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Das Wirkliche

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(8. Fortsetzung)

An einem solchen Abend läutete es. Als Verena hinaussah, war niemand da. Nach einer Viertelstunde wieder dasselbe kurze Geklingel. Aber wieder kein Mensch hier. Und danach erneutes Läuten. Verena glaubte, einen Mann die Stiege hinunterflüditen zu sehen. Ich folgte ihm. Er mußte meine Tritte erkannt haben, plötzlich blieb er stehen.

„Ich bin’s.”

Er zitterte vor Kälte, das ausgehungerte Gesicht schaute aus einem abgewetzten, hoch- gestellten Rockkragen. Sein Schatten langte übers Geländer und fiel weit in den Schacht.

„Ja, ich bin’s”, beteuerte er, als wollte er meine Herzlichkeit nicht für echt halten.

„Ich, ein Vagabund.”

„Komm doch mit hinauf.”

Aber er war nicht dazuzubringen. So gingen wir miteinander auf ein Gasthaus zu.

„Schämst du dich nicht mit mir?” lachte er höhnisch und schrak zusammen, als er einen Gendarmen sah. „Ach so, vorläufig stehe ich ja unter deinem Schutz.”

Er steckte seine Hände tief in die Taschen und Jiolte weit zum Schritt aus.

Erst im Licht der Wirtsstube sah ich, wie er sich verändert hatte. Wohl auch ein verhungertes Gesicht, aber hinter dem eine Welt, die vor den letzten Entscheidungen stand.

„Den Posten versah ich acht Tage. Dann trieb es mich fort. Ein wunderbares und fürchterliches Leben zugleich: Tag um Tag auf der Straße, andere Menschen, fremde Landschaften, Weite und Wälder, darin Wandern und Schlaf und das Leben, das richtige Leben, das dem eigenen Herzen folgt und das eigene Herz verfolgt. Auch hier wieder Versuchungen um Gott und Werk! Derartige Versuchungen, daß ich einmal fünf Tage Geld bettelte, damit ich Farben und Leinwand kaufen konnte. Als ich soweit war, wanderte ich fort und fort, wieder fünf Tage, immer zwischen Jubel und Angst, Versuchungen seltsamster Art, bis ich zu einer Wallfahrtskirche fand: Barock voll unerhörter Verschwendung, Fülle und Überfülle, herrlichstes Maß in aller Maßlosigkeit, Himmlisches aus Irdischem geboren. Da verlor ich im Nu alle Versuchungen und wallte weiter, nachdem ich Pinsel, Farben und Leinwand hinter einem Altar versteckt hatte, ein Altar mit dem Bilde eines alten Meisters: Goldgrund, innige Hingabe des Künstlers an die heilige Familie, und um sie eine Landschaft, deren unbekümmerte Pracht nicht zu beschreiben ist. Da war mir auf einmal, ich hätte das Bild malen dürfen, und mir kam vor, ich müsse dem Abbild wieder das Vorbild bringen. So suchte ich nun Dörfer und Städte ab, das Kind, die Mutter, Josef und ihre Landschaft zu finden! Aber das Einmalige ist doch nur einmal zur Stelle!”

Seine Augen glänzten, seine Haare loderten. Ich kann es nicht anders sagen: eine un- gemein lässige Art ihrer Haltung, die plötzlich alle Muskeln entzündete, sie prüfend spielen ließ und dann unachtsam verschleuderte, das seltsame Zeugnis eines Menschen, den Dunkles und Lichtes, aber immer Tiefgründiges verwirrte.

