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DER ALTE MARKO

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In jüngeren Jahren war er öffentlicher Ausrufer. Später, ®ls seine gewaltige Stimme auch durch den großen Trichter, das Relikt eines alten Grammophons, nicht mehr genügend Resonanz hatte, uim die InseLbevölkerung von Lissa vor Haifischen und anderen Gefahren erfolgreich zu warnen, wurde er amtlicher Geldausträger. Als soldier hatte er in dem Inselstädtchjen Comisa den dort lebenden 17 Pensionisten des alten Österreich an den Kalenden jedes Monats den Kiuhe- gelhailt ins Haus zu bringen. Auf diesen Amitsrwegen war er zur Restaurierung seiner Kräfte gewöhnlich mit einem Fuß in der Osteria. Manko amtierte im Namen der jeweiligen Obrigkeit: einmal für Österreich-Ungarn, dann flür ItaMen, dann für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Im zweiten Weltkrieg diente er wieder eine Weile unter der Tricolore des Hauses Savoyen, dem damals auch das Kaiserreich Abessinien unterstand, und schließlich 1944 unter englischer Oberhoheit, die Oberst Randolf Churchill als Stadtkommandant von Lissa repräsentierte. Daß dieser viel- umstrittene Flottenstützpunkt, „das adriatische Gibraltar”, nie ein Hakenkreuz gesehen hat, erfüllte Marko mit Stolz und Genugtuung. Das Tito-Regime hat er nicht mehr erlebt.

Dieser alteingesessene Dalmatiner war ein hoffnungsloser Individualist. Er trug niemals eine Uniform und weigerte sich auch, die Fahne au wechseln. Innerlich blieb er immer schwarzgelb. Für diese Treue hatte sogar die Behörde Verständnis, wechselten doch im Laufe seiner Amtsjaihre jeweils immer nur zwei Bürgermeister ihren Posten: ein kroatischer und ein venezianischer Lissaner. Ihre Residenz war die mächtige, alte Festung an der Riva, die „cormuna”. Mit der Fahne, diie über der Festung weihte, wechselte jeweils der podestä —- alber Mairiko bliefo.

M-an saih ihn nie anders als in einem dunklen Anzug undefinierbarer Farbe, Fasson und ebensolchen Alters. Das gleiche gilt von seinen Opanken und seiner Fischeranütze mit dem „frontin”, wie man hier den Kappenschdrm nennt. Marko (hatte einen kroatischen Halbitus: weiches, dunkles Haar, ein geblich-braunes Gesicht mit mandelförmigen Augen und einem gütigen, melancholischen Blick. Wie so viele seiner Landsleute trug auch er einen venetiamischen Familiennamen, indes seine Gesinnung kroatisch respektive altösterreichisch war, mit der stellen, umbewältigten Sehnsucht, der Majestät dienen zu dürfen. Marko mochte die Serben nicht.

In den langen, warmen Mondnächten des Sommers, wenn der Sardellenfischfang brachliegt, ging Marko unter die Fischer, die sich in Gruppen formierten. Die einen bummelten singend mit ihren slawisch wehmütigen Liedern durch die engen Häuserzeilen aus weißem, die Tageslhitze aiusstrah- lenden Stein, die anderen schlenderten entlang der von Wer- miutsträochem und Agaven umsäumten Küstenstraße, der alten römischen Cesta; wieder andere saßen oder lagen am Strand unter den schwarz geteerten Bäuchen ihrer aufs Trockene gezogenen Fischerbarken, Mit Würde trugen diese dalmatinischen Fischer die traurige Schönheit früh gealterter Gesichter, und hinter den tiefen Stirnfalten dieser Söhne Neptuns, dieser maritimen Helden, in denen ein Tegetthoff noch nachwirkte, lag heimliches Wissen um alles Lebendige, das ihnen, ob Getier oder Gewächs, Bruder und Schwester bedeutete. Ob Marine we oder Fischer, alle waren sie Seeleute, und jeder von ihnen wair in kroatischer Amtssprache ails „pomorac”, zu deutsch Seemann, immatrikuliert.

Fanatisch wurden die Gespräche beim Thema der Politik; da entwickelte sich jeder einzelne zu einem kleinen Cicero, und alles Gesagte stand unter dem Motto „Es war einmal”, Gedanken und Gefühle, die in den Kindern und Kindeskin- dem Wurzeln schlugen. Marka vertrat die Meinung, daß der Streit ihrer Väter und Großväter noch nicht geschlichtet sei, daß jeder Tote die Leibenden dn eine andere Richtung zerre. Dieses Von Arbe bis Ragusa in den Mauern einer untergegangenen venezianischen Herrlichkeit lebende Küstemvolk, das noch jenes einem alten kroatischen Volkslied aus der Lika entnommene „Gott erhallte” sang und gleichzeitig uralte Sitten aus griechischer Zeit sein eigen nannte, dieses Volk, in dessen Jugend sich damals schon alarmierend der Amerikanismus rührte, hatte es nicht leicht, patriotisch zu fühlen. Zu vieles war ihm angeboren, zu vieles von Ost und West gärte in seinem Blut.

