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Das Wort von der Kanzel

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Wir kommen aus einer entgötterten, unheiligen Welt, und keinem Ding mißtrauen wir sosehr als dem Wort. Selbst der Name Gott wurde allzuoft mißbraucht und in gottlosen Reden entweiht. Hier tut ein Zeichen not. Am Anfang jeder rechten Predigt steht ein Zeichen, das Prediger und Zuhörer zu unzertrennlicher Gemeinschaft verbindet. Wenige merken es, alle spüren es. Mag es ein Nicken sein, ein kaum sichtbares Lächeln, ein Scherzwort oder eine ganz unbedeutende Geste, dem Prediger selbst nicht bewußt, oder nur ein sekundenlanges schweigendes Gegenüberstehen. Wo dieses Zeichen wirkt, sind alle Worte recht und spannen den siebenfarbigen Bogen ins aufgetane Herz; fehlt es, bleibt die Herztür zu und die Rede rinnt wie ein Wasser vorbei. Und das nächste Mal kommen die Gläubigen nach der Predigt.

Nimm ihnen die Langeweile, und sie kommen in Scharen. Geh in die Predigten der großen Kanzelredner, du wirst sogleich spüren, daß nicht ihre Rednergabe allein die Menschen begeistert. Manche sind gar keine Redner. Aber sie sind Prediger, das Zeichen des Trösters ist an ihnen, sowie sie die Kanzel betreten. Noch als Mittelschüler erlebte ich die Abendpredigten eines berühmten Jesuitenpaters. Seine Themata waren von denen anderer Prediger wenig versdrieden und natürlich den Festzeiten angepaßt; seine Sprache aber war eine andere. Weder sdiwärmerisch entrückt nodi sonntäglich feierlich, noch lehrhaft schulmäßig sprach er — und schon gar nicht im fremden Ton eines gelesenen Budies; er benutzte die abgebrauchte Alltagsredeweise, die er freilich in meisterhafter Gedrängtheit auf eine höhere Ebene hob. Tonfall und Bild waren dem modernen Wortgebrauch entnommen, und wie. im Ausdruck wußte er auch im Gedanken den Boden der Wirklichkeit, du Lebe unserer eigenen Tage, festzuhalten. Er führte seine Hörer nicht sosehr zu Christus hin als diesen mitten unter sie. Man spürte, fest auf beiden Füßen stehend, in den Winkeln des Bewußtseins stets die Dinge des täglidien Geschehens, plötzlich die gespannte Luft der Gottesnähe, ohne erst alle Register der Phantasie anziehen zu müssen. Diese Predigten erschütterten und belebten zugleich. Kein Wort war darin, das fremd blieb, alles war Gestalt und Gegenwart, lebendig hinter den Dingen des Tages und stärker als sie. Von ungefähr besuchte ich einmal in Rom eine deutsche Andacht. Was die Ewige Stadt mit all ihren Kirchen, Katakomben und anderen Denkmälern der Christenheit in Wochen nicht vermocht hatte, gelang dem Pater in einer Viertelstunde: Christi Gestalt überwältigend lebendig zu machen. Wieder war es die fast schmucklos einfache Sprache, der ganz und gar nicht gedankenüberschwerte, dafür fast graphisch klare Ausdruck, der alle Fasern der Aufmerksamkeit spannte und mitten ins Herz griff.

Und wer erinnert sich nicht der Kanzelreden des Wiener Männerapostels Pater Abel, die, ein richtiges „Merk's Wien!“ der Neuzeit, bis auf den heutigen Tag fortwirken? Auch sie waren keine Tiraden, waren Volkssprache, vielfach sogar Dialekt — wie auch die des „Arbeiterpfarrers“ Dr. Jungbauer und anderer. Sie trugen alle das Zeidicn des Geistes an sich, auch wenn sie so heiter ironisdi begannen wie die Maipredigt eines Redemptoristenpaters, der angesichts der spärlichen männlichen Zuhörer mit der Frage anfing, ob denn „der Himmel voller Weiber“ sei.

