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Der Balkon

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„Es gibt nun bald kein Tiefstes mehr, das jeder nicht erreichte, und in der Welt ist nichts mehr schwer als eines nur: das Leichte.“ Mit diesem Wort Grillparzers auf der ersten Seite beginnt das neue und neuartige Buch Reinhold Schneiders „D e r Balkon“ (Insel-Verlag, Wiesbaden. 183 Seiten). Im vergangenen Kriege hatte uns der Dichter Schneider erquickt; der christliche Geschichtsphilosoph begann in Novellen, Erzählungen, Dramen und historischen Untersuchungen uns das Verständnis für die paradoxe Ehe von Himmel und Erde, von Ewigkeit und Zeit, von Gottes Vorsehung und der menschlichen Unzulänglichkeit zu schärfen. „letzt ist die Zeit des Aphorismus“, sagte uns neulich Schneider in einem Gespräch. Die „Aufzeichnungen eines Müßiggängers in Baden-Baden“ (wie der Untertitel zum „Balkon“ heißt) sind ein Weg dorthin. Schneiders Elternhaus, das Hotel Meßmer in Baden-Baden, wurde zu Anfang des Jahres 1957 abgerissen. Der Dichter besuchte in dieser Zeit seine Heimatstadt und erlebte, wie ein Stück der eigenen Vergangenheit abgetragen wird: dies ist Spiegel und Gleichnis für vieles, das Vergangenheit ist und sich in unseren Tagen nicht mehr halten kann. Erinnerungen aus jenem Hotel steigen auf: die vielen bekannten und unbekannten Gäste, die Verwandten und Angestellten, die gelegentlichen Besucher und die immer wiederkehrenden erhalten ihr Gedenkblatt in diesem Buche; geschichtliche Assoziationen, vergegenwärtigte Vergangenheit, Sinnfrage und Melancholie des müßigen Betrachters, weher Humor, weise Bescheidenheit im Zeitlich-Vergänglichen — all dies wacht aus dem Trümmerfeld eines Hauses auf. Auf dem Balkon des schwindenden Hotels erscheinen nochmals die alten Gestalten, um sich ein letztes Mal der Akklamation des Historikers zu stellen. Zunächst ist man ein wenig bestürzt über die kunterbunte Vielfalt, die scheinbare Unordnung — dann muß man diese etwas lang geratenen Aphorismen lieben: das Unbegrenzte läßt sich am ehesten in die Form hingestreuter Andeutungen erfassen; das Vielfältige gewinnt nur noch am Rande des Chaos leichte Konturen . ..

Diese erlebte Schneider sichtbar in der Schatzkammer zu Wien, wo die Reichsinsignien in gläsernen Schaukästen aufbewahrt und gezeigt werden, wie sie nur noch Symbole der Vergangenheit, aber keine Wirkkräfte mehr sind und „unermeßlichen Verlust an Geschichte bestimmender Substanz“ bedeuten. „Europa als Lebensform“ heißt der veröffentlichte Vortrag Schneiders, den er 1957 im Forum Hohensalzburg gehalten hat und in dem er nochmals — mit Wehmut und doch mit prophetischer Mahnkraft — „Europa“ s-.gf, fragend, ob es noch ist, hoffend gläubig, daß Europa als christliche Form irgendwie sich wird erhalten. (Verlag Jakob Hegner, Köln. 60 Seiten. Preis 4.80 DM.)

„Die letzten Jahre des Prinzen Eugen. Ein Fragment“ (Verlag Jakob Hegner, Köln. 57 Seiten), könnten den Bildgebern und Gestaltern der politischen Oeffentlichkeit zeigen, wie allein man den notwendigen Untergang überstehen kann, wenn man ins geschichtlich-politische Leben einmal eingespannt wurde: nur wer ohne allzu große Bitterkeit

abtreten kann, wenn die undankbare Zeit zu Ende ist, und dann eine geistige Privat-Weit und eine geistliche Ueber-Welt sich erhalten hat...

Nicht jedem ist es gegeben, was der portugiesische Dichter Camoes konnte: durch die nationale Fähigkeit, leidenschaftlich leiden und leidenschaftlich die Traurigkeit der Erde lieben zu können, und dadurch den Hintergrund unzulänglicher Geschichten in eine Dichtung zu retten. In neuer Auflage und mit einem Nachwort versehen, erschien das Buch „Das Leiden des Camoes oder Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht“ (Verlag Jakob Hegner, Köln. 209 Seiten). Auch wir haben es erlebt, wie die Mächte vergeblich gegen ihren Untergang kämpfen und selbst untergehend ihre Berechtigung nicht verlieren. Wir haben keinen Sänger von „Lusiaden“ für uns. aber Reinhold Schneider sammelt hier für uns den Trost, den auch wir brauchen: „Camoes hat uns dies zu sagen: die Gleichung geht nicht auf, es bleibt in der Geschichte das Unbegreifliche, in der Seele des Menschen das Angewiesensein auf ein im' Irdischen nicht Erreichbares, in der Natur das Wunder. Camoes war, auf einer leichten, mit dem Kreuz geschmückten Kara-velle, längst dort angekommen, wo heute die Gelehrten stranden: unerforschlich ist die Natur, un-erforschlich Geschichte, ein Labyrinth die Liebe.“

In zweiter Auflage ist Schneiders schönstes Buch endlich wieder erschienen: „Philipp der Zweite oder Religion und Macht“ (Verlag Jakob Hegner, Köln. 308 Seiten). Wo Gewilt den Glauben an echte Macht erschütterte, wo flüchtige Psychologismen und „Ersatz“ sich an die Stelle echter Religion gedrängt haben, ist „Philipp der Zweite“ ein Denk-MaL daß das „Gewicht der Welt“ in den verborgenen und überflüssigen Gebeten der Heiligen wie der Herrscher enthalten ist. Und daß dies immer so war und so sein werde.

Der Heilige „bezeugt die geheimnisvolle Gegenwart des Reiches, seinen Wandel durch die Geschichte“ — so nennt es Schneider in dem Bilderbuch „Heilige Frauen“ (Verlag Herder, Freiburg. 43 Seiten. „Der Bildkreis“, Band 47, Preis 3.80 DM). Schneider schrieb ein Vorwort zu dieser Sammlung von Bildnissen heiliger Frauen aus allen Jahrhunderten. Ja, es hat einmal eine sakrale Kunst gegeben, als eine sakrale Idee unsere geschichtliche Welt formte!

Nr. ,7 der „Herder-Bücherei“ enthält Reinhold Schneiders kleinere historische Erzählungen unter dem Titel „D i e R o s e d e s K ö n i g s“ (161 Seiten).

Wie viele „Schulhefte“ des Dichters noch zu Büchern geformt werden mögen — wir verdanken Reinhold Schneider den geschärften Blick für geschichtliche Wirklichkeit und Wirkung; wir danken ihm. daß er uns Mut gemacht hat, als Menschengeschöpfe ' dies unvollendete Lichtjahr unserer Geschichte demütig überstehen zu wollen. „Ein Gebet ist, vor der Abfahrt, immer noch möglich: Lasse mich schlafen unter Deinen Füßen — in Ewigkeit.“

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