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Deir el Mussalabah

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Ich entdeckte das Kloster des Heiligen Kreuzes auf einem meiner ersten Abendspaziergänge in Jerusalem. Ich hatte einen nicht besonders interessanten Abend bei Freunden in Rehaviah verbracht, das eine moderne Cottagevorstadt Jerusalems ist. Nun trat ich in die unfaßbar klare Mondnacht Jerusalems hinaus, in eine jener Nächte, die verstehen lassen, daß nicht die Sonne, sondern der Mond den Kalender des Ostens regiert. Die Nacht war zu zauberhaft, um nach Hause zu gehen. Wir schritten den breiten Asphaltboulevard entlang, bis er plötzlich zu Ende war und wir in ein freies Tal hinabschauten, über dessen Hänge Olivenpflanzungcn wie ein Silberhain gebreitet waren.

Wir fanden einen Pfad und wanderten ins Tal hinab, als zu unserer Linken die ungeheuren kubischen Umrisse eines Klosters auftauchten. Ein Viereck hoher, fensterloser Wälle, gestützt von zyklopischen Strebepfeilern, überragt von einer Kuppel und der filigranen Andeutung eines barocken Glockentürmchens. Ein Dickicht von wildem Oleander umgab die Riesenquadern der Grundmauern.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, war auf meinem Sdireibtisch der Strauß von Oleanderblüten bis zur Unkenntlichkeit verwelkt. „Ich muß das Ganze geträumt haben“, sagte ich mir, „Klosterburgen stehen in der Wüste, in der Wildnis, aber nicht fünf Minuten von gutbürgerlichen Villenvierteln.“ Aber ein paar Tage später ging ich denselben Weg am hellichten Tage: da stand das alte Kloster — eine befestigte Einsiedelei — von der Stadt fast umzingelt.

Deir el Mussalabah, das Kloster des Heiligen Kreuzes, ist eines jener Klöster, di« in alten Sagen vorkommen. Der irrend« Ritter findet es im Abenddämmern. Er ißt mit den gastlichen Mönchen, singt die Mitternachtsmesse mit ihnen — und erwacht im Morgendämmern unter einem Baum im einsamen Tal. Nur das Kreutkloster ist sozusagen fixiert. Es hat den Spuk des Verschwindens vergessen. Als besten Beweis für seine Realität ist es im Baedeker von 1913 erwähnt: als ein lohnender Ausflug von Jerusalem. Heute hat die Stadt et eingeholt.

Ich fand, daß das Kloster des Heiligen Kreuzes seit dem sechsten Jahrhundert von Pilgern als die Stätte genannt wird, wo Lot sich niederließ, nachdem er der Katastrophe von Sodom und Gomörra entgangen war und sich von seinen sündigen Töchtern getrennt hatte. Hier pflanzte er nach der Legende drei Reiser, Zeder, Pinie und Zypresse, die ihm Abraham geschenkt hatte. Aus diesen drei Setzlingen aber, wunderbar vereint, entstand ein Baum, der bestimmt war, das Holz für Christi Kreuz zu liefern.

Das Kreuzkloster war einst der Hauptsitz jener georgischen Mönche, die in Jerusalem eine führende Rolle spielten, bis die Okkupation Georgiens durch Türken und Russen sie ihrer mächtigen Protektoren, der Könige Georgiens, beraubte. Das Kloster ist eine Burg, die unzähligen Nomadenüberfällen standgehalten hat. Noch heute ist es nur durch eine niedere Pforte zugänglich, die man unter dem mächtigen Felsblock, der als Oberschwelle dient, gebückt passieren muß. Wenn man den Kopf in den Vorhof steckt, stürzt ein wirrbärtiger alter Sarazene aus seiner Höhle und weist den Besucher hinaus. Als ich Deir el Mussalabah zum erstenmal zu besuchen versuchte, schüchterte mich dieser wilde Hausmeister gründlich ein. Ich umwanderte das Kloster und schaute zu seinen hohen Fenstern und Schießscharten hinauf. Ich entdeckte die Gebetsnische der kleinen

Moschee, welche die alten Mönche für ihre muslimischen Gäste außerhalb der Um-wallung errichtet hatten. Ich entdeckte, daß die Südwestecke des Klosters hadrianisches Mauerwerk aufweist. Deir el Mussa-labah mag auf den Ruinen eines sylvanen Tempels stehen, geweiht einem der freundlichen Baumgenien, die noch heute die Fellachen in alten Bäumen sdieu verehren. Die merkwürdige Baumlegende mag ein ferner Nachhall jenes Kultes sein, gegen den die Propheten aufriefen.

