Den Denunzianten der Tochter gedeckt

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Eine aufsehenerregende Dokumentation der englischen Autorin Carol Ann Lee über den Vater von Anne Frank und Erinnerungen von Annes Freundin.

Der Name Anne Frank steht als Symbol für das, was Juden angetan wurde. Wer diese Tatsache der Ermordung der Juden leugnen wollte, der hat in der Vergangenheit Fragen gestellt, nicht um die Wahrheit zu erfahren, sondern um ein Netz kleinlicher Widersprüche zu spinnen, in dem verstrickt kein Vor und Zurück mehr möglich schien und somit auch die Perspektive des großen Mordens verschwimmen sollte. Die Diskussion um die Echtheit des Tagebuches von Anne Frank, die verschiedenen Fassungen, die existierten, haben dazu beigetragen, dass jeder der diesbezügliche Fragen aufwarf, sofort zuordenbar schien.

Schmerzliche Erkenntnis

Wenn nun von der in Yorkshire geborenen Carol Ann Lee Fragen gestellt und auch Antworten gefunden werden nach mehr als 60 Jahren, so besteht weder die Gefahr, dass ein großer Name in Verruf gerät noch dass die Tatsache der Ermordung von Juden verkleinert bzw. relativiert wird. Für viele mag es schmerzlich sein, unglaublich ist es allemal, was die Autorin recherchiert hat, denn Otto Frank, der Vater von Anne kannte wahrscheinlich den Denunzianten seiner Familie und hat ihn auch nach der Befreiung getroffen und gedeckt. Sein Name ist Tony Ahlers, ein Lügner, der auch nach 1945 stolz war, dass dort, wo er hintrat, kein Gras mehr wuchs. Während des Krieges verriet er viele untergetauchte Juden und kassierte Kopfgeld: bei 250 Personen hörte er auf zu zählen. Er hatte 1941 Otto Frank in seinem Büro aufgesucht und wusste vom Hinterhaus, da seine Mutter ebenfalls ein Haus mit der gleichen Bauweise bewohnt hatte. Bis zum Jahr 1980 bekam er anonyme Zahlungen in der Höhe eines Direktorengehaltes, mit dem Tod Otto Franks endeten diese Zahlungen. Die Beweggründe für dieses sonderbare Verhältnis zwischen Frank und Ahlers sind vielfältige, vielleicht schien Frank Sorge um seinen guten Ruf gehabt zu haben, wenn entdeckt würde, dass er mit seiner Firma Opekta auch die Wehrmacht beliefert hat.

Carol Ann Lee entwickelt die Geschichte von Otto Frank behutsam, sie berichtet aber auch vom frühen Antisemitismus in der Zeit, bevor die Deutschen in die Niederlande einfielen, und erzählt die Geschichte von Tony Ahlers, der als Agent provocateur gearbeitet hat, Fotos von politischen Schlägereien an die ss verkaufte und nicht zuletzt Otto Frank erpresste.

Nach der Befreiung

Nicht zuletzt macht die Autorin die Situation nach der Befreiung deutlich. Für Otto Frank waren dies die Ungewissheit der ersten Monate, die Hoffnung, dass seine Familie doch noch zurückkehren würde, das Leben mit dem Wissen, als einziger überlebt zu haben, die Gewissheit alleine zu bleiben, und letztlich die Suche nach Mitgefangenen, die überlebt hatten und zumindest Erinnerungssplitter über die letzten Wochen und Tage bieten konnten. Das Klima nach der Befreiung war für die Überlebenden keineswegs günstig, denn bereits im Juli 1945 war in der Zeitung des niederländischen Widerstandes zu lesen, dass Juden, die überlebt hatten, sich in Demut üben sollten. "Und folgendes sollten alle bedenken, die versteckt wurden: Sie haben viel zurückzuzahlen [...] Nun wäre es angemessen, wenn sich die Juden vor Übertreibungen hüteten ... Sie sind wirklich nicht die einzigen, die gelitten haben und denen es schlecht ging."

Das besondere Verhältnis zwischen Otto Frank und seiner Tochter wird an vielen kleinen Beispielen gezeigt ("Oft habe ich Dir gesagt, dass Du Dich selbst erziehen musst. Wir haben das Control' miteinander ausgemacht, und du gibst Dir selbst viel Mühe, das aber' zu schlucken"). Es werden aber auch die verschiedenen Fassungen der Tagebücher erläutert und klar gemacht, warum Otto Frank gewisse Stellen nicht publizierte. Auch hier bilden die Beweggründe ein Bündel, geschnürt aus Vorsicht und Eitelkeit. So ist zum Beispiel die Thematisierung des Verhältnisses der Eltern sowie Kritik von Anne an seiner Person in der publizierten Endfassung nicht vertreten. Unbeachtet blieb zum Beispiel auch Annes Einführung für das Tagebuch: "Papi, Mammi und Margot sind zwar sehr lieb, ich kann ihnen eine ganze Menge erzählen, aber mein Tagebuch und die Geheimnisse, die man nur einer Freundin anvertrauen würde, gehen sie nichts an". Das faszinierende und mutige Buch von Carol Ann Lee hat dementsprechend auch in den Niederlanden für Aufsehen gesorgt.

Gerne in Szene gesetzt

Zum ersten Mal bricht aber auch die beste Freundin von Anne Frank, Jacqueline van Maarsen, ihr Schweigen und berichtet in einem Buch über ihre Begegnung mit Anne Frank und die Bekanntschaft mit ihrem Vater Otto Frank. Was van Maarsen über das Mädchen Anne Frank zu berichten hat, ist interessant und ehrlich, wird sie doch als jemand geschildert, der sich gerne in Szene setzte. "Es war nicht immer leicht, Annes beste Freundin zu sein. Sie war sehr anspruchvoll und schnell eifersüchtig." Maarsen erläutert an einigen Beispielen die unterschiedlichen Versionen des Tagebuches und beschreibt die Suche nach dem Abschiedsbrief, den sie erst Jahre nach der Ermordung zu lesen bekam. Jacqueline van Maarsen überlebte, da es ihrer Mutter gelang, vor den ns-Behörden ihren Übertritt zum Judentum rückgängig zu machen. Mit dem Erfolg des Tagebuches von Anne Frank begann sich ihre Freundin zurückzuziehen, wurde immer "zurückhaltender". "Plötzlich tauchten Leute auf, die sich damit brüsteten, Anne gekannt zu haben oder mit ihr befreundet gewesen zu sein, obwohl das gar nicht der Wahrheit entsprach." Da die Geschichte der Begegnung mit Anne Frank jedoch etwas dünn ist, und diese Kritik soll nicht die lebendige Schilderung des Menschen hinter dem Mythos schmälern, schildert van Maarsen noch die Geschichte ihrer Eltern, einer französischen Katholiken und eines niederländischen Juden.

Otto Franks Geheimnis

Der Vater von Anne Frank und sein verborgenes Leben

Von Carol Ann Lee. Piper Verlag, München 2005. 494 Seiten, geb., e 25,60

Ich heiSse Anne, sagte sie, Anne Frank

Von Jacqueline van Maarsen

Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2005. 221 Seiten, kart., e 8,20

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