Das politische Bekenntnis manifestierte sich vor allem in hren Volksliedern. Der Südländer singt. Er singt bei der Arbeit und in den Mußestunden, einzeln und in der Gruppe, zu Hauise und auf der Straße. Im Lied wird mancher Streit ausgefochten. Der kroatische Lissaner sang auf seine Hedmat das „Ljepa naša domovina”, während sein Nachbar mit dem Pireifilied auf seine Mutterstadt Venedig antwortete: „O Venezia benedetta, la regina sei del mar’ Alles lebte fort in Canzanen und Canzonetten, so Garibaldi und der Flieger- generall Cadoema, Cante Fäa di Bruno, der Kommandant des versenkten „Re d’Italia”, und alle italienischen Seehelden, die in der Schlacht von 1866 gegen Tegetthoff vor Lissa unter- gegangen stad. Anderseits wurde „Den für Kaiser und Österreich ruhmvoll. Gefallenen” von den Waffengefährten in Lissa ein Monument errichtet. In einem kroatischen Lied wieder gipfelte der Haß der Lissaner gegen den Faschismus. Heute mutet dieser Text wie eine makabre Prophetie an: „Mussolini ti si prvi, mismo žedmi tvoję krvi. Mussolini neka, meka, tebe teäksa sudlba ceka…” (Mussolini, wir dürsten nach deinem BHute, deiner harret ein fürchterlich Geschick.)

Was der gefürchtete „malocchio”, der böse, verwünschende Blick, beim Südländer mitunter an Furcht den Mitmenschen einzujagen vermag, das versöhnte Markos unendlich gütiges Antlitz, dieser Ausdruck von Kinderaugen. Aber nie schien er mir so traurig, wie wenn er lachte. Etwas von der Tragik des griechischen Menschen trug er auf seiner Stirn, wie man überhaupt bei der Betrachtung dieser uransässigen Inselbewohner miit Faszination festsitelllen kann, daß sie dm Alter ähren antiken Ahnen, wie wir sie aus musealen Sammlungen kennen, immer ähnlicher werden. Ihre Welt ist zeitlos. Von ihren Toten trennit sie nur eine dünne Wand. Unangefochten beherrscht hier der Aberglaube neben dem Glauben das Denken der Menschen.

Immer, wenn ich die Stimmung eines Sommertages meiner Jugend, den Duft von Rosmarin und Myrte aus mir hervorhole, befällt mich eine den Tränen sich nähernde Sehnsucht nach meinem adriaitischen Eiland, und das Bild des alten Marko mit einer der schönsten Episoden meines Lebens taucht aus der Erinnerung auf. Ein Dichter hat die südlichen Kräuter und Gewürze, die ihren herlben Duft nicht eher ausströmen als bis sie zermalmt oder gebrochen werden, mit edlen Menschen verglichen. So eine Seele war Marko.

Es war im Hochsommer, vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges, als Marko in unser Haus kam, um meiner Großmutter die Pension zu bringen. Bei erbarmungsloser Hitze saßen wir müßig in dem kühlen atriumartigen Hinterhof bei der Zisterne. Wir luden den Alten ein, mit uns ein Glas Opolflo eigener Erzeugung zu trinken. Die „conoba”, der ebenerdige Keller mit dem stimulierenden Geruch von Wein und alten Fässern, schloß sich an diesen Hof an; atoo saßen wir gleichsam zwischen zwei Quellen, aus denen dionysisch Wein und Wasser Zusammenflüssen. Der Lissaner trinkt den Wein immer gemischt; alber mein Großvater pflegte zu sagen, daß der Wein das Wasser nicht besser und das Wasser den Wein nur schlechter mache.

Marko nahm mit der Ergebenheit des Dienenden, zugleich aber mit der Selbstverständlichkeit unbewußten Stolzes neben uns Platz und fühlte sich bald in Stimmung für seine stadtbekannten Stegreiferzählungen, „le favale”, nicht ohne vorher den offiziellen Teil seines Besuches erledigt zu haben. Das Häuflein Geld trug er in einem großen, buntgestickten Sack, der „torba”, über seiner Schulter. Mit diesem Requisit und dem Zwicker legte er dann gewissermaßen die offizielle Aura seiner Persönlichkeit ab und gab sich fortan ganz privat. „Pazienza!” sagte er in dem italienisch-kroatisch vermischten Inseldialetot, wenn es hieß: „Also, Manko, erzähl uns etwas!”

Im Hause lebte noch meine sefhr jiunge Tante Palma, die ein leibhaiftiiger Olown, ein goldoniischer Typus par excellence war und die dem Alten ein Stückchen spielen wollte. Als sich nämlich der gute Mann bei 40 Grad im Schatten die Fortführung seines Amtsweges überlegt hatte und bat, seine torta mit Inhalt bis zum nächsten Morgen bei uns deponieren zu dürfen, nahm Palma den Geldsack mit größter Bereitwilligkeit an sich, indes sie ihren Scherz schon ausgeklügelt hatte.

Am nächsten Margen erschien Manko und bat um Ausfcfl- gung seiner torba. Palma stellte sich unwissend und fragte verwundert: „Welchen Sack? welches Geld?” — Marfso, bis ins Innerste erschüttert, sah sie mit seinen gütigen Augen beschwörend an, schlug mit der offenen Hand an seine Brust und sagte langsam und feierlich: „Gospodarice, imamo samo jedan dulh!” — Herrin, wir haben nur eine Seele!

Zeichnung von Susanne Thaler

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