Als ich nach Monaten wiederkam, war ich schon vorbereitet. Ich schrie noch lauter als der Cerberus. Dann drückte ich ihm zwei Piaster in die Hand und alles war in Ordnung. Ich durfte in den Innenhof passieren, um den sich ein völlig regelloses, aber rhythmisches Gewirr von Treppen und Terrassen, von Arkaden und Pavillons gruppiert. Im Grund des Hofes, von dem nach allen Seiten die Bauten vieler Jahrhunderte zum First der Wälle aufsteigen, wölbt sich das Portal der Kirche,

Diese Kirche des Kreuzklosters ist, einer der großen unbekannten Schätze Jerusalems. Sie ist eine spitzbogige Kreuzkuppelbasilika der Kreuzfahrerzeit und ein gutes Drittel ihrer alten Bemalung ist ausgezeichnet erhalten. Uber Wände und Bögen erstreckt sich ein köstlicher Reichtum mittelalterlicher Fresken jenes seltenen und seltsamen Stils, der im zwölften Jahrhundert byzantinische und französische Elemente glücklich vereinigte. Es gibt da Könige und Heilige, Edeldamen und Einsiedler, ein fast beispielloses Bilderbuch, das Bibel und Legende in ■ zeitgenössischem Kostüm darstellt und vor den merkwürdigsten Symbolen nicht zurückschreckt. Unter den guten Heiden etwa ist Plato zu finden, dessen Vorahnung von Christus der unbekannte Künstler ausdrückte, indem er ihn gefesselt und mit verbundenen Augen vor ein Kreuz stellte.

Im Vergleich mit den Fresken der Kirche kommt die Ikonostas sddecht davon, die eine gutgemeinte Zutat des frühen neunzehnten Jahrhunderts ist. In der Kapelle' vollends, deren Altar in Nachahmung von Golgatha über der silbergefaßten Öffnung steht, in der einst der Baum des Kreuzes stand, sind die Darstellungen der Legende sooft übermalt und überlackiert worden, daß nicht mehr viel Gutes über sie zu sagen ist. Man sieht, wie Lots Weib zur Salzsäule wird (und fühlt sich an die Darstellungen von Orpheus und Eurydike auf antiken Vasen erinnert), wie Lot, nachdem er seine Familie verlassen hat, seinen Baum pflanzt und ihm dabei der Teufel Schwierigkeiten bereitet, wie aus drei Reisern der Baum als ein Symbol der Dreifaltigkeit erwächst ...

Aber mit der Kirche sind nach der Ansicht des Archimandriten Giorgios, der, von einem uralten Mönch unterstützt, dem Kloster vorsteht, die Sehenswürdigkeiten von Deir el Mussalabah nicht erschöpft. Bevor man in seinem Studio Kaffee trinken darf, muß man noch das Skelett und die Schlange besiditigen. Dieses vergilbte Präparat und die Haut einer Pythonschlange sind die Unterrichtsreste .eines Priesterseminars, das in türkischer Zeit in hellen luftigen Hörsälen auf der höchsten Terrasse residierte.

Im allerhöchsten Pavillon, auf schwindenden Dielen, durch die das Badewasser dem geduldigen Unterwohner auf den Kopf tropft, lebt Edvard Matuszak der Maler, erhaben über die Welt und all ihre „Ismen“, mit seiner Frau, die genau so aussieht, als hätte er sie in seinem eigenen Stil für „Vogue“ entworfen.

Ein malerisches Gewölbe bewohnt Doktor Age Schmidt, der dänische Archäologe und Erforscher tierköpfiger Wüstengötter. Ein polnischer Nationalökonom findet in der Ruhe dieser Mauern jene Distanz, die offenbar nötig ist, um die Wirtsdiaftsprobleme unserer Zeit theoretisch zu meistern. Dann lebt dort eine freundliche kinderreiche Familie, die sich über nichts mehr wundert. Außerdem gibt es noch allerhand andere merkwürdige Leute, die ich noch nicht kennengelernt habe. Und alle stehen unter Hassan Mustapha, dem achtzigjährigen Türhüter. Wenn sie zu spät nach Hause kommen und die eiserne Pforte' verschlossen finden, müssen sie durch ein geheimes Loch der Grundmauern in den Keller kriechen.

So abweisend das Kreuzkloster sich von außen gibt — wer durch das Nadelöhr der Pforte gekommen ist, findet es freundlich, mit Marmorbrunnen und Loggien, über die sich uralte Reben ranken, mit sonnigen Terrassen und kühlen Arkaden. Und seinen seltsamen Bewohnern.

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