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Der Anteil Österreichs

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KUROPABILD UND EUROPAGEDANKE. Beiträge mr deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Von Heini Göll wltier. Verlas C. II. Beck, München, 1964. I. Auflage. 410 Selten. Ganzleinen. Preis 35 DM.

Die zweite Auflage des „Europabildes“ folgt der ersten von 1951 nach 13 Jahren in der notwendig gewordenen Neubearbeitung. Das Gollwitzer-Werk ist ein systematischer Beitrag zur allgemeinen politischen Geschichte, wertvoll durch verständliche Klärung der Terminologie und frei von propagandistischen Tendenzen. Der Grundgedanke hält Alteuropa für tot und das neue für einen Erdballteil unter mehreren anderen. Der Inhalt beschränkt sich auf die Ausprägung eines Europagedankens im 18. und 19. Jahrhundert durch die deutsche Geistesgeschichte, ohne darauf zu verzichten, auf die antiken Ursprünge, das abendländische Mittelalter und den Beginn der europäischen Phase im 16. und 17. Jahrhundert zurückzusehen und als Abschluß einen Blick in die Zukunft zu wagen.

Die Wanderungen durch das 18. und 19. Jahrhundert beginnt 1792 und endet 1914. Als Grundzüge des aufgeklärten Europabildes werden Euro-päertum und Menschheit, Europa als Geschichtsraum und in seinen Beziehungen zu Rußland und Amerika, dann das europäische Gleichgewicht und der europäische Völkerbund dargestellt, erläutert durch die Europabilder von Vogt, Heeren, Herder und J. v. Müller. Anschließend folgt die Analyse des napoleonischen Europasystems mit seinen deutschen Trabanten Dalberg, Krause, Jean Paul und anderen mehr, übergehend zu den Gegnern dieses Systems, vertreten durch den Gleichgewichtskonservatismus (Martens, Gentz, Ancil-lon, Männer der preußischen Erhebung), die Romantiker (Novalis, A. v. Müller, Schlegel) und die Nationalisten (Fichte, Arndt, Jahn). Das Europabild der Restauration beherrscht Metternich mit Gentz, Baader, dem Dänen v. Schmidt-Phisel-deck, A. v. Müller, Fr. Schlegel und Görres; Hegel und Ranke leiten über zu Liberalismus, Demokratie und Nationalismus bis „zur Paulskirche“. Nach einer Betrachtung des europäischen Denkens im Zeitalter Napoleons III. und Bismarcks (Fallmerayer, Frantz, Buss, Lasdulx, Jörg, Ger-vinus, Fröbel, Diezel und J, Burck-hardt) schließt das Werk mit der imperialistischen Ära und dem pazifistischen Europäismus.

Gollwitzer zieht die Blanz: der Europagedanke war eine kontinuierliche doch niemals zur Tat gewordene Idee, man gelangte nur bis zu einer „Gesellschaft, von Nationalper-sönlichkeiten“, dann zum Traum der „Vereinigten Staaten von Europa“, bis nach 1918 die europazentrische Betrachtungsweise überrollt wurde. Der Völkerbund war ein Siegerkonzern, die UNO entstand als solcher, eine antlantische Welt tritt in den Vordergrund, West und Ost könnten „in der Besinnung auf gleiche Ursprünge“ vorwärts gelangen bis in die „Eine Welt“. Was — müssen wir nun fragen — wird dieses Europa sein? Ein atlantischer Brückenkopf, eine Sicherungsflanke, ein Vorposten? Was wird in den anderen

Kontinenten geschehen? Wird Europa nicht doch auch wieder nach dem Osten blicken müssen? Jedenfalls hat der Expreßzug der Weltgeschichte die erst im Bau befindliche Station Europa verlassen und Richtung genommen auf den Grundstein, der für die Station der .einen Welt gelegt wird. Was dann? Gibt es ein dauerndes Halten auf einem Gipfel, wenn man nicht stehenbleiben darf?

Was der Buchtitel bloß andeuten kann, führt der Verfasser deutlich aus, wie bedeutend nämlich der österreichische geistesgeschichtliche Anteil an der Formung von Europagedanken war. Wenn der Abt Engelbert von Admont im Mittelalter die Reichsuniversalität und das Weltkaisertum vertrat, war Europa darin eingeschlossen. Fr. Schlegel war eingenommen von einer „österreichisch bestimmten Kontinentalpolitik“ und bejahte die „österreichischen Grundsätze in Beziehung auf die europäischen Verhältnisse“, wie er sie von Albrecht II. bis Maximilian I. als befolgt erkennt. Jakob Böhme erblickte die Möglichkeiten eines höheren Staatenzusammenschlusses in den religiösen Wurzeln. Vom diplomatischen Altmeister Kaunitz wird gesagt, er habe 1791 an die gemeinsame Verantwortung des konservativen Europa appelliert. Während Ennemoser (1787 bis 1804) optimistisch aus dem christlichen Heiligen Römischen Reich ein Europa unter Erhaltung seiner Nationen zum „Mittelpunkt des gesamten Erdorganismus“ machen will, sieht Fallmerayer (1790 bis 1861) Europas Zukunft angesichts der russischen Machtentfaltung eher skeptisch und wirkt dergestalt als Warner. Bei Kai-

ser Franz I., Metternich, Gentz und A. v. Müller sind der unnachgiebige Kampf gegen das Napoleon-Europa und der Wille zur Erhaltung des 1815 neugestalteten Kontinentes durch die Autorität der konservativen Mächte hervorzuheben. Wir vermissen für diese Zeit die Nennung Radetzkys, der 1828 bis 1829 für einen „europäischen Bund“ und eine „Union Europas“ als Ausgleichsfaktor zwischen West und Ost eintrat. Eine eigene Gruppe für sich bilden die „Mitteleuropäer“ mit Maring, Andrian, Bruck und Peez — hier wurde wieder vergessen, auf die Mitteleuropapläne des Fürsten Felix Schwarzenberg und des Feldmarschalls von Hess (Pentarchie 1855).

Das waren durchweg Gedanken, denen man trotz Nichtverwirkli-chung Sinn für das Mögliche nicht absprechen konnte, darüber hinaus entstanden aber auch Universalideen“, die mehr aus der Theorie schöpften, wie die von Coudenhove-Kalergi geforderte politische oder die von K. A. Rohan empfohlene kulturelle, schließlich von Fried vertretene pazifistische Einigung Europas, Vorboten der auf anderer Ebene erhofften Integration des Erdteiles. Solches Streben nach Ausschließlichkeit steht oft im Widerspruch zur überreich gegliederten Schöpfung, und zur Bestätigung dieser Auffassung sei die Lektüre von Gollwitzers Werk allgemein empfohlen, denn es zeigt die Hoffnungslosigkeit jeder Reißbrettkonstruktion in der Staatenwelt. Aussichtsvoll bleibt doch immer wieder das Gleichgewicht, wie aus den zwei durchforschten Jahrhunderten der Geschichte zu lernen ist. Auch im Weltall regiert Harmonie die Vielfalt und nicht Gleichschaltung.

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