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Der Bettler

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In ein Haus kam jeden zweiten, dritten Tag ein Bettler. Immer wollte er etwas und immer empfing er es. Schließlich erschien er täglich und wurde hingenommen wie ... wie der aufgehende Morgen. Der Herr des Hauses fragte ihn daher: Werden Sie immer kommen? Dann will ich für Sie stets ein Brot hier in die Wandnische hinter dem Hauseingang legen, Sie brauchen es nur zu nehmen und nicht erst verweilen, wenn Sie es nicht gerade wollen.

Nach dieser kurzen und freundlichen Vereinbarung ging es viele Wochen in gleicher Weise fort, aber dann auf einmal blieb der Mann aus. Man machte sich darüber keine Gedanken. Und noch verstrich eine Zeit und er ließ sich nicht sehen. Der kleine Laib Brot aber wurde noch immer in die Nische gelegt, einer zum andern. Und jeder Laib — es wurde im Hause gebacken — hatte als Zeichen ein Herz. Man verwendete solche Stechformen auch für verschiedene Süßigkeiten und für Lebzelt. Die Köchin hatte eine besondere Lust daran und darum prägte sie die schöngeschwungene Linie auch in das tägliche Brot ein.

Der Herr des Hauses hatte über das Fernsein des Bettlers niemals ein Wort verloren. Plötzlich tauchte dieser wieder auf, war da und blickte drein wie gestern und immer. Der Herr nahm ihn ruhig hin, wartete etwas auf seinen Mund und sagte dann: Ihr macht euch das Leben sdiwerer, als es notwendig ist.

Ich hab an einem andern Ort das Wort gegeben, jeden Tag mich einzufinden und deshalb konnte ich den Weg nicht hieher nehmen. Ein Wort muß man halten, das werden Sie verstehen. So sprach der Bettler.

Etwas halten, mit oder ohne lauten Schwur, das ist mir verständlich, meinte darauf der Herr des Hauses, doch sonst sagte er nichts und wurde in seinem Sinn nicht deutlicher. Erst nach einigem Schweigen setzte er hinzu: Für jeden Fall habt Ihr den Nachteil, heute das Angesammelte auf einmal wegtragen zu müssen. Und damit wies er ihn auf den Vorrat in der Nische. Der Mann erblickte den kleinen Hügel mit Erstaunen, dann holte er stumm den Sack hervor, den er in einer Tasche bei sich hatte, und begann das Brot hineinzuschieben. Es war schwer und klang mitunter wie Steine, und auf jedem war das eingedrückte Herz sichtbar.

Der Herr bemerkte ohne Betonung: Die Zeit hat die Laibe etwas hart gemacht. Es ist wie mit den Herzen, wenn sie vergebens auf Beachtung warten ...

Der Bettler ging. Von diesem Tage an versank er wieder, suchte nicht mehr das freundschaftliche Haus auf. Seine Wege führten ihn recht wahllos in eine andere Richtung und nicht gerade ins Glück, jedes Tun glich eher einer Flucht in die Unsicherheit. Die Stunden, die über ihn entschieden, narrten ihn mit versprechen-Rufen, lockten ihn fort yon gedeckten Tischen, vertauschten ihm zuletzt die Erfüllung mit einem kalten Nichts.

In einer betrübenden Verlassenheit erinnerte er sich wieder des Hauses, das ihm so gütig die Hand hingestreckt hatte, er fühlte sie auf seiner Schulter liegen, er sah den Arm, der ihn packte und zu sich zog. Und er überließ sich ihm, er reichte recht sonderbar durch all die vielen Gassen hindurch, und indem er ihm folgte, verkürzte er sich und seine Macht über ihn nahm immer zu. Am Ende lief er schon mehr, als daß er ging. Als er das Ziel vor sich hatte, war der lenkende Druck von ihm gewichen, er hielt inne und seine Augen tasteten zitternd nach dem Haus. Da entdeckten sie, daß das Tor, das stets ein liebevoll sprechender Mund für ihn gewesen war, sich fest geschlossen hatte. Auch hinter den Fenstern zur Linken und zur Rechten, die ihn sonst als leuchtende Augen angeglänzt hatten, war kein nickender Kopf zu erspähen, das Leben schien weggezogen zu sein.

Er stand lange, in überlegender Qual. Das Ohr bog sich hin und wider wie ein Gefäß, das einen Quell auffangen möchte, der im Herabfallen sich verändert. Es blieb ungefüllt. Müde und tappend suchte er seine Kammer auf. Als er sie entriegelte und eintrat, lag vor seinen Füßen der Sack mit den alten Brotlaiben. Immer war er in einem Winkel gelegen und nun erhob er sich vor ihm wie eine Frage, nein, wie ein Mahner, wie ein fordernder Redner.

