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Der Birnbaum

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Im Frühling des Jahres 1826, dessen Obstbaumblüte ungeheuer reich gewesen sein soll, so daß noch viele Jahre später in kargen Herbsten die Leute davon sprachen, glaubte sich der kleine, kraushaarige Musiker Franz Schubert zu Wien verlassen wie nie zuvor, denn es hatte sich zufällig gefügt, daß alle, deren sein geselliges Gemüt bedurfte und denen sein Herz zugeneigt war, sich zerstreut hatten und an anderen Orten verweilen mußten und er sich in einem hilflosen Heimweh nadi ihnen einredete, sie würden überhaupt nimmer zurückkehren, die Heiteren, ewig Mitteilsamen, ihn Aufrichtenden: Schober, Schwind, Vogl, Hüttenbrenner.

Wohl schrieb er seine sauberen Noten auf unzählige Blätter hin und bewahrte sich so vor einer schmerzlichen Stauung der nur allzu drängenden Musik in ihm. Auch trieb er ablenkende, seltsame Spielerei, indem er, diese einsamen Tage für eine Frühlingskur ausnützend, Kräutertee und Zuckerwasser trank, sich dabei ins Grüne hinausdachte und wirklich zu glauben versuchte, das bittere oder süße Getränk sei dieser oder jener niederösterreichische Wein, von dem es in jedem Wirtshaus eine andere Sorte gab. Von demselben Gefühl der Langeweile bewogen, öffnete er dem sanften Winde um ein weniges einen Fensterflügel, vergrößerte und verringerte den Spalt, daß der kaum vernehmbare Zug der hereinströmenden Luft sogar eine verhauchende Melodie bildete. Aber der schwerblütige, nur in dem Kreise der guten Freunde glückliche Geist des Musikers trauerte doch: „Du bist allein“; Stunde, Musik und Wind, Kräuterteee und Zuckerwasser erinnerten ihn nur immer wieder: „Ist, ihr fröhlichen Halbgötter, euer Bund aufgelöst?“ Und er selber gestand sich: „Wußte ich denn jemals, daß mir die Gesellschaft der Freunde so notwendig sei?“

Immer war wenigstens einer von ihnen zugegen gewesen, nun aber waren sie alle fort, und Schubert rief nach den Fernen während jener überreichen Obstblütezeit des Jahres 1826, die aber auch nur durch einen Zufall zu seiner Kenntnis gelangte, als gedächte dieser Zufall der Handlanger einer guten Fügung zu sein und meine gnädiglich, jenem dürfe die nagende Reue über ein Versäumnis nicht auch noch aufgebürdet werden.

Als nämlich Schubert in einer Herrgottsfrühe an das Fenster trat, ganz wider die Gewohnheit des passionierten Morgen-sdiläfers, und die geballten Frühwolken an einem in Blau und Gold strahlenden Himmel erblickte, die sich aneinanderdrängten wie überirdische Notenköpfe, da gingen unter dem Fenster jene heiteren, immer jungen Frühaufsteher mit den leichten, Zweiräderigen Handwagen dahin, denen die vielen Gleichgültigen und Gedankenlosen der Stadt den frühen Milchkaffee verdankten; und ihre Blechkannen klangen wie zu einem leisen Morgengeläute zusammen.

Und gleichsam, als müßten sie ihre Jugend versinnbildlichen und das Glück des beginnenden Tages, da? ihnen vor allen anderen gehörte, herbeiwinken, schwenkten sie Zweige v«n blühenden Kirschbäumen in der einen freien Hand: und es waren unter ihnen manche Mädchenhäupter, die im Frühdämmern wohl tief herabhängende Äste gestreift haben mochten, vom Birn-schnee übersilbert, ja selbst zwischen die Radspeichen mancher Milchwagen war Blütengewand geschlungen.

Schubert, der ein Liebhaber der Gärten nicht nur war, wenn die Windlichter neben den Weingläsern auf den Tischen standen, genoß solchen Anblick mehr als an anderen Tagen die Herrlichkeit einer besetzten Tafel, die ihm auch nur im Verein mit seinen Freunden ein Genuß war; er öffnete vergnügt das Fenster und hielt mit seinem Anruf zwei der übermütigen Milchführer auf, die für eine Unterhaltung mit dem wirrköpfigen Herrn im geblümten Schlafrock gleich zu haben waren.

