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Denkmalschutzardiitektur ?

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Kein Geld ist der beste Denkmalschutz. So kann man wahrhaftig sagen, wenn man bedenkt, wie viele Baudenkmäler durch schlechte Restaurierungen verdorben worden, wie viele zugunsten teuerer und häßlicher Neubauten verschwunden sind. Und wer weiß, daß die nach dem Stephansdome schönste gotische Kirche Wiens, Maria am Gestade, nur deshalb noch lebt, weil man seinerzeit nicht das Geld hatte, das ihre Niederlegung gekostet hätte, wird uns verstehen, wenn wir sagen: Kein Geld ist der beste Denkmalschutz.

Also wir haben noch Maria am Gestadel Freilich, wir dürfen nicht fragen, in welcher Umgebung. Der Geograph und Topograph Universitätsprofessor Dr. Hugo Hassinger hat in seinem „Kunsthistorischen Atlas der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien” (1916) dem Passauer Platze, über dem die wundervolle Kirche aufsteigt, über eine Seite gewidmet, um die Verunstaltungen ihrer nächsten Umgebung nachzuweisen. In den dreißiger Jahren hat man sich, freilich mit untauglichen Mitteln, bemüht, wenigstens den Vordergrund zu bessern: Man hat eine sehr teure, aber immerhin den Blick zur schlanken Westwand führende Freitreppe gebaut und an deren Fuß ein Denkmal gestellt, das eine örtliche Sage erzählen soll. Freilich ist man da keineswegs den Gegebenheiten gefolgt, die geradezu eingeladen hatten, ein bescheideneres Gegenstück zur Spanischen Treppe in Rom zu schaffen, indem man die sanfte Biegung der Häuser zur Rechten -gegen die Schwertgasse genützt hätte, ein ähnliches, sich den Stiegenwangen anschmiegendes Bild zu gewinnen wie vor Trinitä de’ Monti. Nein, man hat das anmutig geschwungene Haus mit dem alten Schuhmacherladen in eine harte, finstere Kasematte gezwängt und es darin atemlos versinken lassen. Eine städtebauliche Gelegenheit ohnegleichen ist versäumt worden.

Immerhin, es ist damals nichts endgültig verdorben worden. Aber nuri kam der Krieg und hat am Haupte der Marienstiege arg gewütet. Das Hąus zur Linken, Passauer Platz 6, hat zwar eine ruhige Schauwand erhalten, aber man hat ihr einen faden, himbeerfarbenen Anstrich gegeben und das Blechdach und die Fenstersiäbe grasgrün angestrichen. So schön, so gut! Doch der ungefüge Neubau zur Linken der St ege, Passauer Platz 51 Nun drängt sich das Ungeheuer unmittelbar vor die Kirche, in mehreren Geschossen, nicht zur Gänze, um eine Raumtiefe nur, wodurch diese noch ungebührlicher, besonders auch für den Blick von Börsegasse und Schottenring aus, zugedeckt wird. Und wer von der Nordseite der Kirche gegen Westen blickt, der starrt auf die kastenförmige Rückwand des Auswuchses, und dieser verdeckt die schönen alten Häuser Am Gestade 1 bis 7!

Ist Maria am Gestade eine der anmutigsten gotischen Kirchen im deutschen Sprachraume, so war der Josefsplatz sicher, etwa nach dem Kapitol in Rom und dem Stanislausplatz in Nancy, einer der schönsten Plätze der Welt — bevor er zum Autoabstellplatz herabgewürdigt worden ist. Denn unser Josefsplatz wird der Grundforderung des Städtebaues gerecht: Drei durchaus geschlossene Wände; die Tore, auch in den Platzecken, selbst für die Durchfahrt zur Stallburggasse, mehr rhythmischer Gliederung dienend als Oeffnungen; der Verkehr, wie es sein soll, durchaus an die der Hauptwand mit dem Bibliothekssaale gegenüberstehende Platzwand verwiesen, auf altem Römerweg vorüberrasend, ohne daß er den Bibliothekstrakt und das Denkmal des gebietenden Kaisers davor anzutasten wagen würde; und an dieser Flanke der Renaissancebau der Stallburg, der klassizistische Bau des Palais Frics-Pallavicini, das anmutige Palais Palffy mit steilem, frühbarockem Dach. Und wer von dort einen Blick hinaus wagte, der wurde der Restauration „Stadt Brünn” gewahr und — an Augustinerkirche vorbei, über die alte Albrechtsrampe hinweg — unserer Staatsoper.

Kein Wunder, daß an diesem wundervollen Platze die Liebe der Wiener ganz besonders hängt. Kein Wunder auch, daß man vor vielen Jahren sich gerade nur entschließen konnte, einen etwas unregelmäßigen Fußgeherdurchgang unter dem Reitschultrakt zu schaffen, und daß man auch nach dem letzten Kriege behutsam zu Werke ging, als man, freilich, ohne das doch vorhandene Tor zu benutzen, einen Fußgeherdurchgang neben der Augustinerkirche schuf, indem man das linke Fenster im Erdgeschoß des Risaliten bis zum Boden absenkte, und einen zweiten durch die Stallburg, der nur deren eherne Wand zu sehr auflockert.

