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Demokratie als Gespräch

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„Hinlegen.“

„Auf.'“ — ..Einmal um die Baracke im Laufschritt! Marsch- marsch!“

Der Soldat meldet sich, keuchend vom Lauf, zurück:

„Herr Feldwebel, ich wollte nur erklären ...“

„Hinlegen“ — „Auf“ — „Hinlegen“ — „Auf“ — „Kehrt, marsch, marsch“ — „Achtung!“ Der Soldat bleibt, nach mehrmaligem Kehrtmachen, Hinlegen, Hüpfen. Gleiten, stehen. Der Feldwebel tritt gemächlichen Schritts langsam nahe an den Soldaten heran: ..Haben Sie endlich begrffen. Sie Weihn ichtsmann, daß Sie beim Kommiß our zu reden haben, wenn Sie gefragt werden? Kehrt, marsch, marsch! Hauen Sie ja ab!“ Der Soldat erweist die vorschriftsmäßige Ehrenbezeigung und verschwindet in der Baracke. Froststarr liegt das Gelände. Jännc 1940- Lager der L. Krems-Mautern.

Dieselbe Szenerie wiederholt sich imimer wieder. In den Ausbildungslagern, Kasernen und Schulen in Deutschland, Frankreich, Rumänien.. . Tausende, Millionen haben dasselbe erlebt. Es ist nichts Auffälliges daran. Diese Szene war typisch, charakteristisch für ein geschlossenes „System der totalen Erniedrigung des Menschen“- um ein Wort Gabriel Marcels zu gebrauchen. Rudolf Kalmar hat in seinem lesenswerten Buch -Zeit ohne Gnade“ dasselbe für das KZ festgehalten.

Das KZ ist seinem Wesen nach nichts anderes als ein ..Üherkommiß“, die totale Verwirklichung ..der Gleichschaltung“. Nicht Mensdien, Personen, Individuen, nur -Nummern“ arbeiten, werden geschunden, sterben. Das System besteht nun nicht so sehr in den privaten, mehr intimen Quälereien, als vielmehr im Druck des Anonymen, eben des Systems, welches die Entfaltung des Menschseins unterbindet: Das Gespräch — die Aussprache von Mensch zu Mensch. Rede und Gegenrede. Wort und Antwort. Wort in der Verantwortung. Nicht der Erlustigung halber, nicht um sich zju erbittern über Zustände der Vergangenheit, sondern um der Zukunft willen, ist dieser! Zusammenhang von uns in der Erinnerung festgehalten: Heil und Unheil der Zukunft werden davon abhängen, ob es uns gelingt, eine neue Gesprächsgemeinschaft in unserem Volke aufzubauen.

Das Wesen der Tyrannei, der Diktatur ist der Monolog. Das Dritte Reich ist das einzige schauerliche Selbstgespräch eines Besessenen, die einzige Reichstagsrede eines Mannes, der unter immer neuen Stößen, von seinem Dämon getrieben, der Welt seine Worte, nein, seine Befehle ins Gesicht schleudert. Als der iunge Hitler nach dem ersten Weltkrieg in den gutbürgerlichen Salons der Bruckmann und Hanfstängl in München sein Debüt feierte, war er schon der g^nze .Hitler“; Die staunende Teegesell-schafi erhielt von ihm stundenlange Re 'en verabreicht, dann ging er — oder schwieg; saß. in sich verklommen, brütend da; war unfähig zu echtem Wort. Denn jedes echte Wortj ist auf die Antwort hin angelegt, auf das Gespräch Davon kündet schon der Ursprung de Wortes im'Wort des Logos. Erst im Wort, im Gespräch wird der Mensch zum Menschen. Demokratie ist nichts anderes als eben diese Gesprächsgemeinschaft des Menschen; in diesem Sinne ist sie die Grundläge aller nichttyranniden Staats- und Gesellschaftsformen; selbst die Diktatur einer Klasse- einer herrschenden Gesellschaftsschicht bedarf an sich gewisser demokratischer Formen: sie beruht auf dem Gespräch innerhalb der herrschenden Schicht und lebt solange, als es dieser gelingt, das Gespräch aufrechtzuerhalten. Dies gilt für die feudalen ebenso wie die bürgerlichen Epochen der europäischen Geschichte. Wenn wk heute das Schlagwort „Volksdemokra-

tie“ hören, dann hat dies auch einen tieferen Sinn. Es geht um den Aufbau einer ganz neuen Gesprächsgemeinschaft: In der Welt, zwischen den Völkern und Nationen, vor allem aber im eigenen Volk.