„Ist das Kirsdiblüte?“ fragte er und wies mit dem Zeigefinger auf die Zweige hinunter.

„Ja“, jauchzte der eine Bursch zurück. „Treiben heuer die Bäume überall so stark?“

„Die Äst müssen überall gestützt werden.“

„Ja, wie schaut's denn da draußen dann aus?“

„Wunderschön weiß ist alles. Man sieht überhaupt vor lauter Blüh nix.“ „Ist das aber aucn wahr?“ „Bei meiner Seel.“

Und der Bursch, der dies wie einen Schwur aussprach, senkte seinen Kirschzweig und preßte ihn auf die Herzgegend, als dächte er dort den Sitz seiner Seele, die er soeben angerufen hatte.

Diese Beteuerung, an der Schubert um willen des Gegenstandes, aber auch wegen des andächtigen Tones, in dem sie vorgebracht worden war, nicht zweifeln konnte, jubelte gleich darauf ein Chor von Milchlieferanten, die sich unter dem Fenster angesammelt hatten; und ihr Silberschmuck, ihre Laune, ihr Bedürfnis bald wieder aus der Stadt hinauszukommen, das sie sichtlich beflügelte, sie überzeugten den neugierigen Musiker so sehr, daß er sich kaum Zeit nahm, den Kopf gewohnheitsmäßig von frischem Wasser aus erster Hand überrieseln zu lassen; er ging nicht zum Hof-brunnen hinaus, sondern steckte den Kopf nur rasch in die Waschschüssel.

Dann nahm er in atemloser Eile Hut und Stock, als fürchte er Unwiederbringliches zu versäumen, und spazierte in den verheißungs-reidien Mongen hinein; dabei pfiff er ein paar lustige Einfälle vor sich hin und benahm sich, als gehöre halb Wien ihm.

Die Menschen, die ihm begegneten, hatten ihre helle Freude an dem krausköpfigen Herrn, dem die Lust dieser frühen Stunde in das Gesicht geschrieben war; er winkte ihnen mit dem Hute zu und schlug mit seinem Stocke einem unsichtbaren Orchester den Takt.

So wandelte er denn, begierig nach der verheißenen Blüte, nach den Wundern dieser seltenen Tage, die ihm durch die blühenden Zweige verkündet worden waren, auf den Spuren der Milchburschen; sie hatten nämlich hie und da Bim-, Apfel- und Kirschblüten zerwirbelt. Sogar an Zäunen hingen sie in Spinnweb, und die Wässerlein an der Straße schwemmten sie mit sich fort.

Und er versprach sich in einem närrischen Glauben von diesem Gange in den Frühling Verjüngung, Linderang des Heimwehs, überhaupt Erlösung von aller Beschwernis.

Auf diesem Ausflug nun, der fast so etwas war wie eine Häutung, tröpfelte ihm plötzlich ein allerliebstes Thema im Vierachteltakt zu, es war eine Vogelstimme darin, der Duft vieler Blumen und ein kühnes Wölklein im Himmelsblau, und Schubert war selber überrascht von dem glücklichen Einfall, den er sich gut zu merken beschloß.

Die Melodie löste sich von ihm wie ein Abziehbild, langsam Stückchen um Stückchen, und hatte sich schließlich schon bis in die letzten Takte getänzelt, als plötzlich ein Paukenschlag hineinstieß. Das war nämlich der Schreck des innig versunkenen Wanderers, und auf einmal war seine Musik nur mehr ein zerstörtes Spinngewebe, viele lose Fäden wehten davon. Die Ursache dieser plötzlichen Verwandlung aber lag unbekümmert wie ein Wiesengeist am Wege, hatte am sanft abfdlenden Wegrain den Kopf auf die Handteller gelegt und die Beine übereinandergeschlagen; statt eines Hutes war ein zerzaustes Haarbüschel da, in dem jeder Wind nach Belieben sein Spiel treiben konnte; Kleider der siebenten Eleganzstufe, von eins an gezählt, und eine braun gebeizte Gitarre an einem urgewöhnlichen, gemeinen Strick, die waren offet.

kundig sein einziges Hab und Gut. Als Lautenbänder aber hatten sich ein , paar goldene Strohhalme angeboten; sie hingen, zwischen den Wirbeln zerhakt, an dem Hals der Gitarre herunter und verrieten die Herberge der letzten Nacht: irgendeine Bauernscheune.