Man hätte nun erwarten dürfen, daß dem Wiederaufbau des leider von Bomben schwer heimgesuchten Palais Palffy die größte Umsicht würde gewidmet werden. Das Palais Palffy hat ohne Zweifel den entzückendsten barocken Palasthof Wiens umschlossen, heiterer, leichter als die ernsten Höfe des Erzbischöflichen Palais und des Palais Lobkowitz, auch nicht wie dieses durch einen unziemlichen Einbau verunstaltet, nein, bis hinauf zu dem mit Wiener Taschen gedeckten Dächern von Grün umrankt. Der Krieg hat mit schwerer Hand in das Idyll hineingeschlagen! In der Tat: Das Palais Palffy war eine der am meisten Arbeit erfordernden Schadenstellen des Unternehmens „Schätze aus dem Schutt” des Kulturamtes der Stadt Wien. Es waren freilich köstliche Dinge, die da geborgen wurden, gerade dort, wo nichts mehr von dem alten Gemäuer steht.

Gerade dort? Was steht denn überhaupt noch? Nichts als das erneuerte Tor und links und rechts davon je drei, teilweise gleichfalls erneuerte Fenster im Erd- und im ersten Obergeschoß. Nicht einmal die Wohnung und der Trakt zur Linken, die doch den Krieg überstanden haben. Dort gähnt uns heute das Gerippe des neuen Stiegenhauses an. Nur ein paar Fenster, ohne Zusammenhang mit der Schauwand, sind noch da. Der Figarosaal ist durchaus vereinsamt. In dem einst so stimmungsvollen Hofe aber müssen wir heute, über einen verstümmelten Raum hinweg, auf die Innenwand eines achtgeschossigen Zinshauses blicken, das irgendwo stehen könnte und nicht im entferntesten ahnen läßt, was wir hier verloren haben.

Es wurde gesagt, die Aufstockung des Palais würde sich nicht nur vertreten lassen, sondern würde dem Nachbarn zur Linken vorteilhaft sein, weil es. so in dessen Gesimshöhe, rücken würde; auch würde die unschöne Feuermauer des Dorotheums verdeckt werden. Die Botschaft hörten wir, und es fehlte uns nicht der Glaube. Aber unsere Zuversicht wurde bitter enttäuscht, weit mehr noch, als wir nach den Blätternachrichten vom 8. März 1952 hatten befürchten müssen. Es ist unbegreiflich, wie die verantwortlichen Stellen, vor allem der Fachbeirat, die Zustimmung zu dem Projekte haben geben können. Die Feuermauer wurde nicht verdeckt, sondern ist mit ihren häßlichsten Teilen, nämlich zwei Schloten, von der Nordwestecke des Josefsplatzes zusammen mit einem Dachzipfel des neuen Traktes an der Dorotheergasse sichtbar. Gewiß, wir werden Anstoß nehmen an dem Dach, mit dessen acht ungefügen Dachgaupen im „Additivstil”. Ja, diese Dachgaupen! Auch das Erzbischöfliche Palais, auch die Hofburg haben solche, aber eben ganz andere. Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.

Der Neubau ist in seiner ganzen Länge im Erdgeschoß aufgerissen: Die behäbigen Obergeschosse lasten auf schmächtigen, dorisch (?) kannelierten Pfeilern. Sollte ein Raumbild entstehen, wie etwa am Palazzo Isolani in Bologna? Die Arkaden, wenn es solche sein sollen, sind ganz sinnlos, weil sie sich alsbald totlaufen und weder im Palais Pallavicini noch im Haus „Stadt Brünn” und im Palais Lobkowitz fortgesetzt werden. Ach, und die ausgebissene Ecke mit der anschließenden Arkade in der Dorotheergasse, die nun künstlich zu einer nur einem Fahrzeug Raum geben den Fahrbahnbreite von 2.9 0 Metern verengert worden ist, ohne daß man, entgegen dem Antrag des Bezirksvorstehers, der sich auf einen Beschluß der Wiederaufbaukommission des ersten Bezirkes hatte stützen können, die sehr ungünstige Einmündung der Dorotheergasse in die Augustinerstraße verbessert hätte! Dort mußte die Baulinie über die bestehende Baulinie des evangelischen Pfar-r- hauses um jeden Preis v o r springen! Warum das? Denkt das Planüngsamt etwa daran, die „Stadt Brünn” in die Baulinie des Dorotheums zu rücken, eines besonders häßlichen Bauwerkes? Sollten nicht vielmehr die Bäulinien der güten Althäuser an der linken Seite der Dorotheergasse entscheiden?

Und diese ausgebissene Ecke! Man sagt, sie sei notwendig geworden, weil die Fußgeher beim Hinaustreten aus einer der neuen Arkaden in die Augustinerstraße sonst ungenügende Sicht haben würden. Wir meinen dies nicht. Doch hat diese üble Ecke ein Gutes! Wir werden sie, wir werden die Arkade an der Dorotheergasse uns merken und mit Fingern auf sie weisen müssen, wenn man wieder einmal vorgeben wird, ein altes Haus zerstören oder gar eine schöne, alte Gasse um des Lichts und der Luft und des Verkehrs wegen ausweiten zu müssen. Hier wurde die Fahrbahn im Namen des Verkehrs bedeutend verengert. Da kenne sich einer aus!

Hätte man .sich einer zurückhaltenden Architektur befleißigt, die sich an die Nachbarn angelehnt, sich ihnen untergeordnet hätte, wie das Haus hinter der Akademie der Wissenschaften oder jenes an Fischerstiege und Salvatorgasse, uns wäre leichter gewesen. Ja, selbst ein mutiges, kühnes Antlitz hätten wir hingenommen, wie es das Zacherl-Haus auf dem Bauernmarkt vor Jahren zu zeigen gewagt hat. Aber was uns da an unserem Josefsplatz beschert wurde, ist, zusamt dem sich unter den Fenstern des zweiten Obergeschosses kundgebenden „Plattenstil” (Hassinger), unverstandene, ungekonnte „Heimatkunst”.

Denkmalschutzarchitektur? Vielleicht. Aber im Grunde weder Denkmalschutz noch Architektur!

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