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Das Wirkliche

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(7. Fortsetzung)

„Damals veranlaßten mich berufliche Gründe, die ferne Stadt wieder zu besuchen. So fuhr ich vorzeitig, gerade noch früh genug: am nächsten Tag wurde Hermann Waldner entlassen, um sich im Rekonvaleszentenheim seiner Heimat gänzlich zu erholen; es galt ja auch noch einen Nerven- chock zu überwinden.

Wir fuhren miteinander dem Ländchen zu. Ich habe den äußeren Glanz jenes Tages, seinen blauen Himmel und die sattgrünen Felder noch so im Gedächtnis, als wäre es gestern gewesen. „

Hermann Waldner stierte dumpf vor sich hin, ich wollte ihm dies und jenes zeigen, unwillig aber wandte er sich ab. Ein anderer hätte ihn streng gemahnt, Gott nicht zu versuchen. Ich fühlte jedoch zutiefst die Erschütterungen dieses Menschen, um ihn selbstgerecht zu verweisen. —

Er verstrickte sich täglich mehr und die Teilung seines Herzens ging in seinen Verstand über, unkontrollierbare Wucherungen, die ihn wie eine Neubildung am Leibe befielen, während Verena stets tiefer in ihre .Teile’ wuchs, jeden mütterlich umfing und nun endlich auf seinen Besuch gerüstet zu sein schien. — Ich hatte ihr nicht verraten, daß er geheilt in der Nähe wohne. Seine Briefe an sie schickte er jeweils an seinen Freund in das frühere Spital, so daß der Aufgabenstempel als falsche Bestätigung ausgenützt wurde. Ich wollte aber diesen Betrug nicht mehr länger dulden, zumal sie sich jetzt wieder kindlicher ihrer Aufgabe anvertraute und Pläne machte, diie einer mutigen, klugen Frau zum Stolz gereichten.

Eines Tages klärte ich sie auf. Totenbleich saß sie da, während ihr Tränen über die Wangen rannen. Aber sie rührte sich nicht, nur, daß sie dann ihre Augen schloß und das leise Zucken um den Mund nicht mehr zu bewältigen vermochte. Als sie aufstand, sagte sie einfach: Ich werde dennoch da sein, wenn er mich braucht. Und ihre Tränen kollerten unaufhörlich über die blassen Wangen.

Später aber war sie wieder tapfer und überwand es auch, als Hermann Waldner kam.

Ich weiß nicht, was sie miteinander gesprochen haben. Er trat wie ein Kind in mein Zimmer, über diese Frau fassungslos, stammelnd: „Eine Heilige” — und dann nach langem Schweigen: „Ich unflätiger Kerl! Muß das so sein?!”

„Ja, das muß so sein”, half ich ihm weiter, und er war erstaunt, daß ich mich zu ihm bekannte.

Nach diesem Besuche trafen wir uns längere Zeit nicht mehr; die Erkundigungen klangen beruhigend: er lebe still und zurückgezogen, ein Mensch, der sich vollständig verändert habe.

Gegen Mitte September, Verena war gerade nicht da, besuchte er mich wieder. Er war schwerfällig geworden, sogar das Wort war ihm nicht mehr so willig wie früher. Schließlich erzählte er, die nächsten Wochen reise er fort, einen Posten anzutreten.

„Verstehst du das nicht? Ich habe alles andere versucht, aber es nützt nichts! Die Versuchung ist zu beständig. Ich ertrage es einfach nicht mehr länger, jeden Tag von seinen Wundern überwältigt zu werden. Bei Rogen, Sonnenschein, Tag, Nacht, Sturm, Stille —- und immer wieder versucht zu werden: Gott, du hast mit mir gespielt, jetzt spiele ich mit dir! Ich erschaffe deine Wunder neu! Ich korrigiere dich! O — und dann zu ahnen, alle gewalttätige Auflehnung wäre doch nur ein lächerliches Spiel — nicht ein Spiel, wie er es spielt, sondern ein menschliches, überdrüssiges, eine Verniedlichung aller Herrlichkeiten seiner Schöpferkraft. — Ahnst du die Grenzen, die sich überschneiden’, jene verrückte Spannung zwischen Lösung und Erlösung: Ich kann nichts mehr, weil ich es kann, und ich versuche Gott, weil ich ihn nicht zu verstehen wage!”