„Aus diesem Grunde wanderte ich zurück. Ich wollte Pinsel, Leinwand und was dazugehörte vernichten, seit ich nun das Vergebliche wußte. Aber man darf vielleicht doch nie etwas vernichten. — So verließ ich die Kirche, ein dämmeriger Abend, wenig Leute herum, ein Polizist hatte mich bemerkt. Ich wurde des Diebstahls bezichtigt, ein Kirchendieb, und eingesperrt. —- Als ich nach verschiedenen Wochen herauskam, besuchte ich die Kirche wieder. Das Bild hatte sich verändert; wohl wußte das niemand, aber mir blieb es nicht verhohlen, daß sich dort fremde Leute zeigten, nicht mehr die Heiligen, die fortgezogen waren, auf die Wanderschaft, wie ich. — Alle müssen wandern, die heimfinden wollen. Alle! Verstehst du?!”

Hermann Waldner hatte seit jeher gerne in Gleichnissen geredet, so fiel mir sein tatsächlicher Zustand weniger auf, wenn mir auch nicht entging, daß dieser Mann, ermüdet und überbürdet, sehr der Ruhe bedürfe.

Ich wollte ihn an diesem Abend nicht mehr fortlassen, aber er war nicht zu halten. Kaum, daß er sich einen Mantel geben ließ, um sich vor der Kälte zu schützen.

Er versprach mir, bald wiederzukommen,

aber ich wartete doch um Weihnachten vergebens — und lange Zeit später auch noch. Dann war ich einer Prüfung wegen einige Zeit auswärts. Damals schickte er einen Boten, der alle für ihn aufbewahrten Bilder abzuholen hatte.”

„Ah. deshalb — ich staunte schon lange, daß du nichts mehr von ihm hier hast.”

„Ja, es waltete ein seltsames Geschick über dem Werk des kranken Mannes, von dessen Kunst der Nachwelt nichts gerettet wurde.

Als ich nach meiner Rückkehr von Verena das Vorgefallene erfuhr, beeilte ich mich, ihn zu besuchen. Aber, schon zu spät, bot sich mir ein furchtbarer Anblick. Der Ofen im Atelier prasselte, daß sein Feuer zur Tür herausschlug, qualmender Rauch und Gestank, daneben die Staffelei mit einem neu begonnenen Werk. An den Wänden seine anderen Bilder, gute Sachen, aber bereits verheert, sei es, daß sie mit Farbe, grauer, schillernder Farbe beschmiert oder daß Teile herausgerissen waren: die Äcker vom .Himmel getrennt und Köpfe von den Leibern gerissen.

Er schien mich nicht zu kennen. „Warte einen Augenblick”, sagte er nur, „den kurzen Augenblick eines Lebens, er ist bald überwunden!”

Er drohte mir und stellte sich breit vor mich hin.

„Was willst du von mir!!”

Dann schlug er sich an die Stirne, als er meine Beschwichtigungen aufzunehmen schien:

„Ach ja, du bist’s! Wie konnte ich dich vergessen! Aber es ist so: wenn man in seinem eigenen Gehirn wohnt, hat man gewaltige Mühe, wieder hinauszufinden! Ich habe auch kaum Zeit dazu, ich muß nämlich den Geist, den Urweltgeist messen. Siehst du, hier geschieht’s! Was sagst du dazu?!”

Er drängte mich zur Staffelei hin und wies auf die Leinwand: grauer Grund trieb ein Feld wie eine Wüste in den hohen Himmel, darin aber schäumte das Gold einer morgendlichen Stille, nur eine kleine Stelle, wohl’ versehentlich über den wilden Bergen erblüht, hinter denen ein Dämon hervorlehnte, eine riesige Waage in einer seiner Hände, die andere aber lässig gegen die Erde gerafft, um ajile Errungenschaften einzufangen, von denen er bereits ein reichliches Stüde in der linken Schale hatte. Die aber hing immer noch schräg und hoch, weil in der anderen eine winzige Apfelblüte lag.

„Das sind die Maße der Welt, Tor, du eitler, begreifst du das?!”

Und nun malte er Blüte an Blüte des Zweiges, betuliche Wichtigkeit, die ihn zu großer Hingabe verlockte. Wie waren dabei seine Hände und sein Antlitz verklärt! Das Herz versuchte einem ob dieser Tragik stille zu stehen. Ob er nicht gerade jetzt zu retten sein müßte?

