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Das Urteil wird jetzt vollstreckt…

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16. Juni 1944. „Sie haben es ja heute gut, Herr Pfarrer”, sprach mich vormittags Oberpfarrer Köck im Gang des Landesgerichtes an. „Bei der heutigen Partie ist kein Evangelischer dabei. Aber die beiden jungen Räuber aus der Leopoldstadt, der Lakosil und der Sobotka, kommen um 18 Uhr an die Reihe.”

Mit diesem Seufzer verabschiedete sich der katholische Priester von mir und ließ mich heimwärts ziehen.

Lakosil und Sobotka. Die Verbindung dieser beiden Namen klang wie der Titel einer Firma. Und tatsächlich betrieben auch die beiden ein einträgliches Geschäft, nur daß es sich dabei nicht um eine handelsgerichtlich, sondern um eine landesgerichtlich protokollierte Firma handelte, die sich auf Einbrüche und räuberische Ueberfälle unter dem Schutze der Verdunkelung bei herannahender Fliegergefahr spezialisiert hatte. Um nicht allzuviel in das Geschäft investieren zu müssen, bedienten sich die Kompagnons einfach schon vorhandener Einrichtungen ohne Miete und Pacht. So war das Weckergeräusch im Radio das erste Alarmsignal für die ganze Belegschaft. Der bald darauf folgende Kuckucksruf war für die tätigen und stillen Teilhaber der Firma der allgemeine Mobilisierungsbefehl und das Sirenengeheul schließlich das Kommando zum Sturmangriff. Natürlich, ein gewisses Risiko für Leib und Leben mußte man schon auf sich nehmen, wenn man auf den Luftschutzkeller verzichtete und ihn ängstlicheren Mitbürgern überließ, um indessen kaltblütig ihren Wohnungen einen Besuch abzustatten. Aber es gilt eben auch hier das bekannte Sprichwort: „Wer wagt, gewinnt!”

Wenn doch die Sprichwörter nicht auch immer ihr ebenso richtiges Kontrarium hätten: Hier läßt sich zum Beispiel dem Worte: „Wer wagt, gewinnt!” das andere entgegenhalten: „Der Krug geht so lange zum Brunnen bis er bricht!”

Auch die Firma Lakosil und Sobotka sollten die Wahrheit dieses Wortes vom zerbrochenen Krtig erfahren. Eines Tages hatte die Polizei die weitverzweigte Bande mit ihren Hauptleuten Lakosil und Sobotka dingfest gemacht. Leider hatte die polizeiliche Aktion auch das Opfer eines Menschenlebens gefordert. Bei der Verhaftung des 17jährigen Lakosil, der in den Keller eines Hauses geflüchtet war, wurde einer der Polizisten von einer Revolverkugel des Lakosil tödlich getroffen, der damit vom Räuber zum Mörder geworden war.

Gegen 15 Uhr klingelte in meiner Wohnung das Telephon. „No bravo: Hier Köck. Gut, daß Sie zu Hause sind! Bitte, kommen Sie doch gleich ins Landesgericht. Ja, ja. Sie werden gewünscht. Alles Weitere von Angesicht zu Angesicht!”

Ein halbe Stunde später empfing mich Oberpfarrer Köck beim Gefängnistor.

„Nun, Herr Pfarrer, Sie haben ja saubere Bekanntschaften!”, und in seiner humorvollen Art, die ihm auch im düsteren Schatten der schrecklichen Ereignisse nie abhanden kam, setzte Köck fort: „Das hätte ich Ihnen nie zugetraut, daß Sie in der Unterwelt von Wien so gut bekannt sind! — Also die beiden Galgenvögel da drinnen, der Lakosil und der Sobotka”, fuhr Köck fort „sind wohl das Unerhörteste von allem, was mir da herinnen je begegnet ist! So eine Gemütskälte und Frivolität hat die Welt noch nicht gesehen. Wie ich sie zur Ablegung der Beichte veranlassen wollte, hat der Lakosil frech gelacht und gemeint: .Hochwürden wissen ja eh schon alles, was wir gemacht haben, wir möchten ja eh mehr als die Hälfte vergessen, denn wir haben soviel angestellt, daß man sich das überhaupt gar nicht alles merken kann.” Als mir die Lausbübereien zu bunt wurden, wollte ich die Zelle verlassen. Da rief mir der Sobotka na h: .Hochwürden, wenn Sie uns einen Gefallen erweisen wollen, dann rufen Sie doch Herrn Pfarrer Rieger!’ ,Den Herrn Pfarrer Rieger?’ wiederholte ich. Ja was wollt ihr denn von dem? Das ist doch der evangelische Pfarrer!’ ,Den kenne ich’, rief Sobotka mit Betonung. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Bekanntschaft!” Mit dieser ironischen, aber durchaus scherzhaft gemeinten Bemerkung wollte sich Oberpfarrer Köck entfernen. Ich aber ließ ihn nicht los.