Der arme Mann hörte die Sprache, recht deutlich, und darum sagte er gleich mit einer gehorsamen Stimme: Schon bin ich dal Und er kniete sich auf den Boden neben den geflickten und zerdrückten Sack, er nahm ihn ganz an sich wie einen Leidvollen, der getröstet werden muß, er streichelte ihn. Ich kenne dich gut, sagte er zu ihm, wir zwei sind zusammen durch viel Sonne gegangen, aber sie rann immer an uns herab und nicht in uns hinein, wir hatten sie über dem Gesicht und über den Händen, vor lauter Ehrfurcht wagten wir nicht, nach ihr zu greifen und sie festzuhalten. Während wir in der Anbetung des Wunders erstarrten, sprangen tausend listige schleichende Beine daher und raubten uns das fließende Gold. Als wir erwachten, brach ein Sturm los und nur die Unstern Schatten fielen uns in den Schoß. So war es, nicht wahr.

Von Bildern begleitet, kroch seine Hand jetzt in den Sack hinein und als sie zurückkehrte, hatte sie eines der Brote mitgebracht, und es war hart und schwer wie Stein. Er fühlte es und dachte: wie ein Grabstein so unerbittlich. Er brachte es seinen Augen näher und da sah er, daß es gar nicht die Runde der sonstigen Laibe besaß, es hatte die richtige Form eines Herzens. Er schüttelte den Kopf, aber es fiel ihm keine Erklärung zu. Nun glaubte er sogar Adern unter der Oberfläche zu entdecken, Flüsse und Bäche. Sein Zeigefinger streckte sich und zog ihnen nachdenklich nach. Im Grübeln sagte er noch: Ich weiß schon, was ich tun muß für dich. Du bist ausgedurstet, ich werde Wasser holen und dich hineinlegen, das wird dich beleben und wieder schlagen lassen. Doch dazu kam es nicht und brauchte es auch nicht, denn schon quoll es aus seinen Augen hervor in dicken Tropfen, die Tränen hatten es sehr eilig und alle fielen auf das Herz hinab, in das Herz hinein. Es war wohl unersättlich und unergründlich.

Den Bettler ergriff ein gewaltiger Schmerz und darum ließ er den Kopf sinken, preßte die Stirne auf das betaute steinerne Herz. Ob er so verweilte oder ob er plötzlich davonlief?

Er sah sich auf das Haus zugehen, das ihm das Brot geschenkt hatte und das Tor stand weit geöffnet. Ein beglückendes Lachen strömte aus ihm. Er vernahm es mit Seligkeit und sagte sich: das ist eine Leiter, über die ich in den Himmel klettern will. Da rollte das Lachen zur Türe heraus und war ein Kind, ein Kind von drei oder vier Jahren. Im Arme hielt es einen Laib Brot und er war noch warm vom Backofen — und er hatte rote Bak-ken wie die kleine Trägerin. Sie kam auf ihn zu und sagte schon: Das ist für dich! Da kniete er nieder vor Rührung, aber auch um ihr so recht in die Augen schauen zu können. Und er fragte: Hast du es vielleicht selbst gebacken? Und weißt du auch, wie es zubereitet wird?

Das Kind hatte nur die Antwort; Die Mutter sagte mir, das Wichtigste ist, daß man den Teig — weißt du — mit dem Herzen rührt. Sonst wird er leicht kümmerlich und dann ist er verloren. Und die Körner mußt du im Munde in die Backstube tragen, denn dann kannst du nichts sprechen, und alle schönen Worte, die du sinnst, setzen sich in den Früchten fest und das macht sie kräftig. Die Erde aber, aus der die Halme wachsen, mußt du mit deinen Händen kämmen wie einen Puppenkopf, dann steigen die reinen Wasser aus der Tiefe herauf, hoch hinauf bis in die Blätter und in die Augen...

Nach dieser Belehrung fand sich der Bettler wieder bei seinem Sack auf dem Fußboden, aber es strich um ihn ein wundervoller Duft, es war der Duft von frischem Brot, und als er den Kopf hob, merkte er, daß sich die steinernen Herzen verwandelt hatten, es waren lauter Laibe geworden mit frischen roten Wangen. Er glaubte auch noch Lachen zu hören. Er neigte sich zu der köstlichen Speise hin, er neigte sich in Gedanken noch viel ergebener und er sagte in der Verzauberung seines Wesens: Was doch Herzen für eine herrliche Nahrung sind, aber man muß sie zu empfangen wissen!

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