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Digital In Arbeit

Der Biobauer muß Marketing betreiben

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Erfüllung bei der Arbeit, aber große Probleme mit den viel zu niedrigen Preisen: Die Freuden und Sorgen eines Bio-Bauern. Lokalaugenschein auf einem Bauernhof im Waldviertel.

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Erfüllung bei der Arbeit, aber große Probleme mit den viel zu niedrigen Preisen: Die Freuden und Sorgen eines Bio-Bauern. Lokalaugenschein auf einem Bauernhof im Waldviertel.

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Fast alle Österreicher, die weiter im Norden als Johann Ackerl wohnen, leben im Ausland. Denn Herr Ackerl (30) wohnt in Un-terpertholz, und das österreichische Staatsgebiet weist nur zwei Zipfel auf, die noch weiter nach Norden reichen. Das Wasser der Mährischen Thaya hat kaum die Staatsgrenze passiert, es fließt in einem unregulierten Bett und daher in schön anzuschauenden Mäandern durch die leichthügelige Landschaft des nördlichen Waldviertels; am Ufer stehen Erlen. Ein Grundstück mit mehreren Ackern, einem Wäldchen und einer Wiese, welches bis zu den Erlen hinunterreicht, gehört der Familie. Die Ackerls sind Bauern - aber keine konventionellen, sondern seit sieben Jahren Bio-Bauern.

Auf den Äckern pflanzen sie Klee, Weizen, Senf oder Zitronenmelisse, rote Rüben oder Zwiebel, Dinkel oder Roggen und Kartoffel. Der jährliche Wechsel der Pflanze auf einem Acker macht die Fruchtfolge-Wirtschaft aus. Etwa alle sechs Jahre bauen die Ackerls wieder Klee an. Jede Pflanze nimmt andere Mineralien aus dem Boden. Bei Fruchtfolge wird der Boden daher nicht überstrapaziert. Der Klee gibt dem Boden sogar etwas: Er bindet den Luftstickstoff.

Ackerbau mit Fruchtfolge kommt ohne chemisch-synthetische Dünge-und Pflanzenschutzmittel aus. Ein paar Felder weiter streut ein konventioneller oder herkömmlich wirtschaftender Bauer chemisch-synthetischen Dünger aus. Ackerl erklärt: „Jetzt ist die Zeit für die anderen zum Düngen ... Ja, man sieht es an den

Trichtern hinten am Traktor, und es stinkt.” Dabei bückt sich Ackerl, hebt mit der bloßen Hand ein Stück seiner Bodenkruste ab, scharrt zweimal in der Vertiefung und freut sich über drei Regenwürmer, die jetzt bloß liegen. Regenwürmer sind nur eine Art von Tieren in einem gesunden Ackerboden. Ein guter Boden enthält viele Tiere und Organismen, und sie machen ihn erst zu einem guten Boden; sie lockern ihn, sie bereichern ihn mit ihren Ausscheidungen.

Herr Ackerl spart sich durch die organisch-biologische Wirtschaftsweise den Kauf von Dünger und Pflanzenschutzmitteln gegen Unkraut und Schädlingsbefall. Er spart Geld und uns erspart er die Reinigung des Wassers, denn die herkömmliche Landwirtschaft verschmutzt die Gewässer erheblich.

Die Fruchtfolge-Wirtschaft ohne Chemieeinsatz hat auch Nachteile: Herr Ackerl, seine Frau und seine Eltern - die Kinder sind noch zu klein -müssen das Unkraut teils von Hand beseitigen. Jäten ist eine mühevolle Arbeit. Wer es einmal im Schrebergarten versucht hat, kann sich vielleicht vorstellen, was es heißt, eine Fläche von einem Hektar (10.000 Quadratmeter) zu jäten. Ackerl sagt: „Bis zu 350 Arbeitsstunden sind nötig, um so ein Zwiebelfeld vom Unkraut zu befreien.”

Größere Gefahr der Mißernte

Die Gefahr einer Mißernte durch Schädlingsbefall oder Fäule ist im biologischen Landbau größer als beim herkömmlichen. Minderertrag ist die Regel. Bringen doch die herkömmlichen Bauern Insektizide, Pestizide, Herbizide, Fungizide und chemischsynthetische Düngemittel aus, um höhere Erträge zu erwirtschaften und um ihr Risiko zu verkleinern. Diese Bauern waren es auch, die die Ackerls früher scheel ansahen. Ackerls Stehsatz lautet: „Zuerst belacht, dann bedacht und schließlich nachgemacht.”

