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Denkmodelle zerstören...

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Seit der Uraufführung seines mechanistischen Stücks ,Flipper“, mit dem das „Wiener Cafetheater hinterm Graben“ 1968 eröffnet wurde, hat der junge österreichische Dramatiker Wilhelm Pevny Erfolge und Skandale en gros verbuchen können. Mit „Oedip-Entsinnung“ (1969) versuchte er — zum Entsetzen des Wiener Publikums — erstmals gängige Denkschemata auf den Kopf zu stellen und zu zerstören; seine Adaptierung von Shakespeares „Maß für Maß“ als unkonventionelle Sprach- und Bewegungsstudie für das Cafetheater trug ihm Aufträge ein.„Sprintorgasmic“ wurde von der berühmten „La Mama“-Truppe in New York uraufgeführt. Das Wiener Volkstheater hat sich nun die deutschsprachige Erstaufführung des aggressiven Stücks für Jänner 1971 gesichert (Regie: Götz Fritsch). Lediglich „Rais“, Pev-nys jüngste Arbeit, harrt noch der Präsentation: Obwohl von „La Mama“ bereits fürs „Arena 70“-Theater im Museum des 20. Jahrhunderts geprobt, mußte es aus rechtlichen Gründen vorerst abgesetzt werden. Mit dem Fernsehen hat Pevny eben erste Kontakte wegen einer größeren Arbeit aufgenommen

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Seit der Uraufführung seines mechanistischen Stücks ,Flipper“, mit dem das „Wiener Cafetheater hinterm Graben“ 1968 eröffnet wurde, hat der junge österreichische Dramatiker Wilhelm Pevny Erfolge und Skandale en gros verbuchen können. Mit „Oedip-Entsinnung“ (1969) versuchte er — zum Entsetzen des Wiener Publikums — erstmals gängige Denkschemata auf den Kopf zu stellen und zu zerstören; seine Adaptierung von Shakespeares „Maß für Maß“ als unkonventionelle Sprach- und Bewegungsstudie für das Cafetheater trug ihm Aufträge ein.„Sprintorgasmic“ wurde von der berühmten „La Mama“-Truppe in New York uraufgeführt. Das Wiener Volkstheater hat sich nun die deutschsprachige Erstaufführung des aggressiven Stücks für Jänner 1971 gesichert (Regie: Götz Fritsch). Lediglich „Rais“, Pev-nys jüngste Arbeit, harrt noch der Präsentation: Obwohl von „La Mama“ bereits fürs „Arena 70“-Theater im Museum des 20. Jahrhunderts geprobt, mußte es aus rechtlichen Gründen vorerst abgesetzt werden. Mit dem Fernsehen hat Pevny eben erste Kontakte wegen einer größeren Arbeit aufgenommen

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Wilhelm Pevny, 1944 in Wallers-' dort in Bayern geboren, in Wien Student der Theaterwissenschaft, hat sich von allem Anfang dem Theater verschrieben: „Schon mit 16 hab' ich lieber Schule geschwänzt und Stücke geschrieben ...“ An Erzählungen,, Romanen, Epischem hat er sich nie versucht. „Ich brauche die sichtbare und hörbare Reaktion des Publikums, den Widerhall, weil ich das Publikum sehr direkt anspreche ... Für Theater als Lesestoff habe ich wenig übrig, ich schreibe auch so ungern Briefe!“ Er hat zwei Jahre lang Pariser Theaterluft genossen, sich dann in New York über neueste Trends und Experimente des US-Theaters informiert, schließlich in London viel über Theater diskutiert. Als er nach Wien zurückkehrte, interessierte ihn nur noch eines: praktisches Theater zu machen. Genauer: mit Dieter Haspel, dem jungen Cafetheaterchef, ein der „La Mama“-Gruppe ähnliches Ensemble aufzubauen, das — wie dieses — „politisches Lehrtheater auf der Basis einer Symbiose von streng organisierter Sprache, Pantomime, kunstvoll eingesetzten akustisch-optisehen Medien exerziert. Eine solche Truppe war und ist um so notwendiger, je differenzierter die Stücke werden, je laibyrdnthisch verworrener die Sprache wird, je mehr das Theater Kollektivarbeit verlangt, in der freilich die Ein-zelpensönlichkeit gewahnt bleiben muß.“

