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Das Unvergeßliche

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Es gibt ein Unvergeßliches, das an überpersönlichen Werken haftet, an Denkmalen der Weltgeschichte: Aere perennius, eherner noch als Erz ragen sie unerschüttert in den grauen Strom der Zeit und überwölben ihn. Und es gibt ein Unvergeßliches, das am Nahen, Persönlichem, Intimen haftet, am Zauberkreis einer Atmosphäre, die eine Persönlichkeit um sich bildet, reift.

Die Persönlichkeit Dr. Friedrich Funders! Ihre Verbindung mit Oesterreichs Schicksal, Politik und Kultur, mit dem letzten Vierteljahrhundert Alt - Oesterreichs, der letzten Großmacht Mitteleuropas, und mit dem ersten Vierteljahrhundert Neu - Oesterreichs, dem kleinen zuckenden Herzkern Europas, gehört der Geschichte an. Der Vergangenheit, die freilich immer Gegenwart und Zukunft wirkt. Die Ausstrahlung dieser Persönlichkeit schuf aber noch etwas anderes: im nahen Umgang des täglichen Verkehrs, in jener Sphäre des Täglichen, die sich dem Sagbaren, Erklärbaren so oft entzieht. Friedrich Funder und seine „Furche“, welch intime Einheit des Mannes und seines Werkes. Vielleicht kennzeichnet nichts so sehr die Tatsache innigster Verflechtung seiner Person mit seiner Arbeit als eben diese: seit er 1945 Hand an dieses Werk gelegt hatte, war ihm jeder Tag Festtag, Feiertag umį. Werktag zugleich. Dies kam äußerlich darin ęum. Ausdruck, daß Friedrich Funder täglich vorn frühen Morgen bis zum späten Abend in seiner Redaktionsstube zu finden war. An manchen Festtagen verschob sich der morgendliche Arbeitsbeginn wohl um die Stunde des Kirchgangs — am späten Abend aber strahlte auch dann noch das Licht aus seinem Arbeitszimmer. Der Feiertag ein Arbeitstag, jawohl — aber auch jeder Werktag ein Festtag. Das war ja das Geheimnis jener seltsam dichten Atmosphäre um ihn, randvoll gefüllt mit innerster Bewegung, Erregtheit, emsigem Schaffen und nimmerrastendem Bemühen: Friedrich Funder wußte sich in Auftrag genommen, ein Werk auszurichten, das keine Stunde Muße. Zögerung duldete und das er allein unter gegebenen Umständen auszurichten vermochte. Der alte, nimmermüde Kämpe für Groß-Oesterreichs Ausbreitung und Ehre, der Kämpfer im Parteienstreit der Ersten Republik, der KZ-Genosse vieler alter Gegner und Freunde — er wußte, daß 1945, als endlich die Waffen schwiegen, eine Sternstunde gekommen war, die es zu nützen galt. Freiheit des Vaterlandes, sie war ganz nur zu erkämpfen, wenn es gelang, dem Frieden Bahn zu brechen, in den Herzen und Sinnen der lange Getrennten. Der inneren Versöhnung zu dienen durch die neue Sprache einer wahrhaft weit- und menschoffenen Katholizität, ein Tor aufzubrechen für eine Begegnung mit dem andern, den Andersgesinnten — und mannhaft rein und lauter die Stimme zu erheben zum Schutz aller unrecht Verfolgten und ungerecht Leidenden —, das galt ihm als letzte Mission, der er bis zum letzten Atemzug diente.

Praktisch bedeutete ihm dies: härteste Zucht und schwerste Verpflichtung — sich selbst auferlegt, im Dienst eines gleichsam priesterlichen Amtes. So saß er da, in unerbittlicher Selbstkritik, nächtelang über einen Artikel gebeugt: und strich und schnitt ihn zusammen, korrigierte ihn nochmals, um ihn dann in der letzten Sonntagnacht vor dem Druck nochmals ganz neu zu schreiben, denn: er wollte ihn bereiten wie eine Glockenspeise — stark und volltönend sollte er sein, stark und klar, nie aber verletzend. Das war es, was er von sich und seinen Mitarbeitern immer wieder forderte: in offener direkter Aussprache und verhalten, leise, werbend und bittend in unsagbar feiner

Art: das Gehör für den anderen, den Bruder da draußen, den Menschen von der Straße, von der andern Seite, vom Gegenüber ...