Vor dieser unvermutet auftauchenden Gestalt erschrak Sdiubert, denn er war einstweilen noch in seinen Gedanken dahin-gewandelt; hier hatte ihn, nicht weit von dem Rande der Stadt, die Gegend nodi nicht verzaubert gehabt.

Aber gleich erkannte er in Haltung und Miene des Wegelagerers, der hier ein letztes Morgensdiläfdien geschlummert haben mochte, den harmlosen Landstreicher, der sich von diesem betauten Tagbeginn seinen ihm zugemessenen Teil nach altem Rechte der fahrenden Leute nahm. Er hatte sich jetzt am Straßenrand sehr demütig aufgestellt, hatte die fünf Finger zu einem Kamm gespreizt und mit einem jähen Schwung die Haare zurückgestrichen, präsentierte mit der Gitarre wie ein Soldat vor einer Exzellenz und bereitete Schubert mit der Begrüßung eine große Verwunderung; denn sein Gruß lautete: „Dero ergebenster Diener, Herr von Schubert.“

Nun hatte Schubert dieses Spitzbubengesicht in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen, darauf hätte er schwören mögen, so ein Gesicht mit lustig zwinkernden Augen und einer leicht angeröteten Knollennase vergaß nicht mehr, wer es einmal gesehen hatte, und so drängte ihn denn eine verwunderte Neugierde, zu fragen: „Woher kennt Er mich denn?“

Da kam auch gleich eine eilfertige Antwort daher:

„Aber wer wird denn den Herrn von Schubert nicht kennen? Soll er bloß den Wienern allein gehören, die ihn obendrein gar nicht verdienen? Denen von der Musik ist er ja längst ein kleiner Herrgott, und wer von den wandernder. Musikanten seine Lieder nicht singt, der soll sein Instrument am nächsten Straßenstein zerhauen.“

Diese unerwartete, seltsame Huldigung belustigte Schubert, und er gab zu bedenken: „Das ist ja sehr schön und freut mich, aber die Lieder sind halt doch für Klavierbegleitung geschrieben.“

„Das ist das allerwenigste, Herr von Schubert. Ich mach aus der Gitarre da einfach ein Klavier.“

Und als müsse er beweisen, daß dies nicht nur ein blauer Dunst von schnellen Worten sei, und als müßte er sich audi der ehrenvollen Bekanntschaft würdig zeigen, sang er mit gedämpfter Stimme ein Müllerlied und zupfte die Begleitakkorde so zierlich und sauber aus den sechs Saiten, als schlügen feine Hämmerchen in einem Spinett. Da kam beim Anhören dieser zarten Musik über Schubert ein seltsames Behagen und damit auch viel Freude an der Begegnung mit dem unbekannten Luftikus, denn ein so unbestochenes Lob, wie der es soeben geäußert hatte, war eines frohen Erstaunens wohl wert.

„Wer ist Er denn?“ erkundigte sich Schubert mit freundlicher Wiener Neugierde.

„Kaspar Hendl, Dero Gnaden. Zwei komische Namen, nicht wahr? Kaspar ist der Sdiutzpatron der lockeren Vögel. Und das Hendl paßt auch zu mir; bin zwar kein Backhendl und kein Brathendl, aber gerupft bin ich auch genug worden.“

Schubert ahnte wohl, daß sich das boshafte Leben an so einen windigen Straßenbruder heranwagen mochte wie der Hund an zerrissene oder geflickte Hosen. Hendl aber hatte noch mehr zu sagen:

„Fünf Tag wart ich jetzt an dem Fleck da und glaub, da vorbei muß der Herr von Schubert einmal ins Grone hinein. Suchst ihn in der Stadt, findest ihn nit, störst ihn, und überhaupt die Stadt...“

Er stieß mit dem Fuße in einen niedrigen Hügel aus jenen grünlichen und braunen Kugeln, die von den Pferden zurückgelassen werden, und es war nicht schwer zu erraten, daß er die Stadt mit ihnen in irgendeine, aber wenig schmeichelhafte Verbindung brachte.

„... Da muß er vorbei, und da sagst ihm, daß du seine Lieder kennst, daß du in Prag im Konzert warst, wo sie der Herr Vogl wundersdiön gesungen hat, und daß dir alle Augenblick von irgendwo ein neues zugeflogen kommt, das sich verhängt wie Altweibersommer im Gebüsch.“

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