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Das verlorene Geschlecht

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In ihrem auf Sigmund Freud basierenden Buche „Eine Frau über Frauen“ zitiert Marianne Leibi ein amerikanisches Werk: „The modern women, the lost sex.“ Dieser Titel läßt aufhorchen. Wie können die modernen Frauen, die gegenüber ihren Schwestern von 1900 so erstaunlich vorangekommen sind, als „verlorenes Geschlecht" bezeichnet werden?

Verloren“ ist ein trauriges Lieblingswort unserer Zeit geworden. Verlorene Kriege, verlorene Heimat, verlorene Menschen! Wohl am schärfsten zeichnet Gottfried Benn „Das verlorene Ich“, hineingestellt in die Unendlichkeit des Kosmos, in eine „zerdachte Welt", und blendet die ganze Verlorenheit des modernen Menschen auf mit den Fragen: „Wo endest du, wo lagerst du, wo breiten sich deine Sphären an?..., woher, wohin? ... Du möchtest dir ein Stichwort borgen, allein, bei wem?", .

Sphäre und Stichwort, Standort und Lebenssinn, das ist es, was der Mensch unserer Zeit, was auch die moderne Frau verloren hat.

Wenn Otto Karrer in seinem Buch „Die Seele der Frau" bemerkt, daß es der Frau nicht gelungen sei, „den Männerstaat mit fraulichen Idealen zu durchsetzen", so könnte noch erwidert werden, daß die männlichen Bereiche der Politik, der Wirtschaft und der Technik niemals die Sphäre der Frau gewesen seien. Auch das aktive und passive Wahlrecht brachte die Frau der Politik, dem gefährlichsten Spannungsfeld der Gegenwärt, nicht näher, um so weniger als Frauen nur ganz selten zu wirklichem Einfluß und zu finanziell unterbauten politischen Möglichkeiten zugelassen sind. Ebenso liegt der Frau die Domäne der großen wirtschaftlichen Belange fern, wenn eie auch in so vielen Haushalten die Geldbörse verwaltet und daher auch wohl mehr Einfluß in der Volkswirtschaft verdiente. Das Gebiet der Technik wird der Frau immer fremder, erscheint ihr mit so manchen Erfindungen immer gefährlicher. Es ergeht ihr da ähnlich, wie es Antoine de Saint-Exupery, der französische Dichterpilot, von seiner Frau erzählt, die nach dem ersten Flug durch Wind und Wolken sich über ein armseliges Gänseblümchen auf dem Landungsplatz neigte und meinte: „Du bist doch etwas von meiner Art."

Entscheidend aber wird für die moderne Frau der Verlust der ihr jahrhundertelang zugehörigen Sphäre, der Vedust des Heimes als des Mittelpunktes ihrer Familie. Vielfach hat die Frau heute ihren Standort aus dem Heim in Betriebe und Büros, in Maschinenhallen und Verkaufsläden verlegt. Aber auch dort, wo sie selbst im Heim verbleibt, hat dieses seinen guten alten Sinn, der Ort der Ruhe und des Behagens für alle Familienglieder zu sein, verloren. Die moderne Frau bringt nicht mehr jene seelischen und geistigen Kräfte auf, um die unheilvollen Einflüsse der sogenannten Zivilisation zu bannen. Die heranwachsenden Kinder und der Gatte, oft genug auch sie selbst, streben nach außen und nicht mehr heimwärts, Sport und Film, Motorrad und Freundschaft führen jedes zum Feierabend, zum Wochenende, über die Festtage in eine andere Richtung. Und nachdem sie dort, wo sie bislang als Seele des Daheim unvertretbar und unersetzbar war, unterlegen ist, lassen sie Werkküche und Nylonwäsche nur mehr als kostspielige Haushälterin erscheinen.

Besonders grell scheint die Verlorenheit der Frau in der modernen Ehe auf. Noch vor einigen Jahrzehnten war die verheiratete Tochter „versorgt", geborgen in der Sicherheit einer unauflöslichen Ehe. Wieviel besagt es aber, wenn bei uns zwischen 1945 und 1950 68.000 Ehen, mehr als ein Drittel der geschlossenen Ehen, geschieden wurden! Und wenn die Statistik dazu berichtet, daß im Jahre 1950 von 23.356 Ehen nur 7459 vor dem Altar geschlossen wurden, dann beweisen diese Zahlen, daß die Frau heute auch in Österreich keinen Wert auf die Unauflöslichkeit des Ehebundes legt, daß sie sich freiwillig und bewußt in eine Unsicherheit begibt, die gerade für sie zum Sichverlieren führen kann.

