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„Das unverlorene Paradies“

19451960198020002020

Gedldite zu neon Steinzeichnungen von Ernst Barlach. Von Emst Schönwiese. Gurlitt- Verlag, Wien-Lin z/München 1951, 92 Selten

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Gedldite zu neon Steinzeichnungen von Ernst Barlach. Von Emst Schönwiese. Gurlitt- Verlag, Wien-Lin z/München 1951, 92 Selten

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Was Schönheit zeugte und ein Herz gesegnet / Das zu verewigen ist mir höchstes Glück.“ Diese Verse des einstigen Julius- Reich-Preisträgers Emst Schönwiese könnten wohl über einem lyrischen Lebenswerk stehen, das wir seit dem Jahre 1935 mit immer wachsender Freude bis zur Gegenwart entstehen sahen. Der Dichter, der heute auf der reifen Mittagshöhe seiner Kunst steht, hat zeitlebens in seinem Werk dem humanistischen Ideal gedient und unbeirrbar trotz aller Zusammenbrüche an das Gute und Schöne im Menschen geglaubt. Er gehörte zu jenen, die dem Geist die Treue hielten und die auch verbuchten, diesem Gei6t, wenn er echte Aussage war, überall zum Durchbruch zu verhelfen. Davon zeugt die von ihm herausgegebene Zeitschrift Das Sitberboot. Der aufmerksame Leser seiner Verse wird vielfach Symbole des Strebens nach Selbsterlösung durch den Geist und die Schönheit wiedergefunden haben, wie sie Hans Urs v. Balthasar in seiner .Af oka- lyse der deutschen Seele als signifikant für die Dichtung des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erwiesen hat.

Der vorliegende Gedichtband — in seiner Grundkonzeption ein Zwiegespräch des in der Welt verlorenen Menschen mit seinem Gott über seine Aufgabe und Berufung — zeigt uns den Dichter in einer entscheidenden Lebenswende.

.Unruhig ist mein Herz, bis es ruhet in dir“, diese Augustinische Erkenntnis korrespondiert mit den Worten Emst Barlachs: „Ahnung und Anerkennung des Problems: Mensch wieso, wozu, warum? Das Ringen mit dem geahnten Unerreichbaren wird nicht zur Ruhe kommen.“

Ernst Barlachs neun Steinzeichnungen, die vom Ringen der Menschen um seine ewige Bestimmung künden, sowie Gedarfken dieses großen Künstlers bilden den motivischen Ausgangspunkt zu des Dichters jüngstem Werk. Und er verkündet uns darin, daß uns das Paradies nach wie vor 'unverloren ist, wenn wir uns hineinhalten in den Willen und das Herz Gottes, daß es uns und unsere Tat segne. Schönwiese ringt mit diesem Gott, der teils Züge eines deistisdien Demiurgen, teil Züge de6 echten Vatergottes trägt. Als echter Dichter weiß er um die Bezüge zum Ewigen. Davon zeugen Verszeilen besonders au6 dem Schlußzyklus des vorliegenden Bandes, der sich gleich Barlach em Wort Jakob Böhmes zum Leitmotiv nimmt: Wem Zeit wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Leid.“ Diese vielleicht schönsten Gedichte des Bandes, der im übrigen von der hohen Form und Sprachzucht des Dichters, von seiner Musikalität erneut Zeugnis ablegt, gemahnen an Angelus Süesius, aber auch an die Diktion des Stundenbuches von Rainer Maria Rilke Der tiefste und schönste Sinn der ganzen Buches, den auch jeder Christ bejahen kann, der von der einen oder anderen allzu kühnen Zeile zurückschrecken mag, ist aber doch die Verkündigung von der göttlichen Berufung des Menschen, der in Freiheit Gotte Willen erfüllen, oll. Vielleicht wird dem Dichter, der diesen schönen Band aus echtem religiösem Ringen schuf,-doch noch die Erkenntnis teil, daß wir nicht nur de eigenen Willen zur guten Tat, sondern darüber hinaus auch der göttlichen Gnade bedürfen, um wahrhaft Gottes Söhne und Töchter zu werden. Die Augustinlsthe Unruhe, die sein Werk durchwaltet, läßt es erhoffen.

Elisabeth und Essex. Von Lyttan Stra- c h e y. S.-Fischer-Verlag, Berlin. 304 Seiten.

In der langen Reihe der Monarchen, die wir in der Geschichte Englands begegnen, ist keine Gestalt von der Nachwelt so verschiedentlich beurteilt worden wie die Elisabeths aus dem Hause Tudor. Das ist begreiflich, denn- keine andere zeigt in ihrem persönlichen Leben, wie als Trägerin der Krone so viele, schier unüberbrückbare innere Widersprüche und Gegensätzlichkeiten, und keine andere läßt den Kern ihres Wesens so schwer erfassen und herauslösen aus der äußeren Schale, die durch Zufall oder den Zwang der Umstände gebildet worden war. Man versteht, daß es so wenigen ihrer Biographen gelungen ist, da6 Geoot der Objektivität zu erfüllen. Fasziniert von dem unbestritten hohen Prestige, welches die Königin zu ihrer Zeit genoß, vod ihrer außerordentlichen Begabung und von den phantastischen äußeren Erfolgen ihrer Regierung, waren die einen bestrebt, die Kehrseite der Medaille nach Möglichkeit zu verhüllen, indes die anderen wenig Positives gelten lassen wollten und das Schwergewicht ihrer Darstellung auf die zahlreichen dunklen Seiten der königlichen Historie legten. Von den einen wie den anderen hat Strachey sich ferngehalten. Er hat 6ich nicht mit der gebräuchlichen Schwarzweißmalerei begnügt, 6ondere jede Mühe aufgewendet, um ein Bild der Königin, und im besonderen auch ihrer Beziehungen zu Robert Devereux, zu entwerfen, welches in seinem Farbenreichtum und seinen Kontrasten wie in den Details der Zeichnung der geschichtlichen Wahrheit so weit als möglich gerecht wird. Die Neuauflage dieses wertvollen Buches ist daher sehr zu begrüßen.