Stücke, wie sie heute in den USA bereits Schule gemacht haben, „Arden of Feversham“ etwa bei „La Mama“ oder „Stomp“ von der Texaner Studentengruppe „The Combine“ (beide waren in der Arena 70 zu sehen), verlangen einen neuen Inszenierungsstil. Schauspieler müssen da singen, tanzen, Pantomime spielen können; es gibt keine jugendlichen Liebhaber mehr und keine Heroinen, keine jugendlich Naive und keinen Theaterbösewicht vom Dienst: „Zarteste Poesie muß einer ebenso überzeugend ausspielen können wie verrückte Sprachgrotesken oder politisches Lehrtheater. ,La Mama' hat einen unverkennbaren, streng organischen Spielstil entwickelt, in dem es ganz auf den Schauspieler ankommt, Stücke ohne Bühnenbilder in den Raum zu stellen. Genau das wollen wir auch im Cafetheater. Dafür schreibe ich meine Stücke. Hauptschwierigkeit ist lediglich das unstete Umherwandern unserer Schauspieler von Bühne zu Bühne, was ihren Stil verdirbt. Sie müßten länger bleiben, um erst einmal ganz hineinzuwachsen.“ Pevnys zwei letzten Stücke „Sprintorgasmic“ und „Rais“, in dieser Art vermutlich das konsequenteste neue Theater, hängen direkt zusammen. „Das eine war sozusagen eine Vorarbeit fürs andere. .Sprintorgasmic' stellt die Frage nach dem ,Was', nach sinnlichen Bedürfnissen des Menschen, nach seinen Idolverhaftungen, nach seinen Bindungen, an das Kriegsspiel etwa. Ich stelle hier die Funktionalgesetze (zum Beispiel von Farbe, Berührung, Lärm) auf, zeige Verknüpfungen, konstatiere Gesetzmäßigkeiten und, daß natürliche Bedürfnisse von außen her durch Werbung abgelenkt und durch künstlich geschaffene allmählich ersetzt werden. Der Konflikt ensteht hier aus dem Aufeinanderprallen des geformten bürgerlichen Emotionalbildes und des antibürgerlichen, veränderbaren Intellektualbildes.“ An Gilles de Rais faszinierten ihn „die Zusammenhänge von .emotionellem Leben' und Formung durch die Gesellschaft; auch wie sexuelle Unterschwelligkeit durch intellektuelle Fundamen-tierung ins Religiöse überhöht werden und selbst zu Kindermord ,aus Liebe' führen kann. Ich gebe in ,Rais' freilich nirgends direkte Erklärungen. Das wäre zu billiges Lehrtheater. Man versteht erst allmählich Zusammenhänge zwischen Momentaufnahmen und Situationen, die aufblitzen.“

Der Text wirkt im ersten Moment eher .schizophren': Rais muß für alle Vorgänge und Gefühle intellektuelle Erklärungen finden. Er versucht, nicht zu töten, muß aber dabei erkennen, daß er sich so selbst beschneidet. Er projiziert das Ich, das er nicht sein möchte, in andere. Das bedeutet ein Schwanken zwischen totaler Resignation und politischer Aktion. Er führt einen Kampf gegen sich selbst, er stolpert, ständig hin-und hergerissen zwischen Zärtlichkeit und Aggression gegen sich und andere. Dazu Pevny: „Alles, was wir lieben, müssen wir festhalten, es töten!“... Probleme der Inszenierung von „Sprintorgasmic“ im Volkstheater? „Noch haben natürlich die Proben nicht begonnen. Aber es ist ein Stück, in dem acht Personen ständig auf der Bühne sind und Lautsprecher mitspielen. Das heißt, technische Perfektion ist absolute Notwendigkeil Die Szenen selbst erscheinen etwa so, wie wenn man etwas zu nah vor Augen hat, das heißt, es zu scharf sieht, so daß die Konturen verschwimmen ... Verschiedene Ebenen werden da übereinander gelegt. Was wirklich vorgeht, versteht man erst, wenn man alles gesehen hat. Es ist ein Stück über die Maschine im Menschen, ein Spiel um Zustände, mit Farben, mit Lärm. Poetisches flimmert immer wieder auf. Vor allem: es geht hier um die Emotionen des Publikums, die gesteuert werden. Etwa so, daß man das Publikum zum Lachen verleitet. Erst später erkennt es, daß es sich über tragische Verkettungen amüsiert hat. Und dann muß man es direkt ansprechen, Vorwürfe machen. Wichtig ist, daß keine Situation zementiert wird, daß immer eine durch die darauffolgende antithetisch aufgehoben wird... Aber es ist jedenfalls ein Stück klare Entscheidung für den Menschen, für die Humanität.“

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