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Der bescheidene Universalgelehrte

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Die Welt ist keine Gleichung, sondern ein Gleichnis”. Dieses Re-kenntnis eines graduierten Chemikers wird einem sterbenden Medizinhistoriker im letzten Prosastück des neuesten Buches („Der Pfauensommer”) von Franz Richter (siehe auch Seite 22) in den Mund gelegt.

Franz Richters herzzerreißende Rescheidenheit veranlaßte vor sieben Jahren Edwin Haiti nach Erscheinen des Buchs „Spaltklang - Roman vom Erbteil Europa 1933-1955” zur Formulierung in der Presse, „man muß den Spaltklang, diese erschütternde Insiderstory, für ihn verlautbaren!” Jenes Werk eines Vielgeprüften, das im Titel seine Nähe zur Musik erweist, das im Thema nichts weniger als die Geschichte Europas in diesem Jahrhundert wählt, miterlitten, nachprüfbar für alle Zeitgenossen, und das schließlich in der Ausführung eine Welt- und Menschenkenntnis, Kunstverstand und schriftstellerische Präzision belegt, die eben nur einem Mann mit solchem Werdegang möglich sind. Im Spaltklang findet sich in der Beschreibung des Kriegsgefangenen der Satz: „0 ja, es hat glückliche Stunden gegeben, da ich vorm Stacheldraht hockte, den Blick auf einen Baum, den der Herbstwind zurechtstutzte. Mich erfüllte mönchische Buhe. Niemals hätte mein Charakter aus sich selber so gelassen zu werden vermocht”.

Welchen Feuers jedoch diese Weisheit fähig ist, beweist des Autors jüngstes opus: Drei lange Prosastücke von schärfster Erkenntnis- und Gestaltungsleidenschaft und zugleich mitreißender intellektueller und ästhetischer Kraft. Die Erzählideen sind spannend genug: Ein Jurist und Kunstsammler wird durch die unvermutete Begegnung mit einem Pfau bis an die letzten Geheimnisse und Abgründe von Schönheit, Natur und Kunst getrieben, dies in innigem Gedanken- und Gefühlsaustausch mit den ihm nahen Menschen, bis zum Höhepunkt eines Kusses auf die durch eine Hasenscharte entstellte bäuerliche Nachbarin. Ein Physiker bricht im heißesten Arbeitsbemühen zum offenen Blick auf den Innenbau der Welt durch, sein rechtes Auge bleibt in diese Mikroskopschau verdammt, solang bis der Wahnsinnige durch unmittelbare kreatürliche Angst um sein Kind zur halbblinden Normalität gesundet. Ein sterbender Medizinhistoriker läßt sich widerwillig für das Schlußwort eines Symposions verpflichten, dort „tanzen und flimmern die Minuten, ja die Stunden, die Weltzeitalter alle gleichzeitig im Lichte der Ewigkeit.'

Womit Franz Richter zum runden Geburtstag sich und uns beschenkt, ist schärfstsinnige Essayprosa, erfüllt von frappierenden ästhetischen Wirkungen eines singulären Stils, dem nicht nur kostbare Charakter- und Naturstudien gelingen, sondern auch atemberaubende Assoziationen aus Weltgeschichte, Kunstgeschichte, Naturgeschichte, Wissenschaftsgeschichte. Einige Kostproben:

„Seine wachsenden Rankkonten bereiteten ihm Gefühle des Unbehagens. Einerseits arbeitete er ja daran, den Zuwachs an Wohlstand womöglich in allen Rerufsklassen zu beschleunigen, andererseits fühlte er einen Blick des Vorwurfs auf sich gerichtet, vielleicht denselben geheimnisvollen Blick, unter welchem dem Steinzeitmenschen der Gedanke des Opfers aufgegangen war, möglicherweise die abgründigste Empfindung der Menschheit überhaupt. Denn in demselben Maß wie die Instinktregulative des Tieres in ihm verkümmerten, überfiel ihn zugleich mit dem Gefühl der Freiheit auch das der Schuld.”

„Ein zugeflogener Pfau in der Mauser ... Dieses eigenartige Prunkgeschöpf aus Federn, das keine daktile, keine Blickbegegnung zuließ ... eine lebende Hieroglyphe des noch immer unentschlüsselten und von uns wahrscheinlich falsch gedeuteten Textes der Weltschöpfung.” „So glich das breit hingelagerte Gebirge, auf das er jetzt zuging, dem Umriß einer Tiermutter, an deren Leib sich die kleinen Hügel schmiegten.” „Für jeden kommt der Augenblick, da er sich vom Akteur seines Lebens zu dessen Zuschauer verwandelt. Er sitzt im Theater seiher Erinnerungen.” „Endzeitstimmung ohne jegliche Erdenschwere.” „Wird das letzte Wort eine Formel sein? Wie anders dem Betrug der Bilder entrinnen?” „Unter dem Mikroskop schienen ein Stückchen Zellgewebe und eine Millionenstadt sogenannter freier Menschen bereits auswechselbar zu sein.” „Ekstase einer Verwesungsorgie ... aufgedunsene Bakterienteilchen mit ihren violetten Bäuchen ... schwappten hin und her in der angeblich sterilisierten Milch. Lebendige Korkzieher und Schraubenbohrer durchuirlten das Brot” ... „Schon seit em Zeitpunkt, da die Zellteilung aufgehört hat, einzige Art der Fortpflanzung zu sein, ist die unendliche Erbkette gerissen. Seither führen Geburt und Tod die Regie im Welttheater. Aus dem unsterblichen Niemand wurde der sterbliche Jedermann. Aus der Garantie des Instinkts wurde das Risiko der Freiheit.”

Hiemit schließe ich diese Hartl-sche Verlautbarung, die unvermeidbar zu einer tiefempfundenen Gratulation gerät. Auszusprechen, wie wohltuend der Mann Franz Richter im persönlichen Umgang ist, wie imponierend seine Umsicht und Liebenswürdigkeit, wie beflissen seine Hingabe an jede noch so kleine Aufgabe und kurze Begegnung, sei mir gegönnt. Indem der Künstler sich nicht verstellen darf, weil sonst die Kunst mißlingt, indem er sich eben stellen muß und sich zwingend selbst diszipliniert, qualifiziert, wird er zur Stärkung, zur Sprachschenkung für andere. Franz Richter ist das, was man im Alltag gern „einen Schatz” nennt. Nehmen Sie diesen Schatz an. Etwa nach seiner Einladung: „Liebe bezeichnet die Möglichkeit, zu zweit poetischer zu sein als allein.”

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