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Der Bildhauer Ivan Mestrovic

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Aus Anlaß der Aufstellung einer Mestro-vic-Büste in der Wiener Akademie der bildenden Künste.

In einem der von Goethe bewunderten und durdi Goethes Interesse weltberühmt und weltliterarisch gewordenen serbokroatischen Volkslieder, In dem Heldenlied von dem Untergang des serbischen Reiches, finden wir folgende Legende: Vor der Schlacht am Amselfelde schickte die Mutter Gottes durch den hl. Ilija dem serbischen Zaren Lazar einen Brief des Inhalts: „Zar Lazar, Sohn eines edlen Geschlechts! Welches Reich willst Du lieber? Willst Du lieber das himmlische Reich oder willst Du lieber das irdische Reich? Wenn Du das irdische Reich lieber willst, dann sattle die Pferde, ziehe die Sattelgurten fest, Deine Ritter sollen die Säbel umgürten, und greife die Türken im Sturmjan. Das ganze türkische Heer wird rugrunde gehen. Wenn Du aber das himmlische Reich lieber willst, dann bau Ruf dem Amselfeld eine Kirche. Ihr Grund soll nicht aus Marmor sein, sondern aus reiner Seide und Scharlach. Nimm mit Deinem Heere das heilige Abendmahl, Dein ganzes Heer wird zugrunde gehen und Du, Fürst, mit ihm.“ Zar Lazar überlegte und entschied: „Das Irdische Reich ist ein vorübergehendes, das himmlische dauert ewig, für alle Zeiten.“

Das Lied erzählt weiter, wie Zar Lazar mit seinem ganzen Heere zugrunde ging. Nur einer blieb. Den blendeten die Türken, und dieser zog als blinder Sänger (der blinde Guslar von Meätrovic) durch die Lande, erzählte dem Volke von dem Zaren Lazar und seinem Vermächtnis, dem Sinn seines Sterbens; dem Sinn des Kämpfens und Leidens, das über das ganze Volk nach der Schlacht auf dem Amselfeld, nach dem Verlust des Reiches und der Freiheit hereinbrach und durch ein halbes Jahrtausend immer neu erduldet und erlitten werden mußte. Nur dieser sittlich-religiösen Sinngebung des Kämpfens, Duldens und Sterbens für das „ehrenvolle Kreuz und für die goldene Freiheit“ verdankt die balkanische Welt der Südslawen ihre moralische, ihre Volkstumsexistenz. Und Meätroviö tat nichts anderes, als daß er den Sinn dieses nationalen Schicksals, den religiösen und nationalen Sinn, die Idee und die ungeheure Kraft dieser tragischen Aufgabe und Leistung, dieses in Jahrhunderte langem Kämpfen und Dulden geläuterten und gestählten nationalen Glaubens und Hoffens gestaltete. Gestaltete nicht aus einem historischen Wissen um die Dinge, sondern aus einem blutvollen Glauben, aus lebendiger Tradition der Heimat, der Väter, die selbst als Hajduken und Us-koken, als freie Kämpfer um der guten Sache und des Glaubens willen im Kampfe standen und zu sterben wußten, die hinter dem Pflug gingen, das Gewehr am Rücken, die die Herden in den Bergen hüteten, das Gewehr in der Hand, ständig kampfbereit, an Gott und die Heldentaten ihrer Volkshelden in gleicher Weise denkend; aus der Tradition der alten Heldenlieder, die der junge MeStrovic als Hirte selbst sang, die ihm neben der Bibel seine erste Lektüre waren.

