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Der Anruf des Gewissens

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Für den 15. November 1. J. haben die hochwürdigsten österreichischen Bischöfe den 2. Gesamtösterreichischen Filmsonntag angesetzt und seine Durchführung der Katholischen Filmkommission für Oesterreich übertragen.

Zum zweitenmal rufen damit die verantwortlichen Oberhirten das christliche Volk, das sich allsonntäglich um die Kanzeln und Altäre versammelt findet, zu ernster Besinnung auf ihre Haltung dem zeitgenössischen Filmwesen gegenüber auf. Die Devise, unter die diese Besinnung dieses Jahr gestellt ist, lautet: „Gott sieht auch, welchen Film du wählst!“

Es ist eine Devise, die aufhorchen läßt und, wenn sie richtig verstanden wird und sich durchsetzt, von unübersehbarer guter Wirkung sein müßte. Sie ruft das Gewissen auf den Plan. Das Gewissen ist aber die Macht, die bei jedem Menschen, der noch auf seine menschliche Würde achtet, um so mehr bei jedem Christen, entscheidend das Verhalten bestimmt. Der heilige Paulus sagt im Römerbrief (14, 23): „Alles,

was nicht aus Gewissensüberzeugung geschieht, ist Sünde.“

Die Sünde: ein Begriff, den das moderne Leben kaum noch kennt. Gut ist, was Erfolg bringt, was Gewinn einträgt, was Vergnügen bereitet, was Genuß verschafft. Da wurde uns dieser Tage das Erscheinen eines Buches in Rom angezeigt — das Werk selber liegt uns im Augenblick, da dies geschrieben wird, noch nicht vor —, das schon in seinem Titel, der einfach „Die Sünde" heißt, ein Bekenntnis zu dieser Wirklichkeit bedeutet. Der Inhalt führt diesen Begriff sozusagen auch wieder — man ist versucht zu sagen: endlich! — in die Probleme ein, die uns Heutigen gestellt sind und auch nach einer moraltheologischen Betrachtung und Lösung rufen. Es sind u. a. das Problem des Straßenverkehrs, des Existentialismus, der Psychoanalyse, des Okkultismus und Spiritismus, des Aberglaubens in seinen verschiedenen, auch heute noch wirksamen Formen. So kann das Werk begreiflicherweise auch am heute noch weithin die Massen des Volkes und der Jugend am stärksten beeinflussenden Problem des mo dernen Films nicht vorbeigehen. Das Werk ist zwar keine offizielle Veröffentlichung des Heiligen Stuhles, es hat aber durch die hohe Qualifikation seiner Mitarbeiter große Autorität. Es sind vierzig führende katholische Theologen, die zu den modernen Problemen Stellung nehmen. Herausgeber ist der Sekretär der Konzilskongregation, Monsignore Pallazzini. Beinahe kann man das Werk einen modernen Sündenkatalog nennen. Es ist sicher an der Zeit, diesen Spiegel der modernen Welt und auch dem Film vorzuhalten.

Sündenkatalog des Films? Da fällt uns unwillkürlich ein Sündenkatalog ein, der schon bald zweitausend Jahre alt ist und vom heiligen Paulus stammt, einem Manne, dem man die Kenntnis der antiken Welt nicht absprechen kann. Er nennt im Galaterbrief (5, 19 ff.) als „Werke des Fleisches“, die dem Geist widerstreben und also Sünde sind: „Unzucht. Unkeuschheit, Schamlosigkeit, Wollust, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Ränke, Spaltungen, Parteiungen, Haß, Mord, Trunkenheit, Schlemmerei u. dgl. m.“

Wir wollen gewiß nicht billig generalisieren, aber ieš jnar, nic’.t ersucht zu fragen, ob eines der hier genannten „Werke des Fleisches" dem Film fremd ist? Man gehe diese „Werke des Fleisches“ einzeln durch mit dem Blick auf die heutige Filmproduktion: Unzucht… Schamlosigkeit… Feindschaft… Eifersucht… Haß… Mord … Trunkenheit… Schlemmerei… und man muß die Belege dafür nicht nur in den durch das obgenannte Werk namentlich zitierten französischen Filmen suchen. Auch wenn sie, was aber auch vorkommt, diese „Werke des Fleisches“ nicht verhimmeln, nicht mit einer Gloriole des Heldenhaften umgeben — wirksam als unmoralisch, als gewissenlos und darum als verderblich zu bekämpfen werden sie nur selten dargestellt.

Dabei wollen wir natürlich nicht übersehen, daß es auch eine gute Reihe nicht nur moralisch einwandfreier, sondern auch sittlich hochstehender Erzeugnisse der „achten Kunst“ gibt.