„Bitte, bleiben Sie doch bis zum Schluß in erreichbarer Nähe!” bat ich ihn. ,.In einer knappen Stunde ist ja alles vorüber. Und am Ende werden die armen Kerle doch noch beichten und kommunizieren wollen.”

„Sie sind doch ein unverbesserlicher Optimist”, sagte Köck. „Wissen Sie, was die auf meine Frage: Was wollt ihr denn vom Pfarrer Rieger? geantwortet haben? ,Mit dem werden wir uns gut unterhalten.”‘

Ich betrat nun allein die Zelle. Sofort erkannte ich in Sobotka den Gefangenen wieder, den ich am Vorabend in der Zelle eines Evangelischen angetroffen hatte, wo er gerade untergebracht worden war.

„Wir danken Ihnen, Herr Pastor, daß Sie gekommen sind. Wir gehen Sie zwar nichts an, aber Sie waren gestern noch so lieb zu mir, daß ich mir gedacht habe, Sie werden ja doch kommen, wenn wir Sie bitten.”

Mit diesen Begrüßungsworten war Sobotka von der Armensünderbank aufgestanden, und während seiner Rede erhob sich auch Lakosil, der die Blutschuld auf sich geladen hatte.

III. Die beiden Schächer

„Ich bin nur froh, daß ich gerade zu Hause war, als euer Seelsorger mich anrief”, erwiderte ich und legte meine Bibel auf den Tisch.

„Was ist dös für a Büchl?” ließ sich nun Lakosil vernehmen.

„Das ist die Bibel.”

„A dös ist dös Buch, wo drinsteht, daß Gott die Welt geschaffen hat?”

„Gewiß. Es steht aber noch mehr darinnen. Es steht auch darinnen, daß Gott die Welt nicht nur geschaffen, sondern daß Er sie auch geliebt hat. Ich zeige euch gleich die Stelle. Da, seht her, sie ist sogar fett gedruckt. Johannes 3, 16: Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.’”

Und nun versuchte ich, in der letzten Gnadenfrist von einer halben Stunde die beiden armen Seelen für den Heiland zu gewinnen.

„Gott hat die Welt geliebt. Das steht hier in der Bibel im Johannesevangelium, Kapitel 3, Vers 16. Diese Behauptung hängt nicht in der Luft, sondern sie steht auf geschichtlichem Boden. Das heißt, es ist wirklich einmal etwas geschehen, woran wir Menschen erkennen können, daß Gott die Welt geliebt hat und noch immer liebt. Und das will ich euch jetzt erzählen.”

Und nun begann ich, den beiden in aller Eile an Hand der Bibel, wo ich ihnen alle einschlägigen Stellen zeigte, die auf die Erlösung der Welt Bezug haben, das Evangelium zu verkündigen.

Durch die Stille der Todeszelle klang das Wort vom Kreuz. Mit fester Stimme las ich ihnen vor:

„Es wurden aber auch hingeführt zwei andere Uebeltäter, daß sie mit Ihm abgetan würden.”

Da schoß mir ein Gedanke durch den Kopf: „Laßt mich auf eurer Bank zwischen euch Platz nehmen! So, jetzt sitzen wir erst richtig, einer rechts, der andere links, so bin ich jedem von euch gleich nahe. Und nun hört weiter, was ich euch vorlese”:

„Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie Ihn daselbst und die Uebeltäter mit Ihm, einen zur Rechten (jetzt legte ich meinen rechten Arm um Lakosil) und einen zur Linken (jetzt zog ich mit dem linken Arm Sobotka ganz dicht zu mir). Jesus aber sprach: ,Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!’ “

„Hat Er da für die Verbrecher gebetet?’ unterbrach an dieser Stelle Lakosil die Lesung.

„Gewiß waren auch sie in diese Fürbitte Jesu eingeschlossen. Zunächst hat Er allAdings für Seine Feinde gebetet, die Ihn ans Kreuz ge schlagen haben. Aber ich meine, diese Fürbitte Jesu gilt für alle. Denn auch heute noch muß der Heiland, wenn Er auf die Erde blickt und sieht, was hier die Menschen alles treiben, für sie beten: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.”

Die biblische Vorlesung nahm wieder ihren Fortgang:

„Und sie teilten Seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand und sah zu. Und die Obersten samt ihnen spotteten Seiner und sprachen: Er hat anderen geholfen; Er helfe sich selber, ist Er Christus, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten Ihn auch die Kriegsknechte, traten zu Ihm und brachten Ihm Essig und sprachen: Bist Du der Juden König, so hilf Dir selber! Es war aber auch oben über Ihm geschrieben die Uebersehrift mit griechischen und lateinischen und hebräischen Buchstaben: Dies ist der Juden König.

Wieder unterbrach mich der Siebzehnjährige: „Herr Pfarrer, glauben Sie denn wirklich, daß nach dem Tode noch etwas kommt? Ich hab’ immer geglaubt: Mit dem Tod ist alles aus.”

„Nein, mein Freund, mit dem Tod geht erst alles an. Da kommt noch sehr vieles nach!”