Nicht alie guten Prediger werden be-rührit. Viele üben eine stillere Wirkung, und diese um so tiefer, je unscheinbarer ihr Auftreten ist. Es gibt Dinge, die den Pfarrer mit seiner Gemeinde verbinden, unter ihrem Gesichtswinkel können Kanzelworte eine Bedeutung gewinnen, die dem Pfarrfremden entgeht. Der Pfarrer, der in der Silvesterpredigt anstatt einer sdiwungvollen Rede einen schlichten Bericht über die Geschehnisse in der Pfarre gibt, der Verstorbenen gedenkt, die Jungvermählten ermahnt, die Erstkommunikanten ermuntert und das Lob Gottes aus diesen Fakten baut, wird ein andächtigeres Tedeum anstimmen als sein rhetorisdier Kollege, dessen Wortfanfare stärker rausdit, aber schneller verebbt.

Es gibt Stürmende untei den Predigern, die das Herz ersdiüttern, und Segnende, die es erquicken. Dazwischen aber stehen die Unbezeichneten, deren Predigten das Sdiema der Vorlage kaum verlassen, die oft schon Generationen gedient hat, deren Herz nicht läutet und daher auch das unsere nicht zum Klingen bringt. Wie hätte der Prediger, der sich mit dem Memorieren seiner völlig zeitfremd gewordenen Vorlage geplagt hat, praktisch wirken können, wlnn er eine zeitbezogene, mit dem Leben verbundene schlidite Katechismuserklärung unternommen hätte? Die Gemeinsdiaft zerfällt ohne das einigende lebendige Zeidien, die Spannungen profaner Belange, höchst lebendig und jedermann beherrschend, drängen in den Vordergrund, und die Predigt dient auf diese Weise mehr der Zerstreuung als der Sammlung.

Im Studiengang der Alumnen wird der Musik erhöhte Bedeutung geschenkt. Das ist erfreulich, besonders in Fragen des Gregorianischen Chorals. Aber der beste Priestersänger ist kein Gewinn, wenn ein Prediger an ihm verlorengeht. Die Musik ist das Amt des Laien in der Kirche, das Kanzelwort, hingegen ausschließlidie Berufung des Geistlichen, der Predigtstuhl sein zweiter Platz wie der Altar sein erster und der Beichtstuhl sein dritter, deren Ausfüllung keine musikalische Betätigung ersetzen kann. Ein predigender Priester ist nötiger als zwanzig musizierende. Die systematische Pflege einer zeitgemäßen kirchlichen Rhetorik — könnte sie nicht in der theologischen Ausbildung des Weltklerus mehr Platz haben als bisher?

Das geistige Leben des Volkes, heute von verschiedenen Quellen genährt, ging im Mittelalter fast allein von der Kanzel aus, und man muß es den Predigern jener Zeit lassen, daß sie ihr Amt vorbildlich ausübten, denn das Volk, das nicht lesen und sdireiben konnte und nur in gemalten Kirchenfenstern eine Illustration der Predigten fand, verstand dennoch seine lateinische Messe und hatte keine Bestrebung nach Verdeutschung der Liturgie nötig. Heute überbieten sidi die Sonntagsprediger in der Behauptung, die lateinische Liturgie sei dem Volke unverständlich. Wo läge die Schuld, wenn es soweit gekommen wäre — was wir übrigens bestreiten? Ist nicht Gelegenheit genug, die Gläubigen sogar darüber hinaus über Dogmenlehre, Kirchenrecht und Kir-chengesdiichte von der Kanzel her soweit zu schulen, daß sie wissender werden, als sie es heute sind? Das religiöse Leben wird heute genau so wie im Mittelalter von der Kanzel entscheidend beeinflußt, der geringe Besuch der Predigten fällt nicht den Gläubigen allein zur Last, ist eine schweigende, aber eindringliche Kritik des Gradus.

Damit ist keineswegs den Besserwissern das Wort geredet, deren vorschnelles und überheblidies Urteil nur sie selbst beurteilt. Die Demut des Zuhörers bedingt das Zeichen des Geistes, gehört zur rechten Predigt wie die Eingebung des Priesters. Bereitschaft und Verlangen des Volkes nach dem Wort von der Kanzel sind nicht geringer, sogar größer als, in vergangenen Dezennien. Allzuviel wurde durch das Wort gesündigt, die Sehnsucht nach Erlösung und Heiligung des Wortes lebt in uns. Sie kann nur auf der Kanzel erfüllt werden, wenn es, von singendem Pathos und angelesenem Zopf befreit, in schlichter Eindringlichkeit den. Gedanken Gottes trägt.

Dann wird es die Kirchen füllen wie eh und je und dem Prediger das ehrfurchtsvolle Vertrauen des Volkes gewinnen.

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