Nun ergab eine Rundfrage anläßlich des Filmsonntags, die in allen Pfarren Oesterreichs durchgeführt wurde und die ein sehr interessantes Bild von der Organisation und der Reichweite der Bemühungen der Katholiken im zeitgenössischen Filmwesens gibt, worüber noch zu sprechen sein wird, die doch irgendwie erschrek- kende Tatsache, daß immer noch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Katholiken, besonders in den Landpfarren, wie die Berichterstatter erklären, einfach „ins Kino“ gehen, ohne sich vorher über die Art und Qualität der Filme, die ihr Kino bringt, zu informieren. Dies bleibt betrüblich, auch wenn sie nachher, wie gleichfalls die Berichte bezeugen, manchmal über die schlechten Filme schimpfen, ohne freilich ihre Hebung, „ins Kino“ zu gehen, darüber aufgeben.

Nun mußten aber im laufenden Jahr von den rund fünfhundert in Oesterreich anlaufenden Filmen schon 10 Prozent von der gewiß nicht engstirnigen Begutachtung der Katholischen Filmkommission für Oesterreich als „abzuraten“ und „abzulehnen" eingestuft werden. Im Gegensatz konnten nur 5 Prozent der Filme als wertvoll empfohlen werden. Die 85 Prozent, die dazwischen liegen, sind nun nicht durchaus so, daß man das unbedachte „Ins-Kino"-Gehen damit in Kauf nehmen könnte.

Hier Setzt nun die Devise und damit das Ziel des heurigen Gesamtösterreichischen Filmsonntags ein. „Gott sieht auch, welchen Film du wählst!“ will sagen, daß es eine Auswahl unter den zum Besuch einladenden Filmen geben muß, die sich nicht darauf beschränkt, zu wählen, was vom Verleiher dem Kinobesitzer vorgelegt, oft genug Ięider„ąuch oktroyjert ..;yrįr.d, sondern daß diese Wahl unter der Kontrolle des Ge- wis'sfehs'stehen muß. Unter dieser Kontrolle steht ja das ganze Leben, Halten und Tun des Christen. Der Filmbesuch wird nach dem Gesagten davon nicht ausgenommen sein dürfen. Vor dem Gericht des Gewissens müßte schon die Geldausgabe, die Zeitaufwendung, die ein Filmbesuch beansprucht, verantwortet werden, noch mehr aber die Gelegenheit, die damit freiwillig dem Bösen geboten wird, vom eigenen Denken ergriffen und etwa gar bejaht zu werden. Wie sehr die Elemente des Filmwesens dazu beitragen, braucht hier nicht erwähnt zu werden. Sich ohne ernsten Grund dieser Gefahr auszusetzen, heißt mit ihr spielen, heißt fnit der Sünde spielen, heißt zuletzt, Gott versuchen. „Die solches tun", sagt wieder der heilige Paulus, „gehen nicht in das Reich Gottes ein." Das Reich Gottes aber ist die Heimat der Christen, nicht nur erst im Jenseits.

Mit dieser Devise setzt die Kirche da den Hebel an zur Förderung des guten Films, wo er unter den gegebenen Verhältnissen fruchtbar und wirksam anzusetzen ist: nicht im Boykott des Films, wie er auch einmal empfohlen wurde, nicht durch Produktion guter Filme seitens ka tholischer Stellen — über gute und wertvolle Kulturfilme sind wir dabei noch kaum hinausgekommen, im Spielfilm geht diesen Stellen immer allzu rasch der Atem, will sagen der nervus rerum aus. Die Filmindustrie ist technisch und finanziell übermächtig. Aber: in Oesterreich gibt es über 6 Millionen Katholiken. Die Kinder und ganz alten Menschen, für die der Film nicht in Betracht kommt, abgerechnet, bleiben immer noch an die 5 Millionen. Davon „praktizieren“, wie die kirchliche Statistik sagt, in Oesterreich im Durchschnitt der Diözesen noch etwa 35 bis 45 Prozent, das heißt gut 2 Millionen werden noch von der kirchlichen seelsorglichen Betreuung erfaßt. Wenn es gelänge, diese 2 Millionen Katholiken in Oesterreich im Sinne der Devise dieses Filmsonntags dazu zu bringen, bei ihrer Filmauswahl das Gewissen entscheidend mitsprechen zu lassen, wäre dies eine Demonstration, der eine wirksame Förderung des guten Films nicht versagt bliebe. Die Möglichkeit dazu besteht. Wie die eingegangenen Berichte bezeugen, gibt es in fast allen Pfarren Oesterreichs schon den Aushang an den Kirchentüren oder anderen leicht zugänglichen Orten, in dem das Urteil der Katholischen Filmkommission für die jeweils anlaufenden Filme enthalten ist. Und es besteht eine römische Weisung, daß der Christ im Gewissen verpflichtet ist, bei seinem Filmbesuch diese Gutachten zu beachten: denn „Gott sieht auch, welchen Film du wählst“!

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