Da beugte sich Lakosil weit zurück und rief hinter meinem Rücken vorbei seinem Gefährten zu:

„Hörst, Sobotka, wenn das wahr ist, was der Herr Pfarrer sagt, dann kommt aber für uns etwas Schlimmes nach!”

„Das muß durchaus nicht der Fall sein”, rief ich dazwischen. „Es kann sogar etwas Wunderschönes nachkommen. Hört ijiir nur weiter zu, was ich. euch verlese!”

‘5 „Aber der Uebeltäter einer, ,die. da : gehanki, waren, lästerte Ihn und sprach: .Bist Du Christus, so hilf Dir selbst und uns!’

Da antwortete der andere, strafte ihn und sprach: .Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Und zwar wir sind billig darin, denn w i r empfangen, was unsere Taten wert sind.’ (.Wir aber auch!’ rief Lakosil dazwischen.) .Dieser aber hat nichts Ungeschicktes getan.’

Und er sprach zu lesus: .Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst!’

Und Jesus sprach zu ihm: .Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!’”

Mit zunehmender Ergriffenheit hatten die beiden Uebeltäter dieser Erzählung gelauscht. Stumm und nachdenklich saßen sie jetzt zu meiner Seite. Da ergriff ich ihre Hände und sprach:

„Burschen, ich habe noch nie in meinem Leben Menschen den Rat gegeben, sie sollen sich an einem Verbrecher ein Beispiel nehmen. Ihr seid die ersten, denen ich diesen Rat gebe. Nehmt euch jetzt ein Beispiel an dem Schächer, der neben Jesus am Kreuze stirbt. Was könnt ihr denn von ihm lernen? Das, was jetzt das Allerwichtigste für euch ist. Dieser Mensch bekennt in seiner Sterbestunde vor Gott und der Welt seine Sünde. Laut ruft er. es dem Spießgesellen seiner Verbrechen zu: Wir empfangen, was unsere Taten wert sind. Und zugleich gibt er dem Heiland die Ehre: Dieser aber hat nichts Ungeschicktes getan. Freilich diese Selbsterkenntnis hätte dem Mann nicht geholfen, im Gegenteil, die bloße Erkenntnis seiner Sünde hätte ihn in seiner Sterbestunde, wo er nichts mehr von seiner Schuld gutmachen konnte, nur in die Verzweiflung getrieben, wenn er nicht noch einen zweiten Schritt gemacht hätte: Den Schritt von der Sündenerkenntnis zum Glauben an die Sündenvergebung. Dieser Glaube bricht in seinem Herzen durch, als er Jesus für Seine Feinde beten hört: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. In der letzten Stunde seines Lebens lernt der Schächer am Kreuz: Der Mann mit der Dornenkrone in unserer Mitte vermittelt den Menschen die Vergebung der Sünden. In der letzten Stunde seines Lebens gelangt der Mann zum Glauben an den Sohn Gottes und kommt dadurch in das Himmelreich. Ganz hilflos, ganz arm und wehrlos hängt Jesus am Kreuz, und dennoch spricht der Schächer zu ihm: Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Rcich kommst! Er nennt Ihn einen Herrn, obwohl Menschenaugen nichts Herrliches mehr an dem Gekreuzigten schauen können. Seht, das heißt Glaube) Und er nennt Ihn nicht nur H e r.r, sondern er glaubt auch fest und zuversichtlich, daß allein dieser Herr die Macht hat, Sünden zu vergeben. Denn nur so hat seine Bitte einen Sinn: Gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst! Wenn Gott vergibt, dann existiert das Böse, das wir getan haben, nicht einmal im Gedächtnis Gottes, so völlig ausgelöscht und vernichtet sind unsere Sünden durch Seine Vergebung. Wir Menschen können nichts vernichten. Wir können wohl zerstören, wir können etwa ein Haus zerstören, aber wir können den Stoff des Hauses nicht aus der Welt schaffen, die Trümmer des zerstörten Hauses bleiben vorhanden. Vernichten kann nur der, der aus dem Nichts erschaffen kann. Und das ist Gott allein. Im Akt der Sündenvergebung geht Gott den umgekehrten Schöpfungsweg, Er schafft etwas ins Nichts zurück, Er wirft unsere Sünden hinter sich zurück (Jes. 38, 17), das heißt. Er wirft sie in das Nichts, wir sind durch die Vergebung vor Ihm rein geworden. Und wenn d u, lieber Bruder Sobotka, und du, lieber Bruder

Lakosil, das von ganrem Herzen glaubst, dann spricht dein Heiland und Erlöser im selben Augenblick zu dir: Heute wirst du mit Mir im Paradiese sein!”

Jetzt ergriff Sobotka das Wort:

„Herr Pfarrer, dürfen Sie uns die heilige Kommunion geben? Wir sind doch katholisch?” „Ich würde es sofort tun. wenn kein kathozu ihnen! Beide wollen beichten und kommunizieren.”

Die letzte Viertelstunde im Leben dieser beiden jungen Menschen reichten gerade noch aus zur Ablegung der Beichte und zur Feier der heiligen Kommunion.

Ein kurzer Dank, ein kurzes Abschiedswort.

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