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Das war im April 45

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Das war Wien In der zweiten Aprilhälfte 1945: die Glutwelle der Schlacht war eben über die Stadt hinweggebraust. Trümmer, rauchende Brandstätten, Chaos und Zerstörung, und dazwischen das erste schüchterne Regen des Versuches, wieder Ordnungsfaktoren aufzubauen. Hunderte ' und tausende Menschen, die das Geschick des Krieges in die inneren Stadtteile ge-, zwungen hatte, irrten durch die Etappen-j linien der russischen Truppen, die noch | vor St. Pölten kämpften, zu ihren Wohn-; statten. Oft drängten sich in den un-; zerstört gebliebenen Häusern bei Freun-, den und Bekannten viele Verirrte zu-| sammen, die noch gar nicht wußten, ob ihre Lieben und ihr Hab und Gut un-j versehrt waren.

So fanden einige junge Meeschen in der I stillen Annagasse im 1. Bezirk gastfreundliche Unterkunft bei einer Familie, die I während der schwierigsten Tage vielen j Heimatlosen geholfen hatte. Eines Nachmittags, als wir mit unserem väterlichen Freund Professor T h a u r e n die Möglichkeiten der zukünftigen Arbeit besprachen, erreichte uns die Nachricht, daß Doktor Fundei zu uns kommen werde. Es war fast unfaßbar, wie es ihm, dem über Siebzigjährigen, gelungen war, dreißig Kilometer weit zu Fuß aus Baden zu kommen und alle Sperren und Hindernisse zu passieren. Im kleinen Studierzimmer Professor Thaurens trafen wir zusammen: für mich eine unvergeßliche Stunde; ich kannte den alten Journalisten, der noch in den glanzvollen Tagen Alt-Österreichs eine, bedeutsame historische Rolle gesoielt hatte, nur aus historischen Quellen und aus den Erzählungen einstiger Mitarbeiter.

Um so mehr berührte uns alle die Idee, welche Dr. Funder in knappen, sachlichen Ausführungen vortrug, nämlich eine repräsentative, auf katholischem Boden stehende, aber allen Gutwilligen zum Gespräch offenstehende, dabei parteiunabhängige Wochenzeitung zu gründen, deren besondere Aufgaben in der Niederkämpfung von Entzweiung und Haß und im Wiedererwecken des österreichischen Heimat- und Geschichtsgefühls, aber auch in der Aufschließung der Tore zur Welt liegen müßte. Wir trafen uns sofort in der Ubereinstimmung der Meinungen über die Gestaltung des zukünftigen Blattes.

Ein Vorbild irgendeiner Publikation der letzten Jahrzehnte war nicht da, es mußten also völlig neue Wege begangen werden. Auf die Jugend, vor deren Augen eben eine Welt zusammengebrochen war, wurde schon in dieser Stünde besonderer Wert gelegt. Ihr sollte einmal das Werk, das hier erst im Keimen war, überantwortet werden, bereichert um den Erfahrungsschatz der Generation, die noch das große alte Österreich gesehen hätte. AI ich bewußt das englische Beispiel der fortdauernden lebendigen Tradition durch eine harmonische Zusammenarbeit zwischen der Jugend und der Alterserfahrung in der praktischen Tätigkeit für das öffentliche Leben erwähnte, fand dieser Gedankengang sofort Zustimmung.

Diesem Gespräch folgten andere, unsere Zusammenarbeit wurde methodischer, Professor Thauren nahm daran initiativen Anteil. So entstand die Idee der „Furche“. Aber wie lange, allzu lange für unsere drängenden Energien, dauerte die Verwirklichung! Jeder war durch die Not des

Alltags, durch Berufssorgen, durch die grauenvolle Verwirrung in der entseelten Stadt gebunden und tausendfältig festgehalten durch den Kampf mit der Not des Tages. Da und dort erschienen zwar in den nächsten Monaten bereits die ersten Zeitungen, auch in der Strozzigasse regte sich das erste Beginnen. An dem traditionellen Zeitungshatis der führenden christliehen Presse, von dem Dr. Funder bei seinem ersten Marsch nach Wien Besitz ergriffen hatte, rechtmäßiger Vertreter der 1938 daraus vertriebenen Eigentümer, waren inzwischen in harter Arbeit die ärgsten Merkzeichen des Krieges beseitigt worden. Im Umkreis des Hauses reihte sich Ruine an Ruine, aber die künftige Heimstätte der „Furche“ hatte eine glückliche Fügung bewahrt. Unter dem vorbildlichen Zusammenstehen der geistigen und manuellen Arbeiter wurde der Druckereibetrieb in Gang gesetzt. Ein jeder von uns fühlte jeden Schritt vorwärts wie seinen eigenen Gewinn. Für das Erscheinen der „Furche“ waren im Frühsommer 1945 alle Voraussetzungen getroffen. Dem Herausgeber der zukünftigen Publikation, der sich mit Leidenschaft in die Arbeit geworfen hatte, hatten sich die ersten Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Vor allem inzwischen Dr. Z i m-mer-Lehmann, der wie ein Magnet immer wieder neue Kräfte sammelte. In dem kleinen Redaktionszimmer war eines Tages auch unser unvergeßlicher Dr. Emil Mika. Ein fester Händedruck zwischen uns beiden, die wir durch das gleiche Fachgebiet der Historie und durch das Lieblingsthema Alt-Österreich verbunden waren, besiegelte eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die der Tod Dr. Mikas, der in den ersten Monaten des Beginnens Unendliches für die ideelle Gestaltung leistete, leider so jäh unterbrach. Aber es war noch lange nicht so weit. Wir wollten schon in den ersten Nummern, gemäß der Grundidee, zu dem ungeheuren Geschehen, das sich in rasendem Ablauf eben vor unseren Augen vollzogen hatte, Stellung nehmen.

Die Beschaffung des Materials stieß auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Es gab noch keine ausländischen Zeitungen für Österreicher, keine geregelten Nachri“h-tenquellen, und nur durch zufällige Kontakte und persönliches Verständnis amerikanischer und englischer Freunde erhielten wir die ersten Bücher und Zeitschriften! die uns wertvolle Unterlagen boten.

Dabei war jeder Weg und jede Fühlungnahme schon ein Problem verkehrstechnischer Natur, und ohne Fahrrad, dem damals wichtigsten Verkehrsmittel, kaum zu bewältigen. Bald langten die ersten Studien und Manuskripte ein. Die Sammlung des Mitarbeiterkreises gedieh von Tag zu Tag. Es war ein freudiges Beginnen, voll an Optimismus, obgleich vor der Tür auf jeden einzelnen der Hunger lauerte.

Am 27. Oktober 1945 erreichte mich ein Brief Dr. Funders, in dem er mir gleichzeitig die Planschrift über die Herausgabe der „Furche“ übermittelte. Trotz dieses Aufrufes, der damals an so viele hinausging, bedauerte Dr. Funder in seinem Brief, daß die Herausgabe noch verzögert wurde, weil der eben anlaufenden Wahlkampagne zur ersten Nationalratswahl verständlicherweise die geringen Papiermengen, die in Wien vor der Zerstörung hatten gerettet werden können, zur Verfügung gestellt werden mußten.

Endlich war es aber doch so weit, daß die ersten Exemplare hinausgehen konnten. Verzögerungen und Mißstände durch Schwierigkeiten der Papierversorgung, durch Strommangel und Not gehörten zum Tagesprogramm. Allmählich wurden die Redaktionsräume wöchentlich ein richtiges Ausspracheforum, und Dr. Mikas weitblickender politischer Sinn sprach damals in mancher erregten und leidenschaftlichen Debatte bereits über zukünftige Entwicklungen in unserem Volke, denen wir nur mit größter Unparteilichkeit und dem heißen Wollen zur echten inneren Befriedung begegnen konnten. Und immer, wenn ein Problem drängte oder eine Formulierung dem einen oder anderen schwerfiel, war es der Herausgeber selber, der gerade den jungen Mitarbeitern nicht nur seinen Rat schenkte, sondern auch seine karg bemessene Zeit frei-giebigst zur Verfügung stellte, um Unebenheiten zu glätten, Erfahrungen seines reichen Lebens an seine jungen Freunde weiterzugeben und nicht zuletzt manches persönliche Leid zu lindern. Wie viele Ideen und Entwürfe reiften nicht damals wöchentlich bei unseren Aussprachen! Und aus dieser glücklichen Verbindung zwischen Tradition und Gegenwartsnot erwuchs das rasch aufblühende und zu Geltung gelangende Werk, dem wir uns alle seither verbunden fühlen.

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