Der Traum des Eroberers. — Zar Alexander.

Von Reinhold Schneider. Insel-Verlag, Wiesbaden.. 182 Seiten.

Das Lebenswerk Reinhold Schneiders kreist um das Problem: Versuchung und Rechtfertigung der Macht. Macht ist an sieh weder gut noch böse, nur der Inhalt, der ihr im konkreten Fall gegeben wird, macht sie gut oder schlecht. Aber der Wunsch, Macht um der Macht willen zu besitzen, hat sich als eine der stärksten Triebfedern in der Geschichte erwiesen, als die Urversuchung des Menschen, beginnend bereits im Paradiese mit dem Wort „Ihr werdet sein wie Gott. Diese Maditbessenen, und nur sie allein, haben immer wieder versucht, ihre Macht zu rechtfertigen, so daß „dieser Versuch der Rechtfertigung selbst zu einer historischen Macht geworden ist“, wie der Autor van .Macht und Gnade“ schreibt.

Das neueste Buch Reinhold Schneiders zeigt an zwei geschichtlichen Persönlichkeiten, au Wilhelm, dem Eroberer von England, und an Zar Alexander von Rußland, daß die Versuchung zur Macht“ weder eine rein abendländische noch eine rein östliche ist, sondern eine menschliche schlechthin. Eine Versuchung, die unbedenklich ist in der Wahl der Mittel, verwerfliche ebenso ergreift wie erhabene, aber durch den schlechten Zweck auch die besten Mittel verdirbt. In der Person des russischen Zaren tritt ein neuer Aspekt im Werk Schneiders zutage: ein der Macht Verfallener versucht, seine Sünden zu sühnen.

Die große Kraft Schneiders, in historischen Bildern symbolisch das „Große Welttheater darzustellen, offenbart sich auch in diesem seinem neuesten. Werk. Besonders die Zeichnung Wilhelms des Eroberers ist einmalig gelungen. Die Gestalt Alexanders von Rußland wirkt dagegen manchmal blaß, aber wahrscheinlich kann die slawische Welt kaum anders als durch Slawen gefaßt werden.

Am Ende des Buches wird der Leser nur ein Bedauern verspüren: daß Reinhold Schneider, der wie wenige den Sinn der Historie zu erfassen weiß, sich noch nie der österreichischen Geschichte zugewendet hat. Er wäre der Berufene, zu zeigen, wie sehr, es Österreichs Idee ist, das Bollwerk gegen die vom Machtrausch Besessenen zu sein, mag es sich um che Osmanen, Friedrich von Preußen, Bismarck odee Napoleon handeln.

Einführung ln die musikalische Formenlehre. Uber Formprinzipien in den Inventionen J. S. Bachs und ihre Bedeutung für die Kompositionstechnik Beethovens. Von Erwin Ratz. Österreichischer Bundesverlag, Wien 1951. 248 Seiten.

Ein Goethe-Wort bildet den Ausgangspunkt: .Den Stoff sieht jedermann vor 6dchf den Gehalt findet nur der, der etwas dazuzutun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meinsten.“ Indem Ratz dieee dreifache Wirkungsform des Kunstwerks im Sinne einer Wertskala ausdeutet, bekennt er sich zu einer vertieften Auffassung der musika- lisdien Formenlehre, die über bloßes Erkennen äußerer Formenmerkmale zum Aufzeigen jener „Gesetzmäßigkeiten“ vorstößt, „die einer einmaligen Anordnung von Tönen Sinn und Zusammenhang verleihen“ und Antwort geben auf die Kernfrage, .worauf denn jene .Ganzheit' beruht, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Diese .funktionelle Formenlehre versteht es, durch Einbeziehung von Inhaltsproblemen bereits den einfachsten Formtypen erhöhte Bedeutsamkeit zu geben. Klare Begriffsbestimmungen schaffen die Voraussetzung für vorzügliche Analysen, durch die auch der fachlich nicht geschulte Leser tiefen Einblick in den Schöpfungsvorgang gewinnt und des Erlebnisses teilhaftig wird, wie über die Ausdruckskraft der thematischen Substanz hinaus .die Form selbst zum Träger des Ausdrucks wird“. Nach Einführung in die Gestaltungsprinzipiien Beethovens wendet 6ich die Darstellung in einer in der Fachliteratur bisher nicht gepflegten Intensität zunächst den Badischen Inventionen zu, an ihnen das Walten homophoner und polyphoner Prinzipien erhellend. Mit den hier erarbeiteten Erkenntnissen gelingt der Nachweis, daß in den Werken beider Meister die gleichen Gestaltungsprinzipien wirksam sind, ja, daß bei Beethoven oft erst die Kenntnis der in den Inventionen aufgezeigten Formelemente uns die Möglichkeit gibt, in komplizierteren Fällen Klarheit über den Aufbau eines musikalischen Gedankens oder eines ganzen Stüdces zu gewinnen“. Auf solcher Grundlage vermögen die Analysen etwa der F-dur- Toccata von Bach, des Scherzos aus Beethovens op. 59, Nr. 1, und der Hammerklavier- sonate mehr zu geben als die meisten früheren einschlägigen Untersuchungen.

Das wertvolle, bescheiden als Einführung bezeichnete Buch zwingt den Leser von der ersten Seite an zu aktivem Mitgehen und erreicht da6 60 oft vergeblich angestrebte Ziel, Forscher, Studierende und Laien gleicherweise zu bereichern.

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