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Das wirkliche Leben

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In dem Film „Nachtwache" waren es Glaube Und Unglaube, im „Fallenden Stern" waren Realität und Irrealität die ineinander verwobenen Triebkräfte der Handlung, in dem Film „S o- lange du da bist" geht es dem Regisseur Harald Braun um die Verschränkungen von Schein und Sein in Leben und Film. In der Nachfolge des amerikanischen Films „Sunset Boulevard" desillusioniert er den Filmbetrieb, in realistischem Gewände erörtert er die Mode der neoveristischen Filme vom „wirklichen Leben". Er spielt Realismus in nüchternster Beschränkung, aber er begnügt sich nicht damit, sondern er steigert die scheinbare Wirklichkeit seiner Filmbilder doch immer wieder zum Sinnbildlichen, in dem sich für ihn das eigentliche, das wesentliche, aber aller äußeren Abschilderung als unsichtbar trotzende Leben gleichnishaft enthüllt. Diese Art macht diesen Film so anders als seine amerikanischen oder südlich-veristischen Vorbilder. Das macht ihn so deutsch, daß trotz der äußersten Nüchternheit, trotz eines Ensemblespiels, das zum besten gehört, was der deutsche Film seit langem zu bieten hatte, das Schwergewicht im Gedanklichen, im Problem liegt. Das ist die Handlung: Der Regisseur der Traum- und Kostümwelten, die Erfolg und Geld bringen und den Zuschauern die Träume, di» hungrig machen, nicht satt — er ist im Grunde ein leerer Mensch, ein egozentrischer Routinier —, will das wirkliche Leben entdecken. Eine Statistin, Maria Schell, deren Kleider durch einen schadhaften Scheinwerfer zu brennen anfangen, hat ihn darauf gebracht. Sie lebt als Flüchtling armselig in einer Baracke. Mit allem Aufgebot der Technik versucht der Regisseur (O. W. Fischer) das Leben äußerlich nachzubauen und dieser Frau fast schon vergessene Gefühle und Erschütterungen von Neuem abzuzwingen, ohne Rücksicht und ohne Ehrfurcht. So wie er die Freundin, die ihn liebt (Brigitte Horney in einer selbstverleugnenden Rolle), um ihr Comeback betrogen hat. Auch daß er seiner neuen Heldin Ehe zerstörte, würde ihm nichts ausmachen, wenn sie nicht selber in letzter Minute von dem Zug, der sie in ein neues Leben und in eine neue Einsamkeit zu entreißen droht, abspränge, weil sie erkennt, wohin sie gehört. Denn nicht in der äußerlich nachgebauten Welt, sondern in diesen inneren Beziehungen der Menschen erst ist das wirkliche Leben. — Daß wir, die Zuschauer, bei diesem Film dieses als Gleichnis sichtbar gemachte Problem nur spüren, daß es nicht zerredet oder doziert wird, ist das Verdienst det Regie und einer verhaltenen, dichten Darstellung. Es bleibt hinter den wie beiläufig reportierten Geschehnissen, hinter dem nüchternen Filmbetrieb und hinter den Brocken einer nur der steigernden Parallele wegen in einigen Szenen ateliergerecht nachgebauten Wirklichkeit. Gerade diese Beschränkung aber macht die Aussage dieses Films so stark.

Geradezu der andere Pol zu diesem deutschen Film sind Renė Clements „Verbotene Spiel e". Französisch, erregend, erschütternd, beängstigend. Ich weiß nicht, warum ihn die Vorreklame verniedlicht, indem sie von „entzückenden" Kindern spricht und warum man die deutsche Fassung durch zwei wohlgekleidete Kinder einleiten läßt, welche diese Geschichte einander vorlesen, als sei sie aus einem Märchenbuch. In diesem Film ist nichts entzückend, ist nichts Märchen. Hier ist das Grauen einer aus den Fugen gegangenen Zeit in die Augen der Kinder, hier ist der alltäglich gewordene Tod des Krieges in die Seele der Kinder projiziert -worden, die Begraben und Friedhof spielen, Kreuze stehlen und Tiere töten oder tote Tiere sammeln, um ihr makabres Spiel fortsetzen zu können. Daß sich die Nachbarn des französischen Dorfes gegenseitig der Grabschändung beschuldigen und im offenen Grabe des Kirchhofes prügeln, daß diese stumpfen und engstirnigen, klinisch genau beobachteten Erwachsenen die Kinder nicht ernst nehmen und ein kaum gegebenes Wort ihnen gegenüber bedenkenlos brechen, das wirkt trotz der äußeren Komik beängstigend trostlos. Es ist eine so großartig gestaltete, aber so hoffnungslose Anklage, daß den Zuschauer innerlich fröstelt und der Gegensatz zwischen der als Leitmotiv und Ausklang verwendeten kindlich innigen Volksweise und dem verzweifelten ins Leere klingenden Namenstuf des heimat- und elternlosen kleinen Mädchens als schmerzliche Dissonanz weiterklingt.

Neben diesen beiden im Positiven und im Negativen wesentlichen Aussagen in der Sprache des bewegten Bildes, zu denen gleichrangig auch „Der Lohn der Angst" zu zählen ist, bleiben die „Robin Hoods"und „Bezaubernden Fräuleins" dieser Woche leer und seelenlos wie zum zweitenmal gedroschenes Stroh.

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