Er gestaltete diese Welt des Heroismus, diese Religion der äußersten Opfertätigkeit in der Sythese der Ideale seines Volkes, in dem Entwurf und den Gestalten des Kosovo-Tempels. Er gestaltete diese Ethik des Opfern- und Sterbenkönnens für Gerechtigkeit, Licht und Freiheit; die geistig-seelische Wirklichkeit seines Volkes und seiner eigenen Welt, seiner Jugend und seines Lebens war und ist legendär, visionär, monumental, bei aller Melancholie des Leidens optimistisch, harmonisch. Er selbst sagt gelegentlich: .Wir alle sind Lazare. Alle jugoslawischen Kämpfer und Märtyrer sind Soldaten des Zaren Lazar.“ Daher denn auch diese kraftvolle heroische Geste, die MeStroviö auch seinen Kämpfern um die nationale Kultur, um die religiöse und nationale Freiheit und Selbständigkeit (Bischof Grgur von Nin, Dichter Marulic, Bischof Stroßmayer) gab. — Und in seinem Michelangelo-Aufsatz 1926 schrieb der Meister: „Jeder soll festhalten, was er hat, vor allem dann, wenn es gesund und gut ist. Wir haben unseren Heroismus, wenn auch einen Heroismus noch im primitiven und engen Sinn des. Wortes, aber er beinhaltet, er bedeutet doch Kühnheit und Kraft. Ich glaube, daß auch unsere Rasse einmal Heroen der Art eines hl. Franziskus, eines Galilei und eines Michelangelo geben wird und daß dann auch unser Volk verstehen wird, daß diese Heroen höheren Stiles sind.“ Meitrovic selbst hat das, was er aus seinem Heimaterleben an Gesundem und Gutem mitbekommen hat, festgehalten: festgehalten und versinnbildlicht m Stein, Holz, Marmor und Kreide, in Gestalt und Bau, nicht illustrativ-dekorativ-figural, sondern dynamisch-symbolhaft als Bild und Sinnbild der göttlichen Kräfte und Werte in dem Schicksal des Menschen und der Völker.

Er selbst, der aus der harten, kargen, notvoll herben und bei alledem heroisch stolzen traditionsbewußten Welt des dalmatinischen Bergbauern- und Berghirten-tums erwuchs, ist dieser heimatlichen Welt zeitlebens treu geblieben. Er kam aus den Höhen und blieb in den Höhen. Er hat die wesentlichen Grundlagen seiner ursprünglich geistig-seelischen Kultur und seiner künstlerischen Inspiration, die er ihr verdankt, die Volksüberlieferung und die Heilige Schrift, nie verlassen. So flössen ihm Motive und Legenden der biblischen Welt mit den Gestalten der Volksdichtung der nationalen Tradition auch in seinem Werk zusammen. Seine innere, aus dem Glauben, aus dem religiösen und nationalen Mythos genährte, in dem Stein und der Glut der klaren Sonne des Südens gewachsene dionysischleidenschaftliche Kraft war groß und stark genug, daß sie die Stadt nicht verschlang, nicht Wien, wo sein Talent die erste Formung und die ersten Erfolge fand, nicht Paris, nicht London, nicht New York. Sie, die Stadt, klärte nur seinen künstlerischen Instinkt, erweiterte seinen geistig-künstlerischen Blick, aber sie verbildete, sie deformierte nicht seine ursprüngliche Welt, seinen visionär fanatischen Idealismus und Optimismus, seinen Glauben an den Sinn des Guten und Schönen in der Welt. Ebenso wie sein großer Vorgänger Michelangelo Handwerker, Bildhauer, Maler und Zeichner, liebte er am meisten den Stein, aus dem er steinerne Menschen mit warmen menschlichen Gliedern, Gedanken und Leidenschaften, aber auch mit den Hoffnungen, Nöten und Lasten des menschlichen Daseins lebendig machte. Ebenso wie Michelangelo wurde er ein plastischer Denker der Monumentalität, der großen Kraft und des großen Schmerzes, denn das Leben ist ebenso voll des Be-wunderns- und Staunenswerten, wie des Leides; der Monumentalität in dem inneren geistigen Gehalt seiner Figuren, wie auch in ihren kolossalen Dimensionen.

