7114033-1996_08_18.jpg
Digital In Arbeit

Der barocken Seele Österreichs gegensteuern

Werbung
Werbung
Werbung

Die Aussagen der Europäischen Union zur Kultur lauten etwa: „Wir wollen das europäische Kulturerbe bewahren. Wir wollen offen sein für neue Entwicklungen. Wir respektieren die Eigenständigkeiten der nationalen und regionalen Kulturen. Europa ist eine Einheit in großer Vielfalt..."

Das alles ist gut gemeint. Die Wirklichkeit spielt sich vor einem ganz anderen Hintergrund ab. Über Fernsehen und Rundfunk, über alle möglichen Techniken findet eine phantastische Konditionierung von Publikum in Europa durch ein hochorganisiertes, hauptsächlich von amerikanischem Kapital gesteuertes Entertainment statt. Pausenlos werden Sehern und Hörern Programme eingehämmert, die immer auswechselbarer werden. Wir leben in einer Phase des Quotenterrors. Einschalt- und andere Quoten sind das einzige Kriterium für TV- und Hörfunk-Programme. Und die steigen angeblich umso höher, je primitiver ein Programm wird. Bei uns werden fromme Sprüche über die multikulturelle Gesellschaft geführt, in Wahrheit hält uns eine perfekt gemanagte Monokultur unter Kontrolle. Nach der Flugzeugindustrie ist das Entertainment die einnahmensstärkste Exportbranche der USA. Sie lebt glänzend von der freiwilligen Selbstunterwerfung der Europäer.

Am ehesten sind in Europa die Franzosen sich dieser Lage bewußt. Sie haben bei den GATT-Verhandlungen dafür gekämpft, daß die audiovisuelle Produktion nicht voll liberalisiert wurde und waren damit auch für den gesamten europäischen Film, der ohnehin schon fast kaputt ist, erfolgreich. Jetzt haben sie festgesetzt, daß Musikprogramme ihrer öffentlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten gewisse Kontingente französischen Ursprungs beibehalten müssen. Sie geben damit ihren Kulturschaffenden Chancen zum Überleben.

In Brüssel hat sich die EU zu einer ähnlichen Lösung nicht durchringen können. Hier scheiden sich eben die Geister. Die einen beten den freien Markt an, der alles zum besten von allem regle.. Die anderen wissen, daß Kultur, die dem Markt überlassen wird, im Ramsch landet.

Ich habe nichts gegen Unterhaltung, besonders wenn sie geistreich und gekonnt ist. Lachen und lächeln sind Lebensmittel. Ich habe aber sehr viel gegen Entertainment als Massendroge. Wenn man Menschen als Masse behandelt, werden sie Masse. Ich halte vom Publikum viel mehr.

Vor diesem Hintergrund also hat es in Kunst und Kultur zwei parallele Stränge gegeben. Jenen von Phantasie und Emotion, von Spiel und Spielerei, von ihm und für ihn lebt bis heute Österreichs barocke Seele. Der andere Strang, jener der rationalen Erkenntnis, der aufgeklärten Vernunft, steht bei uns auf viel schwächeren Beinen, er hat wenig Tradition. Beide Felder, Aufklärung und Barock, haben ihren hohen Wert.

Aufklärung hat in Österreich nur in bescheidenen Fragmenten stattgefunden. Einerseits wurde sie im Josephinismus von oben verordnet, ohne intellektuelle Basis im eigenen Land, wie es etwa die Philosophen in England und Frankreich waren. Andererseits existieren einzelne Persönlichkeiten und Erscheinungen von der Wiener Medizinischen Schule bis Ludwig Wittgenstein, von Adolf Loos zum Wiener Kreis, die internationalen Bang hatten und haben. Wissenschaft und Forschung müssen aber bis heute in Osterreich um ihre sogenannte Akzeptanz kämpfen.

Auch deren breite Umsetzung durch Erwachsenenbildung wird in Österreich in Praxis und in Theorie gerne mit Naserümpfen betrachtet. Zum Unterschied davon hat die EU 1996 zum Jahr des lebensbegleitenden Lernens proklamiert. Dabei ist Bildung natürlich als Lebenshilfe zu verstehen, die Mann und Frau, alt und jung befähigt, das immer neu drohende Chaos des Lebens und der Welt für sich so zu ordnen, daß Leben lebenswert wird. Es ist freilich bequemer, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. Die in dieser Hinsicht Ungebildeten werden leicht manipulierbare Quotenmenschen sein, siehe oben.

Haben wir ein Defizit an Ratio, so tun wir uns mit unseren barocken Wurzeln viel leichter. Im Grunde geht es dabei um ein großes Erbe. Wien und das Donautal, eine der hohen europäischen Kulturlandschaften, der Barockteppich, der sich über weite Teile Österreichs breitet, Schlösser und Kirchen, Altstädte und Ortskerne, Galerien und Museen, Theater und Konzertsäle, Salzburger Nockerln und Gumpoldskirchner sind ein großer Tresor. Die barocke verspielte Lebensweise, deren Spuren vom lieben Augustin über die „Fledermaus" bis zu H. C. Artmanns „Schwoaza Tintn" und zum Opernball reichen, die Sinnlichkeiten barocker Schönheiten, des Kaiserwalzers, des Hermann Nitsch und des Austropop machen dieses Österreich zu einem Sonderfall, der sich ruhig selbstbewußt präsentieren darf.

Die Balance zwischen Emotion und Ratio müßte immer neu gesucht werden, damit wir nicht in ein Kitsch-Eldorado abrutschen. Daß das möglich ist, beweisen kulturelle Hochleistungen wie beispielsweise das Hörfunk-programm Öl, das bezeichnenderweise von Marktanbetern angezweifelt wird. Wir sollten weniger Geld für Kitschimport ausgeben und mehr für unsere Kulturproduktion und unseren Kulturexport tun. Dafür wird allerdings der Staat, die öffentliche Hand geradestehen müssen. Man kann Schulen und ihre Unterrichtsfächer nicht Beliebigkeitsquoten überlassen. Genausowenig Kultur im weiteren Sinn, sonst würden wir am öden Einheitsbrei ersticken.

In der europäischen Kulturlandschaft hat Österreich sehr wohl ein gewichtiges Wort mitzureden.

Der Autor ist

Präsident des Steirischen Herbstes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung