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Das unaufhaltsame posthume Comeback der Christine Lavant

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Verstehen ist Annähern: auch eine Dichterin kann nur in Stufen verstanden werden, in einem fortwährenden Werben um sie. Das gilt persönlich beim Immerwie-derlesen, das gilt für die Medien, die mit ihren Rabenschnäbeln sporadisch etwas aufgreifen, das gilt auch für die Wissenschaft, die mit ihren feinen Sonden so Zartes wie Poesie auf breiter Front in Angriff nimmt.

Christine Lavant (1915-1973) aus dem Lavanttal in Kärnten war zeitlebens und auch posthum eine Mauerblume der österreichischen Literatur, gemessen an den verkauften Exemplaren ihrer Bücher. Aber das Schicksal scheint sich zu wenden. Im Mai vorigen Jahres fand in Wolfsberg im Lavanttal das „ 1. Internationale Christine Lavant Symposion" statt. Die Furche hat darüber berichtet. Jetzt liegen die Be-ferate und sonstigen Dokumente dieser Tagung als Buch vor.

Der Laie ist zunächst ängstlich: Fußnoten und Fachausdrücke schrecken ab. Macht sich ein Dutzend Germanisten über die Wehrlose her, die immer scheu aller Interpretation und Analyse gegenüberstand, und Ehrungen, die ihr widerfuhren, mehr fürchtete als schätzte? Sie wollte nie reden über ihre Gedichte, wie ein Musiker ungern redet über Musik. Aber man ist bald beruhigt: die Referentinnen und Referenten bekennen sich als Verehrer dieser „immer anbetungswürdigen Frau", sie nähern sich an, aber sie treten nicht zu nahe. Dazu kommt, daß der Abstand von einer Generation zu den Hauptwerken Lavants dem Verständnis nur zugute kam. Vielleicht ist es im Biographischen so wie im Historischen, daß der Handelnde viel weniger Einsicht in die Zusammenhänge hat als der Nachfahr. Die Forschung bleibt in diesem Fall jedenfalls human und vergewaltigt nicht ihren Gegenstand.

Der Bericht setzt vier Schwerpunkte: Lyrik, Prosa, Bezeption und Ubersetzung. Im Einleitungsaufsatz zur Lyrik wird eine Handvoll Gedichte interpretiert. Man spürt die Begeisterung des Autors, wenn er sachkundig durch die Landschaften dieser Bilder führt, die Chiffren löst, Symbole deutet und hilfreiche Begriffe bildet, die sofort einleuchten.

In anderen Aufsätzen wird der kulturgeschichtliche Zusammenhang dieser Dichtung dargestellt. So „ungebildet" diese Frau mit ihren fünf Volksschuljahren war, so isoliert sie lebte in ihrem Tal, so war sie doch osmotisch mit ihrer Zeit verbunden und dichtete modern und gleichzeitig nach uralten Traditionen, so daß sie „in mehrere Jahrhunderte hineinpassen könnte".

Breiten Baum nimmt die Betrachtung der Prosa ein, bei der das Kunstmärchen die Hauptform ist. In dessen Figuren lebt sie sich aus, sendet verschlüsselte Botschaften an die, die sie liebt. Am Bande erfährt man dazu das Urteil eines Literaturpapstes von damals: „Ihre erzählende Prosa ist für mich ... unerträglich. (Sie ist) ein literarisches Ärgernis." So können Päpste irren.

Zur Bezeption gehört die Wirkung auf Zeitgenossen, auch auf literarische. Thomas Bernhard gab 1987 eine Lyrikauswahl der Lavant heraus. Sein Auswahlprinzip ist selbst eine Interpretation und läßt Rückschlüsse auf den Auswähler zu. Darüber gibt es Rezensionen von damals, über diese Rezensionen schreibt hier ein Wissenschaftler. Man ist erinnert an das Muster vom Maler, der das Bild vom Maler malt, wie der den Maler malt ... Der Leser sieht sich am Ende selbst in dieser unendlichen Literaturgeschichte stecken.

Besonders fesselnd ist es, den Übersetzern Christine Lavants zuzuhören. Dichten als Intimvorgang ist unzugänglich. Die Übersetzung muß ganz durchschaubar sein: der Übergang von einer in die andere Sprache schneidet alle Schichten an, so daß der Verstand Zugang hat. Übersetzen ist eine der besten Annäherungen an einen Text und eine Bewährungsprobe. Christine Lavants Gedichte, mit ihrer Präzision, halten dieser Prüfung stand. Der italienische Übersetzer spricht von einem „Übersetzungserlebnis".

Auch abgesehen vom Symposion ist manches im Gang. Ein Christine Lavant Lyrikpreis ist jährlich ausgeschrieben. Das Musil-Institut in Klagenfurt bereitet bis 1999 eine Gesamtausgabe der Werke vor. Drei Viertel der Prosa sind bisher unveröffentlicht. Der Nachlaß wird geordnet, man geht den Korrespondenzen nach, befragt die Nachbarn und Verwandten. Ein detektivisches Netz zieht sich immer dichter um ihre Biographie. Aber die Strahlkraft ihrer Persönlichkeit bestimmt auch noch lang nach ihrem Tod den Umgang mit ihr und wehrt Aufdringlichkeiten erfolgreich ab. Im Ganzen ist es ein Glück, daß solche Kultur-Schätze eines Landes ihre Pfleger finden, und auch ein Publikum, das diese Schätze schätzt.

Man kann sich vorstellen, wie die alte Dame, inzwischen 80jährig, dabeigesessen wäre: klein und bescheiden, in sich gekehrt und doch hellwach, und trotz ihrer unerhörten Leidensfähigkeit ganz sicher auch für Augenblicke glücklich - dann, wenn sie gemerkt hätte, daß wir sie in Annäherung verstehen.

DIC BILDERSCHRIFT CHRISTINE LAVANTS

Studien zur Lyrik, Prosa, Rezeption und Ubersetzung.

1. Internationales Christine Lavant Symposion, Wolfsberg 1995 Herausgegeben von Arno Rußegger und Johannes Strutz Otto Müller Verlag, Salzburg 1995 237Seiten, Kl, öS238.-

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