„Einmal wirst du froh sein, daß er dich so heimsucht: im ursprünglichen Sinn des Wortes. Er kehrt bei dir ein. Aber du weißt dich darob noch nicht zu fassen.”

„Wenn ich diese Fassung aber nie gewinne?”

„So wird er dich fassen und alles wird tröstlich sein.”

Herr Direktor Müller rückte mit seinem Stuhl nach links, der unmittelbare Blick auf den Friedhof störte ihn. Dann meinte er:

„Ich finde es sonderbar, der Zwiespalt dieses Mannes wächst aus seinem Glauben!”

„Das ist wohl nicht richtig gesehen: Der Zwiespalt nährt sich an seinem Herzen. Denn der Glaube verändert den Menschen in seinen Anlagen nicht! Das zu behaupten erscheint dir etwas gewagt, gar ketzerisch? Und ich sage damit doch etwas sehr Positives. Die Beziehungen des Menschen zwischen Angeborenem und Aufzunehmendem bleiben immer gleich, wie gäbe es sonst einen freien Willen? Denn nie holt Gott einen Menschen zurück, auch wenn er sich bekehrt, er holt ihn .bloß ein’. Begreifst du den wesentlichen Unterschied? Er läßt jeden dort, wo er war. Aber draußen stattet er ihn mit allem aus, was zu seiner gültigen Bestimmung notwendig ist. Gnade ist also keine Schablone und setzt keine Umkehr voraus, vielmehr eine Einkehr, daß jeder in sein Herz einkehre. Von dort aus bleibt ihm kein anderer Entschluß, als die unsterbliche Seele zu richten, nach dem ewigen Leben zu richten. Aber er kann dabei sein Herz auch nie verleugnen, ein Herz mit Schwächen und Gebresten, mit Neigungen: so ist es vielleicht am besten gesagt: Das alte Herz neigt sich immer noch in die Welt hinein, dem Hinfälligen zu, der Lust und Trägheit, der Verworrenheit — und doch gewinnt es eines: das Wirkliche. Gläubig sein heißt, sich im Wirklichen wohlgeborgen zu wissen. Der Gläubige hat einen Grund, und was zum Beispiel immer mit Hermann Waldner geschehen war, wenn er auch .zugrunde ging’, es war ein Auf-den-Grund-Kommen, also die Erfüllung jener leidenschaftlichen Forderungen, die das Wirkliche gebiert. Er konnte nie mehr dadurch enttäuscht werden, daß ihm das Leben zum .Traum’ zerstob und alles Fremde, Ungeahnte plötzlich aufstand, eine neue Welt, in der man sich nicht mehr zurechtfindet. Daß er körperlich zu schwach war, alles zu tragen, verzerrt nichts an ihm, wenn es auch, bürgerlich genommen, der schreckliche Abschluß eines bedauernswerten Menschen war. Aber er ist erst nach seinem Siege erschlafft und das mindert keinen Sieg herab. Er hatte ja nur eine Aufgabe: dem Wirklichen zu genügen.”

„Verlangt das Wirkliche immer diese furchtbaren Opfer?”

„O nein, oft gar keine Opfer. Es kommt ganz darauf an, wie weit sich der Mensch bereits hinausgewagt hatte, bevor ihm die Ahnung für das Wirkliche aufging. Die Entscheidung fällt dort draußen. Ich sagte dir schon, Gott holt keinen zurück, er holt ihn bloß ein. Und er beläßt ihm alles, er verlangt es sogar: Wie du dein Leben bisher lebtest, so lebe es weiter — aber jetzt in mir! Das zu wissen ist wichtig, nicht nur für den Einzelmenschen, sondern auch für ganze Völker.”

Herr Direktor Müller verharrte eine Weile im Schweigen, endlich fragte er: „Woran erkennt man jedpeh das Wirkliche, die wirkliche Wirklichkeit?”

„An ihrer Kraft. Es gibt zwar mancherlei .Kräfte’ — du kannst alle versuchen, immer fühlst du dich betrogen, bis du zur .andern’ Kraft findest. Die läßt dich nie mehr in Ruhe, fordert dich immer mächtiger heraus, bis du ihr einmal folgst, selbst wenn du dich aller .Mittel’ entledigen müßtest, wie Hermann Waldner es, tun mußte.”

Wie armselig kam er auch im Winter darauf ins Land zurück. Es hatte vorher viele Tage geschneit, nun war ein blanker, harter Frost, daß der Schnee schrie.

(Fortsetzung folgt)

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