Friedrich Funder, einer der letzten Männer Alt-Europas, trug den Kavaliersdegen einer courteoisen Gesellschaft, die sich selbst in Stand und Abstand einband in die Harmonie edler Maße. Wie tief verwundete ihn, den Liebhaber, Freund und Kenner der europäischen Kunst des 16. bis 18. Jahrhunderts, jeder publizistische Angriff, mochte dieser gegen wen auch immer gerichtet sein, wenn er seinem Ermessen nach „taktlos“ war und die Grenzen des ehrbaren Anstands, des gesitteten Verhaltens gerade dem Gegner gegenüber überschritt. Bei der Lektüre der parteipolitischen Tagespresse überkam ihn oftmals eine geradezu körperliche Versehrung: wie wenige trug er die Scham am eigenen Leibe aus, für Freund und Feind, wenn ihm das rechte Maß überschritten schien. Diese seine Haltung, die so ganz sein Arbeitsethos bestimmte, läßt sich jedoch nicht allein mit dem Duktus eines letzten Ritters erklären: sie wurzelt noch eine ganze Schicht tiefer — in einer Katholizität, in einer Christlichkeit, deren Pulsschlag von ihm im Schlag jeder Stunde dieser Zeit hier und heute Bezeugung forderte in einem verstehenden Offensein für den anderen, .

Wenn Dr. Funder so oft erst spät abends dazu kam, seine eigenen Artikel zu schreiben und die seines redaktionellen Eingangs zu bearbeiten, dann eben deshalb, weil er tagsüber überhäuft war mit Besuchen und mit dem Diktat zahlloser Briefe. Ein nichtabreißender Strom von Menschen, Hilfesucher, Bittsteller, leiblich und seelisch Bedrängter drängten an seine Tür, und ihnen ward aufgetan. Wenn je später einmal die Geschichte der geglückten und mißglückten Bestrebungen um die innere Befriedung in Oesterreich in den Jahren 1945 bis 1950 geschrieben wird, dann müßte die Ar beit Friedrich Funders ein volles rundes .Kapitel im positiven Berichtsteil dieses Werkes einnehmen. — Nationalsozialisten von gestern, Sozialisten von heute, Männer und Frauen aus aller Herren Ländern, Angehörige aller. Konfessionen, halbe Kinder und späte Greise — sie alle kamen und baten: um eine Intervention, eine Unterstützung, zumeist aber und vor allem immer wieder um. ein Wort. Dieses zu geben, als ein gutes Wort des Rats, der Unterweisung, der menschlichen, weltanschaulichen und religiösen Hilfe — als ein tägliches Brot, das mit dem anderen Brot heute zuallermeist den Menschen fehlt, hatte sich Friedrich Funder einen Briefwechsel eingerichtet, dessen schwere Last, so bedrohlich sie bisweilen auch anschwoll, ihn niemals erdrückte, weil er sie als wesentlichen Teil letzter Lebensaufgabe auffaßte,

Friedrich Funder ist einer der großen europäischen Briefschreiber eines christlichen Humanismus gewesen: der weitaus überwiegende Teil seiner Briefe umfaßt Briefe der Ermunterung, des Trostes, einer guten Tröstung. Ihre Krönung erhielten seine Briefe immer wieder, da die Adressaten vielfach Ferne, Fremde, „Andere" waren, in einer ersten persönlichen Begegnung und Aussprache, durch sie vermittelt. Von Angesicht zu Angesicht. Nicht einmal nur geschah es dann, daß nach einer solchen ersten Begegnung Dr. Funder tiefbewegt sein Arbeitszimmer verließ und sich zu seinen Mitarbeitern über den soeben verabschiedeten jungen oder alten Mann äußerte; was für ein prachtvoller Mensch! Was für eine reine, starke Natur! Kein Christ. Wieviel haben wir Christen versäumt... Wie sehr haben wir es oft am Verstehen, am Verständnis, an der Liebe fehlen lassen ...

Das also war das Letzte — und zugleich das Erste, das Alpha und Omega seines Lebens, das hier im Redaktionszimmer seiner „Furche“ so ganz mit dieser verschmolz. Das Letzte, dem er alles hingab: seine Tage und Nächte, seine Freuden und Schmerzen, die Kraft seines Geistes, und ganz und immer wieder die seines Herzens. — Eine Sendung. Ein Dienst. Ein Dienst, der ihn einforderte bis zum Letzten. Als Diener seines Herrn und seiner ersten Magd, der Kirche.

Er wußte es nur zu genau, ihm war zu kämpfen gegeben, mit einer Waffe, die wie kaum eine andere besudelt und entheiligt worden war: das Wort. Das Wort zu reinigen, wieder zu Wert bringen, zu Kern und Korn und ehrenhafter Gültigkeit... Darum feilte und zimmerte' und bosselte er so lange an seinen Artikeln und an denen seiner Freunde, weil er sich für alle verantwortlich fühlte. Das war sein Letztes: die Last der Brüder brüderlich mitzutragen, sie zur Ernte zu bringen, zur letzten Reife — in den langen übersonnten Abendstunden seines Lebenstages, in dem seine Arbeit mit Fest und Feier ebenso verschmolz wie eine letzte Unruhe mit einer letzten Ruhe. So daß im Abglanz und Schatten des Irdischen und seiner Dunkelheiten, bereits ein Vorglanz des Lichtes sichtbar wurde, in dem das Wort die irdischen Diener des Wortes erlöst.

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