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Der berühmte Psychologe als literarischer Irrationalist

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Es bleibt abzuwarten, ob mit der Herausgabe von Walter Tomans Nachkriegs-Skizzen eine literarische Neuentdeckung oder eine literaturhistorische Dokumentation gelungen ist.

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Es bleibt abzuwarten, ob mit der Herausgabe von Walter Tomans Nachkriegs-Skizzen eine literarische Neuentdeckung oder eine literaturhistorische Dokumentation gelungen ist.

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Walter Toman, 1920 in Wien geboren, inzwischen emeritiert, begann seine akademische Laufbahn als Assistent bei dem strikt konservativen Ordinarius Hubert Rohrracher, ging 1947 erstmals in die USA, trennte sich nach der Habilitation von seinem Lehrer, war ab 1954 lange an amerikanischen Universitäten tätig und wurde 1963 als Professor für Psychologie nach Erlangen berufen. Daneben - ohne daß es pure Nebensache war - publizierte er Gedichte und utopische Geschichten. War diese emsig betriebene „Freizeitbeschäftigung“ das seelische Gegengewicht zu seiner Brotarbeit als Hochschullehrer?

Jedenfalls wurde Tomans literarische Produktion schon in den letzten vierziger und in den fünfziger Jahren vielfach gedruckt, in Zeitschriften und auch in Buchform. Das ist aber lange her, und sein Name als Dichter wird lexikalisch und literarhistorisch fast nur noch in Listen angeführt, die Versuche der frühen Nachkriegszeit rekapitulieren. Heute versucht man die literarische Vergangenheit gern zu revitalisieren - meist vergeblich, verdrängt vom Übergewicht der Novitäten. Auch die interessante Auswahl von rund 30 Erzählungen Tomans wird es gegen die (Sint-)Flut an Neuerscheinungen schwer haben.

Literarische Nostalgie pflegt derzeit aggressiv zu sein, und die Herausgeberin Evelyne Polt-Heinzl hält sich im „Vorwort“ an diese kritische Mode. Doch der von ihr bezichtigten „epigonalen Fortführung der sogenannten österreichischen Tradition“ war es nie in den Sinn gekommen, die Publizistik Walter Tomans zu blockieren, im Gegenteil: damals und nur damals war er in Zeitschriften und als Buchautor präsent. Er gehörte tatsächlich nicht zu „der lange geschmähten Avantgarde“, blieb eher Einzelgänger mit extrem absurden oder märchenartigen Einfällen. Kurz gehörte Toman zu den Schützlingen von Hans Weigel sowie den zwei no torischen (selber aber fatal erfolgsarmen) Förderern Hermann Hakel und Rudolf Felmayer.

Das Eigenartige an diesem grundsätzlichen Phantasten war, daß er alles Unglaubliche wie einen amtlich trockenen Bericht formulierte. Gerade das machte ihn damals für Redaktionen, Verlag und einen (freilich beschränkten) Leserkreis interessant, brachte aber manche Kritiker auf den verfehlten Gedanken, Toman schreibe „kafkaesk“. Das versuchten in den fünfziger Jahren viele Schriftsteller, denn Franz Kafka war soeben posthum aus der Unbekanntheit aufgetaucht und zur Jahrhundertfigur avanciert. Fundamentaler Unterschied: Tomans Diktion war verblüffend, Kafkas angstvoll verhaltene Schreibweise erschütternd.

Schon das Eingangsstück, „Am Hirsebreiberg“ (jeder kennt die famos lehrreiche Sage) handelt über die Überlieferung weit hinaus zwar von den bedrohlichen Facetten menschlicher Gier nach einem Schlaraffenland, endet aber sozusagen sarkastisch (schlechthin antikafkaesk) mit der Frage des Protagonisten Klaus: „Und wo ist das Badezimmer, daß ich mir den Hirsebrei herunterwasche?“ Ähnlich oder auch unähnlich geht es weiter. Man hatte im Kriege derart viel Unfaßbares erlebt, das man für unmöglich gehalten hätte, daß eine Schilderung voll unterschwelligem Spott auf den Glauben an jegliche Wirklichkeit Anklang fand und ansprechend wirkte.

Nebstbei noch: Die einleitend zurecht als „epigonal“ gewerteten Staatspreisträger der frühen fünfziger Jahre hatten zwar bei der Jury Erfolg, breit im literarischen Gespräch jedoch waren (neben Kafka) Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und bald auch H. C. Artmann.

HEILSAME ABSTÄNDE

Fon Walter Toman.

Hrsg, und mit einem Forwort versehen von Evelyne Polt-Heinzl.

üeuticke Ferlag, Wien 1994.

200 Seiten, öS 298,-.

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