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Das Wenige war mehr

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In Berlin sind in diesem Jahr die wohlausgewo-gensfen und niveauvollsten Filmfestspiele ihrer achtjährigen Geschichte zu Ende gegangen. Das heißt nicht, daß nun alle Filme Festspielsensationen waren, aber aus dem Weniger der Filme im Vergleich zum Vorjahr ist ein Mehr an Qualität geworden. Es waren in der Mehrzahl Filme, welche eine Auseinandersetzung oder zumindest das Kennenlernen lohnten. Damit war auch die Aufgabe der Spielfilmjury, deren Vorsitz der Filmregisseur und Produzent Frank Capra übernommen hatte — unvergessen als Schöpfer der Filme „Es geschah in einer Nacht“ und „Mr. Deeds geht in die Stadt“ —, nicht die, zwischen Wert und Unwert, sondern zwischen Gut und Besser zu unterscheiden.

Wenn der Goldene Bär dem schwedischen Film Ingmar Bergmans „Am Ende des Tages“ zugesprochen wurde, der Geschichte eines alten Professors, der in der Nacht vor seiner Ehrenpromotion in einem Traumerlebnis Rückblick auf sein Leben hält und damit nach der Begründung der Jury „das Schicksal des Alterns überhaupt“ darstellt, und wenn ein silberner Bär und der Große Preis des Internationalen Katholischen Filmbüros dem indischen Film „Zwei Augen — zwölf Hände“ zuerkannt wurden, einem Film, der den Versuch eines Kerkermeisters, aus zwölf Sträflingen durch Einsatz an eine Aufgabe wieder Menschen zu machen, ethisch und dichterisch als Filmerzählung gestaltet, zuerkannt wurde, so zeigt diese Auswahl schon, daß nicht bloß Artistik, sondern der Vorstoß ins Menschliche da war. Keine Debatte konnte auch ■ die Auszeichnung Anna Magnanis als beste Schauspielerin in dem amerikanischen Film „Wild ist der Wind“ hervorrufen. Die Urgewalt ihrer Persönlichkeit macht eine sauber gezimmerte Dutzendgeschichte von der schuldig gewordenen zweiten Frau, welche gegen die Erinnerung an ihre verstorbene Schwester, die erste Frau ihres Mannes, ankämpft, zu einem starken-Erlebnis. Erschütternd nahe kommt europäischen Jugendproblemfilmen in seiner Mischung von hartem Realismus und Poesie der japanische Film „Geschichte einer wahren Liebe“. Tadashi Imai, der dafür den Preis für die beste Regie erhielt, erzählt darin das Schicksal zweier Waisenkinder, welche zwischen verwahrlosten und verbrecherischen Spielgefährten und Erziehungshäusern vergeblich der Erfüllung ihrer Liebe zustreben.

Dominierendes Thema der Filme des Festivals: die Angst, die Erinnerung an den vergangenen Weltkrieg„.SU;ifluiden TtnnharfWft in dem Schweizer, Eröffnungsfilm „Ang?t vor dqr Gewalt“, dem amerikanischen Zeitfilm nach Re-marque „Zeit ru leben und Zeit zu sterben“, eine Paraphrase aus dem zweiten Weltkrieg zu „Im Westen nichts Neues“. Ein neuer, ernster Rühmann in dem Schweizer Kindesmörderfilm „Es geschah am hellichten Tag“, großartig der britische Beitrag aus den Kämpfen um El Alamein „Eiskalt in Alexandrien“.

Berlin ist eine zweigeteilte Stadt Die Sowjetunion fehlt bei den Festspielen, aber der Osten ist spürbar. Die Defa lud nach Ostberlin und zeigte einen Propagandafilm der Serie „Teutonenschwert“, durch welche Generäle, wie Speidel u. a. entlarvt werden sollen, im Westen sprach der Minister für gesamtdeutsche Fragen, Lemmers, gebürtiger Berliner, sehr klug und versöhnlich über den Film als Mittel der Verständigung. Es waren zwei Veranstaltungen in derselben Stadt, und hüben und drüben sprachen die Menschen deutsch. Dem Zuhörer aber, der von außen kam, war es, als ob sie verschiedene Sprachen sprächen, deren Worte hier und dort nicht mehr dasselbe bedeuten.

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