Glanz und Ruhm, Sicherheit und Wert der Frau und Mutter von einst waren ihre Kinder. Sie banden auch den imverläßlicheren Ehepartner, sie bedeuteten ein einmaliges und unersetzbares Lebenswerk für Staat und Gesellschaft. Die Statistik meldet, daß in Österreich 42 Prozent aller Ehepaare kinderlos sind und 25 Prozent nur ein Kind haben. Durch diesen ihren ureigensten Abfall von der ihr durch Natur und Geschlecht auferlegten Aufgabe erklärt die moderne Frau, daß sie sich selbst für unwertes Leben erachtet, das weiterzugeben sich nicht lohnt. Und schon ersetzt die moderne Wissenschaft im modernen- Staat ihre bisher unersetzliche Leistung und schaltet sie als Geschlechtswesen und Mutter zukünftiger Geschlechter reihenweise aus: künstliche Befruchtung kann in Zuchtweibchen Kinder erzeugen und staatliche Aufzuchtanstalten können sie großziehen. Soviel die Öffentlichkeit an diesem Abfall der Frau von ihrer natürlichen Pflicht auch Schuld haben mag — was bedeutet eine Mutter von körperlich und geistig gesunden und wohlerzogenen Kindern auch heute schon in der Öffentlichkeit gegenüber einer Frau mit akademischem Titel oder gar gegenüber einer Sportgröße oder Filmdiva? —, die letzte Ursache dieser Verlorenheit ist die moderne Frau selbst, für die die Frage:

Kind oder Auto, Kinder oder Weekendvergnügen und Sommerreisen, von vornherein entschieden ist. Ihr gilt in seiner ganzen Schwere die Frage Nietzsches: „Bist du ein solcher, der einem Joch entrinnen durfte? Es gibt manchen, der seinen letzten Wert wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf! “

Daß die Frau dieser Zeit innere Freiheit und äußere Würde verloren hat, beweisen auch noch andere statistische Zahlen. Von. 4171 Geburten aus den Jungehen des Jahres 1950 kamen 10 Prozent der. Kinder nach neunmonatigem Eheleben, 90 Prozent schon früher zur Welt. Die sexuelle Bereitwilligkeit der modernen Frau läßt sie dem Manne immer mehr als Lusterreger erscheinen, der ausgewechselt werden kann wie eine Zigarettensorte. Literatur und Presse, Film und Rundfunk nehmen diese grenzenlose Mißachtung der Frau auf und schänden sie in tausend perfiden Witzen, in gemeinen Filmen und auf der Bühne. Die moderne Frau aber erkennt nicht mehr,wie sehr die Zeit sie abgeschrieben hat als menschliches Wesen mit Seele und Geist. Sie findet jene wenigen Menschen lächerlich, die gegen ihre Schändung pro testieren.

Von der zunehmenden Verlorenheit der Frau in dieser Zeit bleibt aber auch die ernsthafte und verdienstvoll im Beruf arbeitende Frau nicht ausgenommen. Durch einen Masdiinenberuf ausgedörrt oder durch einen persönlichen Beruf überlastet — ünd je wertvoller ihre Leistung, um so mehr beansprucht —, merkt sie nicht, wie sie die Arbeit immer mehr verschlingt, wie sie für Kult und Muße immer weniger Zeit hat und damit ihre geistige Existenz aushungert und ihr seelisches Leben verkümmern läßt.

Der Verlorenheit der modernen Frau ist, wie die Entwicklungstendenz der Zeit beweist, auf rein weltlichem, diesseitigem Gebiet nicht mehr beizukommen. Wissenschaft und Technik können in der Zukunft die Leistungen der Frau auf allen Gebieten nicht ersetzen, in einer Weit.

der die tiefsten Werte der Frauenseele durch Frauenschuld verlorengegangen sind. Soll die Frau ihre Stellung im Weltenplan, soll sie ihren Wert als Mensch in ihrem Geschlecht wiederfinden, dann braucht sie ein neues Stichwort, eines, das überzeitlich und im letzten Sinn überweltlich ist... Und wieder die Frage des Dichters: „... Du möchtest dir ein Stichwort borgen, allein, bei wem?“

Dieses Stichwort wurde der Frau in der entscheidensten Stunde der Weltgeschichte vorgesprochen. Nur als „Magd des Herrn" findet die moderne Frau ihren Standort, ihre Sphäre auch in der Zeit eines Weltumbruches ohnegleichen. Ihre Lebensmitte liegt im Schnittpunkt von Gottverbundenheit und Menschendienst. Sie erschaut ihre Pflicht in der Welt, wie immer diese noch aussehen mag, im Lichte dieses hohen Auftrages und weiß sich geborgen in Seinem Willen.

Denn alle Verlorenheit ist Gottlosigkeit.

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