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DER BACH DER RÖMER

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Dieser Bach inmitten der Landschaft von Wiltshire hat mich vergessen, ich aber habe sein Bild im Gedächtnis bewahrt. Viele Gesichter spiegelten sich seither in den eilenden Wassern, viele Füße wateten durch die sandigen Untiefen. riledcfKrümmung seines Weges, jeder Uferstreif and iede seichte*Stelle 'ist minroeh^ so vertraut wie damals, ate ich <so*oit seinem fcatrf folgte. .-jiA a

Alles Leben der Wiesen schien sich zur Sommerszeit im Bereich meines Baches prächtiger und reicher zu entfalten als anderswo. Die Butterblumen wurden größer und wuchsen so eng beisammen, daß der Boden darunter nicht mehr sichtbar war; die Hagedornbüsche prangten mit einer ungeahnten Fülle von Blättern, die Bäume breiteten ihre starken Äste weiter aus — und so, überhangen von Laub und Gezweig und umwachsen von Gras und Pflanzen, entschwand der Bach nach einem kurzen Stück seines Weges dem Blick und war nicht mehr von Hügeln und Buschwerk zu unterscheiden.

Am Morgen und bei sinkender Sonne kamen die Bauernmäd-chen, um Wasser zu schöpfen. Sie hatten sich einen Pfad durch das Gras gebahnt, und am Ufer war ein flacher Stein in den Boden gesenkt, darauf fanden die Füße sicheren Halt. Obgleich die Mädchen ärmlich und achtlos gekleidet waren, lag doch in ihrer Handlung und Gebärde des Wasserschöpfens etwas, das

griechisch anmutete — homerisch — etwas wie eine Erinnerung an urtümliche Zeiten.

Weit weg von Straßen und Dörfern, ganz nahe beim Bachufer, war ein kleiner Obstgarten. Ich wollte mit dem Besitzer sprechen und schritt durch das rauschende hohe Gras auf das Gehege zu. Der Gärtner, ein alter Mann, mühte sich mit seinem Spaten und sprach mürrisch vor sich hin: daß die Hasen ihr Unwesen trieben, obwohl sie doch, weiß Gott, außerhalb seines Gärtchens genug Futter fänden; von den Krähen wollte er verschont bleiben, die Teichhühiier liefen umher und die Wasserratten wühlten den Boden auf; die Waldtauben täten sich an den Erbsen gütlich und all das Viehzeug ließe einen fleißigen Kerl nicht in Frieden.

An einem kurzen Zweig des großen Apfelbaumes hing der verwitterte und zerbrochene Griff eines irdenen Gefäßes; der sei von einem Krug, sagte der Gärtner, nun, ich wisse schon, Krüge, wie sie die Leute in alten Zeiten gemacht hatten, oft grübe er derlei aus, manche Gefäße seien schon in Scherben, andere wieder fast unversehrt; massenhaft waren sie aus der Erde geworfen worden, um den Heckenweg damit zu pflastern. Drüben auf dem Unkrauthaufon lagen noch einige tönerne Splitter.

Es waren die Überreste anglo-römischer Töpferei. Auch Münzen hatte man gefunden, Mengen von Münzen — die meisten hatten die Kinder geholt. Er nahm eine aus der Tasche, heute morgens ausgegraben, meinte er. Doch sie seien wertlos, die Landarbeiter wollten ihr Bier damit bezahlen, aber der Wirt nahm das seltsame Geld nicht an. Niemand1 wollte diese kleinen Kupferstücke haben. Das war alles, was er von - - den Cäsaren wußte — die Obstbäume hatten heuer gut angesetzt, nicht wahr?

Fünfzehn Jahrhunderte vor unserer Zeit war an der Stelle, wo der Weg den Bach überquerte, eine römische Ansiedlung gewesen. Hier ließen die Centurii ihre Truppen nach dem langen Marsch durch die Niederungen rasten, denn der Pfad, jetzt von Brombeerstauden überwuchert und von Radspuren durchfurcht, war damals eine römische Heerstraße. Hier standen Landhäuser, Bäder und Wachttürme; man best ja darüber in den Büchern. Jefzt ist all dies versunken unter dem Gesträuch, unter dem üppig wachsenden Gras, unter Eschengestrüpp. Doch genau dort, wo der uralte Militärweg den Bach kreuzt, blüht das schönste, größte, blaueste und lieblichste Vergißmeinnicht, das ein Liebender je für die Dame seines Herzens pflücken könnte.

Der alte Gärtner bemerkte wohl mein Interesse und wollte mir einen besonderen Fund zeigen, unlängst-hätte mam^da fitwas .zwagfc,^;ebracht. Er führte mich zu“ einer Stelle, wo“der Bafclj'' ,.tef#r,ww und <Us, Ufer ur^ej^l^ hat?e^^in Pfotf, das,Ugg trinken wollte, hatte mit den Hufen einige große Erdschollen gelöst und in die Strömung gestoßen. Dabei waren menschliche Gebeine zum Vorschein gekommen — ganz nahe am Bach war der Römer bestattet gewesen.

Ich sah zu den eilig ziehenden Wassern, ich dachte an die Butterblumen und das hohe Gras, den Blütenflor, der an den Uferrändern in solcher Fülle wuchs; ich dachte an die Vogelnester, an das Gurren der Wildtauben und an die Mädchen, die mit ihren Schöpfeimern kamen. Der Wind strich durch die Apfelbäume, die Grünfinken riefen in den Wipfeln. Von weit her, aus den Eichen, tönte dae Stimme des Kuckucks. Am lebendigen Wasser, an dem sie jegliches Geschöpf ringsum erfreute, ganz nahe bei seinem sanften Sang und dem glitzernden Spiel der Wellen, hatte die Erde die modernden Reste menschlichen Seins geborgen ...

Aus dem Englischen übersetzt von Gunther Martin'

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