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DER ALTAR VON DEUTSCH-WAGRAM

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Die Entdecker einsamer Kunstwerke in abgelegenen Dörfern und verlassenen Kirchen, die fleißigen Topographen, die heute vergessene Gotik und übersehenes Barock an den Tag fördern, werden in kommenden Jahrhunderten gewifj ihre Kollegen finden; scheint es doch eine besondere Eigenheit unseres Kunsflebens zu sein, daß die grofjen offiziellen Auftraggeber für ihre städtischen Unternehmungen vor allem Protektion und Publicity ins Kalkül ziehen, weniger aus Bosheit als aus Bequemlichkeit. Die Mäzene jener Künstler, die weder Protektion genießen noch Publicity fabrizieren, sind in abgelegenen Tälern zu finden, in Dörfern, an denen nur Personenzüge haltmachen, soweit sie überhaupt dem Verkehrsnetz erschlossen sind, oder in Stadtbezirken, die man in Wien die „enteren Grund’” und überall sonst mit ein klein wenig Verachtung Peripherie nennt.

Daß im niederösterreichischen Deutsch-Wagram vor mehr als hundert Jahren eine blutige Schlacht staftgefunden hat, lernt man allenfalls an den höheren Bildungsanstalfen, daß dort vor einem halben Jahr eines der bedeutendsten Altarwerke österreichischer Gegenwartskunst errichtet worden ist, wissen nur wenige Eingeweihte.

Der Name des Bildhauers Alexander Silveri ist kein unbekannter, aber sein Träger hat die mifjliche Eigenschaft, weder künstlerisch konservativ zu sein noch jener in Manierismus erstarrten Moderne anzugehören, die heute bereits zur Kunstindustrie wird. Silveris eigenwillige Persönlichkeit kennt keine Rücksichtnahmen. Er gehört zu jenen — in unserer Zeit so seltenen Künstlern —, die keinen Stil suchen, sondern ihn prägen. Seine in Eisen gegossene Kreuzigungsgruppe gibt dem schlichten, in seinen Maßen hervorragend gelungenen Innenraum der von Hans Petermayr erbauten neuen Wagramer Kirche sein geistiges Zentrum. Silveris besonderes Einfühlungsvermögen in die Architektonik und das Material des Raumes beweist sich hier aufs neue. Die drei Meter breite und vier Meter hohe Gruppe wurde unter schwierigsten Gegebenheiten in einer Grazer Giefjerei, die nur auf technische Arbeiten eingestellt ist, geschaffen.

Die figurale Darstellung zeigt neben dem Gekreuzigten die Muffergotfes und Johannes den Täufer, dem die Kirche geweiht ist. Die beiden Figuren sind durch einen breiten Bogen, an dessen Enden sie stehen, verbunden. Harmonisch hierzu neigt sich der Kreuzbalken zu beiden Seiten leicht abwärts, so daß im gesamten die Form eines Ankers entsteht, der zugleich ein Boot mit dem Kreuz als Mast darstellt. Diese Symbolik erschließt sich vollkommen unaufdringlich dem Betrachter, denn nicht sie bestimmt die Form, das Sinnbild erwächst aus der formalen Gesfaltung. Ebenso entspringt die Gestik der Figuren zuerst dem Formwillen des Künstlers: die Gottesmutter mit erhobenen, aber eng an den Körper gepreßten Armen, und die nur von einem zerfetzten Mantel umhüllte Gestalt des Täufers, des „armen Menschen”, der die Armuf als Freiheit von allem erkannt hat. „Nur wer von niemandem etwas zu erwarten hat, kann wahr sein”, sagte Sifveri selbst in Hinblick auf diese Figur, deren Blick verkündend gegen die Gemeinde gerichtet ist, während die zu Christus ausgestreckten Schwurfinger die Unbedingbarkeif des Glaubens bezeugen. Die Hände des Gekreuzigten selbst neigen sich zu den beiden Gestalten — die Nägel sind durch die Gelenke geschlagen. Wieder wird die formale Notwendigkeit — hier die Gegenbewegung der Hände zu den aufwärts ausgestreckten Armen — zur geistigen Aussage: nie werden diese Hände Gottes den irdischen Menschen erreichen. Der Mensch selbst hat. sie festgenagelt an den Balken des Kreuzes. Aber in diesem „Nicht-erreichen- Können” liegt für unser Ermessen die Ewigkeit der Liebe, die sich steigert von Stunde zu Stunde.

Die naheliegende Bezeichnung Glaube, Hoffnung und Liebe für die drei Gestalten des Altarwerkes wird vielleicht manchem Kunstbetrachfer banal erscheinen, aber gerade dieses Zurückfinden zu den einfachen Weisheiten des Evangeliums scheint mir zugleich ein Wiederauffinden jenes Schnittpunktes, an dem Glaube und Kunst Zusammentreffen. Hier ist das heute oft so leichtfertig ausgesprochene Wort von moderner christlicher Kunst richtig am Platz, wo formender Wille mit Un bedingfheif zur religiösen Aussage wird.

Zwei Jahre vor der Errichtung des Wagramer Altars wurde in Wien in der Liesinger Pfarrkirche eine Holzplastik Silvers errichtet. Mit großer Erwartung darf man dem Entstehen des Grazer Mahnmals 1939—1945 entgegensehen, dessen Errichtung Alexander Silveri auf Grund eines schon im Modell ergreifenden Entwurfes zugesprochen wurde.

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