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Dem einstigen Teufel muß man jetzt die Hände schütteln

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Die Kriegspropaganda in ExJugoslawien und ihre verheerenden Folgen hat der freie Journalist Peter Schmidt hautnah miterlebt.

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Die Kriegspropaganda in ExJugoslawien und ihre verheerenden Folgen hat der freie Journalist Peter Schmidt hautnah miterlebt.

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Ich bin stolz auf dich, mein Sohn, denn ich habe dich zum Helden erzogen", ruft eine Mutter in einem Video des bosnischen Fernsehens/ TV-Sarajevo und wirft sich über die Leiche ihres im Kampf gefallenen Sohnes.

„Ich bete für Kroatien", steht auf den Plakaten und Postern unter dem Farbbild Papst Johannes Pauls IL, das überall in Kroatien zu sehen ist.

„Wir werden Tudjman am Rost grillen", so ein Liedtext der neuen serbischen Folklore, gesungen von Uniformierten bei Großveranstaltungen in Bosnien und in der Krajina.

Dieselben Politiker Ex-Jugoslawiens, die in Fernsehreden, Propagandaspots, Zeitungsartikeln, Liedtexten und allen nur erdenklichen anderen Werbeträgern die Menschen gegeneinander aufgehetzt haben, lassen sich nunmehr von ihren Lohnschreibern als Friedensbringer feiern. Und 60.000 Mann schwerbewaffnete Kampftruppen müssen nunmehr verhindern, daß die verhetzten Menschen Bosniens das fortsetzen, was ihnen fast vier Jahre als Heimattreue, Tapferkeit, Heldentum verkauft wurde - sich gegenseitig umzubringen, zu vergewaltigen und zu vertreiben.

Die Süßwarenfirma Kras aus Zagreb hat sich zu Kriegsbeginn ganz der patriotischen Linie verschrieben. Schon die tarnfarbene Schokoladenschleife suggeriert Krieg, und wenn dann die Kinderhände die Schokolade herausnehmen, fällt ein Bild mit Kriegsmotiven heraus: Soldaten, Maschinengewehre, Geschütze, Panzer. Eingeklebt und gesammelt werden die Bilder im farbenprächtigen Album „CRO Army" der Firma Kras, voll mit lachenden Soldaten und munteren Soldatinnen.

Fernsehhauptabendprogramm am 24. April 1993 in Knin, in der damals in serbischer Hand befindlichen Krajina: Das TV-Team ist zu Besuch bei einem jungen Soldaten. Eine Granate hat ihm beide Beine weggerissen und das Augenlicht zerstört. Er sitzt im Rollstuhl, daran gelehnt sein etwa fünfjähriger Sohn im Kinderkampfanzug und mit Plastikpistole; die jüngere Tochter sitzt auf dem Schoß des Blinden. Hinter dem Rollstuhl steht die Krankenschwester, die ihn in der Spezialklinik pflegt. Sie wird bei ihm bleiben, ihn heiraten und pflegen ein Leben lang, sagt sie, denn seine Frau ist vor einem halben Jahr an Krebs gestorben. Der Blinde appelliert vom Rollstuhl aus an alle Serben, bis zum Tod die Krajina zu verteidigen, und spricht davon, sein Schicksal als heldenhaftes Opfer für die Heimat anzunehmen. Einige meiner serbischen Freunde in Knin sind mit dem blinden Krüppel verwandt. Er meint es ernst, versichern sie mir.

Die Söldnerführer Arkan, Bokan oder Seselj haben mit ihrer Truppe -zumeist entlassenen Kriminellen -Massenmorde begangen. Empörthilflose Serben aus Bijeljina und Zvornik haben mir berichtet, wie Arkan-Söldner Moslems abschlachteten und in die Drina warfen.

Auf dem bunten serbisch-bosnischen Kriegskalender 1994 schreitet der orthodoxe Bischof neben Arkan die Söldnerfront ab, auf einem der großformatigen Bilder ministriert Arkan im Kampfanzug beim serbischorthodoxen Gottesdienst.

„Der kleine Lukas aus Dubrovnik zeigt, wie er seine Heimat gegen die Tschetniks verteidigt", so die Bildunterschrift zum Foto des zirka zehnjährigen Lukas mit der Steinschleuder. „Der erste Tschetnik, der da auftaucht, den schieße ich tot", sagt mir ein etwa Gleichaltriger in einem kroatischen Frontdorf Ostslawoniens. Er hält die Kalaschnikov-Maschinen-pistole beim Fenster hinaus auf die Dorfstraße. Er kennt die Karikaturen der großen Zeitungen, wo Serben pauschal als Ungeheuer, Mörder und verwilderte Tiermenschen dargestellt werden. Und er kennt die beiden Plakate, die in allen Geschäftslokalen Kroatiens hingen: Der Knabe im Kampfanzug fragt, ob der Vater des Lesers schon kroatischer Soldat sei.

Die Begräbnisse der Gefallenen werden zu Propagandafeiern umfunktioniert. „Mögen viele junge Menschen dem Beispiel dieser Helden folgen, die mit ihrem Blut die Heimaterde getränkt haben", so tönt es und der Priester daneben nickt. Egal ob Serbe Kroate oder Moslem - die Reden und Rituale gleichen sich.

Die US-amerikanische Werbeagentur Ruder Finn hat schon 1991 die Propaganda für die Kroaten übernommen, ein Jahr später kamen die Moslems dazu. Die Serben haben sich mit ihrer Kriegs-PR-Arbeit etwas verspätet, vielleicht mit ein Grund, daß sie vor allem in deutschen und österreichischen Medien als die Allein-schuldigen am Krieg auf dem Balkan gezeigt werden?

Geradezu bizarre Kapriolen müssen die fast ausschließlich von den Re-gierungen kontrollierten Medien in Ex-Jugoslawien schlagen: Wenn plötzlich Moslems zu grausamen Todfeinden der Kroaten stilisiert werden, wenn die serbische Krajina-Armee trotz aller großspurigen Auftritte und Versprechungen bei Festen und Feiern sich kampflos vor Tudjmans Blitzkriegern im August 1995 zurückzieht, wenn Kroaten und Moslems plötzlich wieder Schulter an Schulter kämpfen, wenn sich Tudjman und Milosevic in der Genfer Arena händeschüttelnd präsentieren und sie ihren geflüchteten, geschockten Landsleuten allen Ernstes zumuten, wieder mit Menschen jener Nationalität friedlich zusammenzuleben, die man ihnen in jahrelanger Gehirnwäsche verteufelt und entfremdet hat.

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