich an seine Jugend und hört auf, sich damit lärmend zu brüsten. Nur die, die kaum begonnen haben, jung zu sein, benehmen sich so herausfordernd wie Neureiche. Aber das vergeht, glaubt mir, sobald ihr nur etwas länger jung seid.

Hie und da begegnet man auch heute zwanzig- bis dreißigjährigen Greisen mit sichtbaren oder unsichtbaren Vollbärten, die mißmutig auf die graumelierten Jünglinge herabblicken und sie verachten, wie man eben unerfahrene und leichtsinnige Menschen verachtet. Sie reden viel von der Krankheit der Jugend, dem Ekel und dem Tode. Aber ihnen gebe ich kein langes Leben. Soweit ich sehe, werden mehr Wirklich junge Menschen geboren, ja sogar Kinder. Denn der Unfug des Alters hat sich auf der ganzen Linie überlebt.

Ins Deutsche übersetzt von Julius M ad er daß der Mörtel rieselt. Jawohl. Und die Post schmeißt du hin, daß es knallt. Sie kann dir gestohlen bleiben. Alles kann dir gestohlen bleiben. Auch die Straße vorm Fenster und die Berge und die Gegend, wo die Sonne untergeht und der erste Stern Zittert. Du hast es satt. Endgültig.

Eine schöne Aussicht ist etwas für lahme Kerle, für lyrische Träumer. Was nützt sie, was nützen die Berge, der Sonnenuntergang und der Abendstern, wenn dein Herz nicht läutet. Nichts nützen sie.

Laß die Klingel schrillen. Es geht dich nichts an. Auch die Klingel kann dir gestohlen werden. Meinst du. Schließlich gehst du doch zur Tür. Es ist der Briefträger. Er kommt noch einmal.

Eigentlich könnte ich auch Sie fragen, sagt er. Ich habe da einen Brief. Ich trage ihn schon ein paar Tage herum. Kaum leserlich die Schrift. Muß aber hier in der Gegend wo hingehören, der Brief. Und er gibt ihn dir.

Den Brief, auf den du gewartet hast.

Mann, rufst du, können Sie nicht lesen? Das ist doch unverwechselbar mein Name. Wort für Wort. Jeder Buchstabe ist klar zu erkennen.

Ja, aber die Hausnummer stimme nicht und die Schrift, hm, ein bißchen eigenartig, gewiß sehr gebildet, aber doch kaum zu lesen. —• Dazu kein Absender

Ja, das mit der Hausnummer stimmt, allerdings, nämlich, daß sie nicht stimmt. Aber die Dame, das hpißt der Herr, der den Brief geschrieben hat, habe kein Gedächtnis für Zahlen.

Dann ist es ja gut, sagt der Briefträger und will gehen.

Warten Sie, rufst du und gibst ihm ein Päckchen Zigaretten, wie du es gerade bei dir hast. Eine ganz bestimmte Sorte. So für alle Fälle.

Es gibt keinen Zweifel. Der Briefträger ist gut.

Ach, alles ist nun wieder gut und die

Aussicht vom Fenster ist gewiß schön. Sicherlich. So recht für einen Mann, der gewisse Erfolge hat. Es ist die schönste Aussicht, die man sich denken kann. Sogar bei Nebel. Natürlich ist sie das. Da gibt es keine Frage. Es gibt überhaupt keine Frage. Alles ist schön, die Berge, der Sonnenuntergang und der Abendstern. — Und wer es nicht glaubt, bekommt es mit mir zu tun.

Was im Brief steht?

Oh, nichts weiter.

Es ist kein langes Schreiben. — Wenn man es überfliegt, wohl nur ein Satz. Ein Wort eigentlich bloß. Genau genommen, ein einziges Wort.

Groß und deutlich:

Ja.

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