„Du kannst ja schaffen!”

„Was, du zweifelst daran?”

„So, wie du eben selbst gezweifelt hast.”

Da verlöschte sein Gesicht gleichsam, er schien das noch einmal erhorchen zu wollen, was ich gesagt hatte, und sich plötzlich eines furchtbaren Augenblicks zu erinnern. In großer Trauer legte er den Pinsel weg und schritt langsam an seinen Bildern vorbei, immer wieder vorbei.

Es gelang mir, fortzukommen, um Hilfe zu holen. Den Nachbarn war wohl aufgefallen, daß er sich seit vierzehn Tagen nicht mehr hinausgewagt hatte, aber bei seinen Eigenheiten hatte man das nicht verwunderlich gefunden.

Nun kamen zwei Männer, später ein Wagen, und wir vermochten ihn zu einer Abendfahrt zu überreden.

Die Erinnerungen an jene Fahrt will ich übergehen. Eine Nacht, dunkel und lauernd, Regen und Sturm, ein Roß, das scheute, ein bellender Hund, der um das Gefährt jagte, dazu das Weinen und Lachen des Irren und das Fluchen des Knechtes, Erlebnisse, die mich aufs tiefste erschütterten.

Ich lag darauf acht Tage im Bett. Der Arzt behauptete, ich sei ordentlich überarbeitet, aber ich wußte die Ursache besser, obwohl ich nicht an den Untergang meines Freundes glauben wollte.

Daß es kein Untergang war, zählte zu den vielen Merkwürdigkeiten in seinem Leben.

Der arme Mensch wurde täglich hinfälliger, und man berichtete mir, falls ich ihn noch zu sehen wünsche, möchte ich mich beeilen’,

Ich fand ihn bei Sinnen. Er lächelte und hielt mir seine durchsichtigen Hände entgegen. Es war keine Traurigkeit an ihm, heiter begann er über sein Leben zu erzählen, die Wahrnehmungen seines Herzens darzulegen und seine früheren Beteuerungen und Beschwörungen zu’ durchleuchten.

Er sprach leise und oft mit geschlossenen Augen für sich hin, und seine Hände untersuchten es gleichsam noch einmal, ehe sie es an mich Weitergaben: diese offenen Hände, die sehr schmal, bläß und vielleicht erst jetzt ihres Werkes würdig geworden waren.

Es schien, der Kranke bemerke meine Gedanken. Er hob nun die Hände über seine groß aufgeschlagenen Augen, um sie alsdann lange und aufmerksam zu betrachten.

„Seltsam, wie auch die Anteil haben an meinem Geschick. Sie waren wild, stürmisch, doch oft besser als mein Herz, denn sie verstanden stets willig zu sein. So mußte schließlich doch alles geschehen, wie es geschah. Ich habe dabei mein Leben erfahren, wie vielleicht selten einer. Wenn ich auch auf meiner Wanderung erschöpft liegengeMleben bin, wenigstens habe ich mich selbst zu durchwandern unterfangen. Nun ist alles weit zurück, so weit wie das Leben überhaupt: Wer das Wirkliche gefunden hat, ist dem täglichen Leben entschwunden, auch wenn er mitten drin steht. Er gewinnt die Einsamkeit um sich, jene hohe, unendliche Einsamkeit, in der das Diesseitige nur noch als Gleichnis wirkt. Man wird mir entgegenhalten, das sei ein gefährlicher Zustand und kaum von einem Menschen zu ertragen. Aber so wie ein Blinder hören und ein Tauber sehen kann, vermag einer, dem die zeitliche Abfolge jener Erscheinungen, dip man Vernunft, Verstand und so fort nennt, einmal versagt ist, hinter diese hineinzuwandern in die Ahnungen und ,Träume jener Welt, die nicht mit den Maßen des Verstandes gemessen werden können.

(Fortsetzung folgt)

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