Zuletzt folgten einige Bauern im Ort Ackerls Beispiel: Sie sind auf biologischen Landbau umgestiegen. Es ist nicht ausreichend, daß der Bio-Bauer weiß, wann er den Boden bearbeiten muß, wann er säen und wann er ernten muß; er muß hart arbeiten und braucht Glück: ausreichend Schnee, Regen und Sonne zu richtigen Zeit und nicht zuviel davon. Ein Weizenfeld weist schüttere Flecken aus. „Hier kamen Schneewächten zu liegen, überhaupt hatten wir heuer 140 Schneetage, nach 100 Tagen Schneedecke nehmen die Winterungen Schaden; es fehlt an Durchlüftung des Bodens.” Der Bio-Bauer muß Kaufmann sein: richtig bestellen und einkaufen, kalkulieren und planen, schließlich muß er seine Produkte verkaufen. Der Bio-Bauer muß auch Marketing betreiben. Ackerl scheint hierbei erfolgreich.

Aber alles reicht noch nicht, denn mehr als 50 Prozent von Ackerls Betriebseinkommen stammen von Förderungen der öffentlichen Hand. Ohne Subventionen wäre ein wirtschaftliches Überleben nicht machbar.

Herr Ackerl möchte keinen Schilling von der öffentlichen Hand, dafür einen kostendeckenden Preis für seine Produkte. Demgemäß müßte der Erzeugerpreis doppelt so hoch sein wie heute. „Die Mühlen, Molkereien, Großhändler und Abpacker sollten straffer und effizienter organisiert werden”, dann müsse der doppelte Erzeugerpreis nicht den doppelten Supermarkt-Preis bedeuten. Andererseits möchte Ackerl die Konsumenten fragen, was ihnen „Lebens-Mittel”, die ihren Namen verdienen, und eine intakte Umwelt wert sind. Wenn diese Werte für uns zählen, müßten wir freiwillig mehr für unsere Nahrungsmittel zahlen.

Vier Millionen Regenwürmer pro Hektar

Sollten wir nicht alle empfinden, daß wir etwas davon haben, wenn in einem Hektar Ackerboden bis zu vier Millionen Regenwürmer wühlen. Sicher haben wir etwas davon, wenn wir nicht für noch eine Kläranlage zahlen müssen, um das Wasser wieder trinkbar zu machen.

Am Hof der Ackerls liefern sich zwei junge Katzen eine Verfolgungsjagd über, unter und durch Kartoffelkisten. Hühner stolzieren, irgendwo gackern welche heftig. Ackerl und Ackerl senior hantieren am Gabelstapler. Ackerl junior sitzt neben dem Sandhaufen; er könnte sein Spielplatz oder Vaters Baumaterial sein. Rinder muhen.

Der Hof kommt besonders durch die Rinder dem Idealbild der Ganz-heitlichkeit näher: Sie bekommen Futter von den eigenen Feldern und liefern Mist, also Dünger für eben diese Felder. Das schmeckt den Regenwürmern. Die Ackerls verkaufen keine Milch, sie bleibt den Kälbern, Mutterkuhhaltung heißt das. Die zehn Monate alten Rinder werden verkauft und geschlachtet. Eine vierzehn Jahre alte Kuh erhält ihr Ausgedinge, sie ist zu alt zum Kalben. Jetzt lebt sie wie ein Haustier am Hof. In so einer Landwirtschaft ist Rinderwahn nicht vorstellbar.

Die jungen Stiere werden nicht kastriert, obwohl der Supermarkt-Einkäufer Stierfleisch ablehnt. Ackerl verärgert: „Ich verstümmle doch nicht meine Tiere, und außerdem ist es ein Blödsinn, daß Ochsenfleisch besser schmeckt als Stierfleisch.” Ackerl weiß sich zu helfen: Die Jungstiere bekommt ein Bio-Fleischer und der Supermarkt eben nur junge Kühe.

Nicht jeder konventionelle Bauer wird durch den Chemieeinsatz unfruchtbar, aber Mediziner, die sich mit der Unfruchtbarkeit beschäftigen, bemerken, daß die Infertilität bei Bauern bedeutend höher ist als beim Durchschnittsmann. Ackerls Kinder spielen schmutzig, aber lebensfroh in einer augenscheinlich heilen Welt: dem Bio-Bauernhof. Die Ackerls leben in einer Gunstlage des nördlichen Waldviertels. Engelbert Sperl vom Ernte-Verband, dem größten österreichischen Bio-Bauernverband, hatte mir noch vor meinem Besuch bei den Ackerls erzählt: „Der Ackerl ist ein vifer Bio-Bauer.”

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