Nun — jeder von uns weiß es: wir sind noch weit entfernt von einer echten Demokratie. Schwer hängen die Schatten der Vergangenheit über dem jungen Staat, dem neu sich bildenden Volkskörper. Es sind nicht nur Schatten der Ruinen, der materiellen und geistigen Nöte, es ist etwas von dem, was ein junger englischer Dichter, Campbell, noch vor Ende dieses Krieges ausgesprochen hat: we become all we fight; wir werden zu dem, was wir bekämpfen. Der Erbe erbt- wenn der Erblasser keine Aktiven hinterlassen hat. dessen Schulden. So erbten wir die Schuld — wir sind die Schuldträger, ob wir wollen oder nicht. Die Luft- die Atmosphäre der Zeit ist nicht frei, sondern unfrei: geladen mit Monologen. Da hält der Staat seine Monologe: er fordert, diktiert, befiehlt; oft ohne das Volk zu befragen, jedenfalls wird diesem seine Mitwirkung dabei nicht klar. Da halten

die Parteien, in sich verkauzt, ihre Monologe; es will kein echtes, rechtes Gespräch zwischen der Menschen und deshalb auch nicht um . den Menschen, um das Menschlichste entstehen! Und dies ist ein bitterernstes, warnendes Zeichen, alle jene, welche heute Monologe halten, mögen sich dessen bewußt werden, daß sie, ob sie es wollen oder nicht, Nachfolger jenes großen Monomanen sind, dessen Monolog nahe daran war. zum endgültigen Epilog des Abendlandes zu werden: Ein — Gesang eines dämonischen einzigen — Abgesang des Ganzen.

Demokratie als Gespräch: Demokratie existiert nur im Gespräch, im lebendigen Gespräch der Gegensätze! Wir haben noch keine rechte Demokratie, weil unser Volk noch keine wahre Gesprächsgemeinde bildet!

Drei große Aufgabenkreise ergeben sich hiemit für den verantwortungsbewußten Österreicher: 1. Der Aufbau eines neuen Gespräches zwischen den Parteien, beziehungsweise zwischen einzelnen Gruppen der Parteien. 2. Di- Einbeziehung jener zahlenmäßig großen Schicht von „Volksgenossen“, welche heute ausgeschlossen sind aus der Gesprächsgemeinschaft; auf diese Notwendigkeit hat das Staatsoberhaupt in seiner Neujahrsrede hingewiesen. Es geht nicht an, daß jenen, welche einmal in ihrem Leben gegen die Demokratie gezeugt haben, ein Freibrief, beziehungsweise An Verpflichtungsschein ausgestellt wird, ständig einfach durch ihr Leben, durch ihre nackte Existenz weiterhin gegen die Wirklichkeit der Demokratie Zeugnis abzulegen.

Diese beiden ersten Arbeitskreise sind nicht jedermanns Sachj. Sie erfordern mehr

Umsicht, Geschicklichkeit und Einsehen in die tieferen Zusammenhänge, als dem einzelnen gemeiniglich zur Verfügung stehen. Um so mehr aber betrifft der dritte Arbeitsund Aufgabenkreis jeden von.uns. Hier geht

es um den Aufbau eines neuen Gesprächs in unserem eigensten Lebensraum: „Gnädige Frau, wie wäre es, wenn Sie mit Ihrer ,roten' Bedienerin ein Wort mehr als unbedingt nötig wechseln würden?“

„Herr .Gewerkschaftssekretär, erlaubt es Ihnen Ihre Parteidisziplin wirklich nicht, mit Ihrem .schwarzem' Nachbarn nicht nur über die Zigarettenration zu sprechen?“

„Herr Amtsvorsteher, wissen Sie es so genau, daß der Student, den Sie eben abgewiesen haben, mit jenen Nazis identisch ist, welche 1-938 Ihre Karriere verkürzt haben?“

Achten wir dies Dritte nicht für gering. Hier, in; unserem persönlichen Wirkungskreis wird letzten Endes über die Zukunft unserer Demokratie, über die Zukunft unseres Staates entschieden. Hier haben wir uns zu bewähren, weil hier unser Versagen das Ganze in seinem Lebensnerv trifft. Nur in einem neuen, lebendigen Einsatz der Person, unserer Person, wird die Anonymität der Nummern, des Bürokratismus, der Parteimaschine überwunden: Im Gespräch, im Wort, in der Tat einer neuen Begegnung

der Getrennten. - .

Die Schwierigkeiten der österreichischen Papierproduktion haben sich in den letzten Wochen außerordentlich verschärft. Das heimische Zeitungswesen wird dadurch derzeit zu Papiersparmaßnahmen gezwungen, denen auch „Die Furche“ wird Rechnung tragen müssen.

Wir bitten unsere Leser und Freunde, eine in nächster Zeit wahrscheinlich erfolgende vorübergehende Einschränkung des Blattumfanges mit, ihrem wohlwollenden Verstehen zu begleiten.

„Die Furche*

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