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Dem Frieden auf der Spur

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Die Stimmung an Rord der „Pre-sidential Aircraft” könnte nicht besser sein. Mit den Klängen des Donauwalzers werden die Reisenden empfangen. Rundespräsident Thomas Klestil läßt es sich nicht nehmen, jeden der 70 Teilnehmer des Staatsbesuches persönlich zu begrüßen. Einige Firmenvertreter scherzen über ihren „ungewöhnlichen Retriebsausflug” mit Wirtschaftskammer-Präsident Leopold Maderthaner. Mit Sekt stoßen sie auf einen erfolgreichen Tag an. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt. Auf der Speisekarte steht um halb zehn Uhr vormittags ein Menü mit Gänseleberpastete, Papayabällchen, Schokolade-mousse und anderen Köstlichkeiten. Ein Journalist deckt sich mit zwei Stangen Zigaretten ein, die ihm der Steward zollfrei anbietet. „Solche Gelegenheiten muß man einfach nutzen”, meint er fast entschuldigend, als er die Ware im Gepäckfach verstaut. „Rosnien ist heute voll von Trümmern und Zerstörung, von Mißtrauen und Verzweiflung - wir haben auf dem Weg durch die Stadt einen erschreckenden Eindruck davon erhalten”, heißt es in einer bereits im Flugzeug verteilten Ansprache des Präsidenten. Doch noch ist es nicht soweit.

Retroffenheit kommt erst bei der Landung auf. Niedergebrannte Häuser auf den Bergen rings um Sarajewo zeugen, daß hier heftig gekämpft wurde. Das Flughafengebäude ist noch immer mit Stahlbetonplatten gesichert. Hinter hob^n Mauern von Sandsäcken warten schwarze Limousinen auf uns. Mit Blaulicht rasen wir durch die von den Serben zerschossenen Viertel in die Innenstadt. Vom Artilleriefeuer gezeichnet die Fassaden der Hochhäuser, der Verputz übersät mit Einschüssen. Hinter Plastikplanen sind die provisorischen Unterkünfte der Bewohner erkennbar. Armut, Not und Elend, wohin man blickt.

Obwohl kaum Autos unterwegs sind, sperren unzählige Polizisten die Strecke ab. Straßenbahnen stehen still. Selbst die Panzerwagen der Internationalen Friedenstruppe IFOR müssen warten, bis unser Konvoi passiert. Da der Aufenthalt nur acht Stunden dauert, ist das Programm dicht gedrängt. Nach dem Empfang mit militärischen Ehren beginnt der politische Teil des Resuches. Klestil zieht sich im Gästehaus „Konak”, dem einstigen Sitz des österreichischen Statthalters in Sarajewo, mit Mitgliedern des bosnischen Staatspräsidiums zu Gesprächen zurück. Dabei werden die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden äußerst pessimistisch bewertet.

Flüchtlinge rasch zurücksenden

Die bosnische Seite bedauert vor allem die mangelnde Integrationsbereitschaft der Serben. Osterreich möge sich im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen dafür einsetzen, daß die Flüchtlinge so rasch wie möglich zurückkehren. Klestil betont, daß Osterreich für die nächsten zwei Jahre insgesamt 200 Millionen Schilling für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen werde. Anschließend präsentieren 18 Firmenvertreter, vor allem aus der Bauwirtschaft, den Gastgebern ihre Projekte. Vor dem Krieg entfiel auf Bosnien etwa eine Milliarde Schilling der 12,4 Milliarden ausmachenden Exporte ins damalige Jugoslawien. Nach Verhängung der Sanktionen durch die Vereinten Nationen fielen sie ins Bodenlose und steigen erst jetzt wieder langsam.

Nur wenige Schritte vom Gästehaus entfernt befindet sich die Lateinerbrücke, wo 1914 der Thronfolger Franz Ferdinand ermordet wurde. Klestil besucht die historische Stätte am Nachmittag auf seinem Rund-gang durch die Altstadt. Die vielen Polizisten verhindern dabei jeden Kontakt mit der Bevölkerung. Die Leute beobachten von den Schanigärten der wiedereröffneten Cafes teilnahmslos den von den Fotografen und Fernsehkameras verursachten Wirbel um den Präsidenten. Die Schaufenster der kleinen Läden sind voll mit Waren. Für ausländische Devisen ist fast alles zu haben: Tiefkühlfleisch aus Deutschland, Butter aus Dänemark. Caritas-Experte Peter Quend-ler erklärt, daß sich die Menschen kaum etwas kaufen können, da nur wenige einer bezahlten Arbeit nachgehen. Viele seien daher nach wie vor auf Hilfslieferungen angewiesen. In dem von Ordensschwestern geführten Sozialzentrum „Sankt Vinzenz” eröffnet Klestil mit Kardinal Vinko Puljic eine Volksküche, die Spender aus Österreich finanzierten. Täglich sollen 400 Mahlzeiten gekocht werden. Die verwendeten Lebensmittel stammen aus der Aktion „Nachbar in Not”. Ein Teil der Mahlzeiten wird an Alte und Behinderte geliefert, womit auch Sarajewo seine „Essen auf Rädern ”-Aktion bekommt.

Fahrt durch ausgestorbene Dörfer

Letzter Programmpunkt ist ein Abstecher zum österreichischen IFOR-Ra-taillon im 25 Kilometer entfernten Vi-soko. Die Fahrt geht durch geisterhaft ausgestorbene Dörfer. Er habe sich vor dem Resuch „genau umgehört, was andere über unser Kontingent sagen -und ich habe nur Gutes gehört”, versichert der Präsident den Soldaten. Auch wenn jeder Tag inmitten von soviel Not und Verzweiflung eine harte Rewährungsprobe darstelle, sei ihr Dienst unersetzlich. Nach einer kurzen Lager-Resichtigung und einem ökumenischen Wortgottesdienst mit Militärbischof Christian Werner und dem dortigen evangelischen Militärpfarrer stehen dem Staatsoberhaupt für das persönliche Gespräch mit den Soldaten nur sechs Minuten zur Verfügung. Lachen, Scherzen, Händeschütteln und schon geht es in atemberaubenden Tempo zurück zum Flughafen. Zur Verbesserung des Wohlbefindens hinterläßt der hohe Gast der 3.000 Mann starken Truppe ORF-Filmkassetten (von Ralkan-Do-kumentationen bis zum Kaiser-mühlen-Rlues), mehrere Faß Rier und 250 Kilo Schwarzbrot, das in Rosnien schwer erhältlich ist.

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