Er, der nicht aus der befriedeten und satten Welt des Bürgers, sondern aus einer kämpf- und leidgestählten Welt kam — er wurde geboren, als seine Eltern auf Wanderarbeit in Slawonien waren, und seine Mutter trug während ihrer ganzen Ehe das Kopftuch, das sie bei der Hochzeit bekommen hatte —, konnte weniger der plastische Denker hellenischer Lebensfreude werden, sondern seine Werke wußten mehr vom Schmerz des Lebens und der Liebe, von den im Herzen gefrorenen Tränen (Werke: Mutter, Grabmal in Cavtat und anderes), von dem melancholischen Sinnieren (Frauenakte) künden, weil er treu dem Vermächtnis seiner Jugend, seiner Heimat blieb. Weil er, ohne es je zu bereuen, an das glaubte, was er in seinen Gestalten und Figuren gestaltete, weil ihm der Boden Grundlage für die Sehnsucht nach den Sternen blieb: die Erde, die uns im Schweiße Brotesegen gibi und auch die Vögel des Himmels ernährt; dia

Mutter und Frau, die im Lieben und Gebären ewig Gebende, Schenkende, Pflanzende; sein Christentum, sein Gott, nicht Dogma, nicht Macht des Kirchentums, sondern Erlebtes und erfülltes Wissen und Glauben der Kreatur, daß ihr Kreatursein einen Sinn, ihr Leiden und Leidenkönnen Vorbild, Bestätigung und Heiligung gefunden hat; Volk und Heimat, nicht prunkreiches Paradestück macht- und länderhungriger „Patrioten-Nationalisten“, sondern verpflichtendes, opferndes Einssein mit dem Schweiß und dem Blut, den Taten und Sorgen der Väter, des Volkes in dem Kreise der Völkerfamilie, der Menschheit.

Mestrovic schrieb 1924, nachdem das Erleben des Weltkrieges seinen Blick von dem tragischen Leid seines eigenen Volkes zu dem allgemeinen Leid der Menschheit gelenkt und in ihm das Ideal des Kampfes gegen das Böse, die Sehnsucht nach allgemeiner Harmonie wachgerufen hatte: „Mein Nationalismus war nie ein alltäglicher. Meine Arbeiten der Vorkriegszeit wollen nur Ausdruck der Geschichte der Seele des jugoslawischen Volkes sein. Als Heroen betrachte ich nicht die einzelnen oder das Volk,das nur für die eigene Freiheit oder für materiellen Gewinn kämpft. Das Ideal eines Volkes ist nicht das Höchste. Die eigentlichen Helden sind die, die für die höchsten Ideale der Menschheit kämpfen. Daher ist der heilige Paulus ein größerer Held als Cäsar.“ Und in dem Aufsatz über Michelangelo: „Die ganze Menschheit ist eine Welt, aber wir müssen in unsere Arbeit für die Menschheit von uns aus und aus uns heraus beginnen.“

Daß seine Kunst, die Gesichte, die er aus dem Reich der Ideen, des Glaubens und Hoffens und des Schönen gab, in ihrem Wesen optimistisch werden konnte — trotz der ungeheuren Leidbelastung—, daß sie harmonisch werden konnten, Aussöhnung bedeuten mit der Vergangenheit und Hoffnung an die Zukunft, war nur möglich, weil für ihn Kunst Offenbarung des Ewigen, das ist des Göttlichen, ist, weil nach seiner Meinung die Kunst nicht die Aufgabe hat, die menschliche Seele zu bezaubern, ihr angenehm zu schmeicheln, sondern sie soll das Große des menschlichen Daseins in Opfer und Liebe, in Leidenschaft und heroischer Kraft künden und offenbaren) weil nach seinem Glauben unsere Werke auf Erden nur Abdrücke der Flügel unserer Seele sind, und für das Schöne kämpfen, heißt, Gott ein Loblied singen. Weil man als schaffender Künstler in die Ewigkeit verliebt sein muß, echtes künstlerisches Streben Lied und Gebet in einem zu sein hat. Und der Gehalt echter Kunst außerhalb der Dimensionen und der Zeit sein soll. Sie soll das enthüllen, was andere nicht wissen und nicht sehen, aber nicht das nachmachen, was andere oberflächlich sehen und oberflächlich begreifen. Echtes künstlerisches Streben soll die Wahrheit, die ist, entdecken, nicht das, was als Wahrheit erscheint. Das Kunstwerk ist Inkarnation einer Idee. Geist und Materie sind unteilbar. Die Idee ist eine Form göttlicher Natur, die sichtbare Form ist nur ihr Bild.

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