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DER BITTERE AUS MASUREN

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Der russische Schriftsteller Aleksej Maksimowitsch Pesch-kow hat sich, wohl zunächst aus Gründen der Tarnung, freiwillig den Namen „der Bittere“ zugelegt und ist so unter dem Namen Maksim Gorki in die Weltliteratur eingegangen. Für niemanden uniter den deutschen Dichtem der Gegenwart könnte dieser Beiname so gut passen wie für den Ostpreußen Ernst Wiechert, der am 18. Mai dieses Jahres seinen 80. Geburtstag zu feiern hätte, wäre er nicht schon am 24. August 1950 im Süden des deutschen Sprachraumes ein frühes Opfer seiner labilen Gesundheit geworden. Sein Lebenswerk war indessen, so spät es zur Größe herangereift sein mochte, vollendet wie nicht bald ein anderes. Das herbe Lied seiner Poesie war ausgeklungen. Weitere Großledstungen waren von ihm kaum zu erwarten. Es wäre über seine Kräfte gegangen.

Ernst Wiechert kam als Försterssohn zu Kleinort in der Landschaft Gällnden auf masurischer Erde zur Welt. Der schier unendliche Wald war sein Urerlebnis, aus dem sich alles — Dunkles wie Helles — ableitet. Fast alle seine Bücher spielen 'in dieser Weit, wenn ihn auch erst die Stadt zu fruchtbarem Widerspruch und zum Wachstum herausgefordert hat. Er blieb bis in den Tod dieser einzigartigen Wälder- und Seelandschaft treu, obwohl er schon in den dreißiger Jahren seinen Wohnsitz auf einen bayrischen Hof verlegt hatte.

Aus litauischem, masurdsebem, romanischem und vor allem deutschem Familiene-rbe ist dieser künstlerische Mensch erwachsen. Der Zauber der Berührung mit fremden Welten verpflichtete ihn zur Zusammenschau und zur Pflege dieser Gemeinsamkeit und nicht zur einseitigen Betonung der Dominante. Kleinort — so hieß Wiecherts Geburtsort nächst Sensburg nicht nur. Dieser Name könnte gut als Gleichnis für das Dorf schlechthin gelten, in dem Wiechert zeitlebens das Gesündere .gegenüber dem Städtischen gesehen hat. Das heißt freilich nicht, daß dort nur Heilige wohnten. Diese Welt war nur besser, aber noch lange nicht gut.

Ehe die dichterische Berufung auch schon sicheres Brot verheißen konnte, war Wiechert Gymnasiallehrer geworden. 1911 begann er an einer Königsberger Schule, von seiner Berufspflicht hat sich der Dichter — nach zuletzt drei Berliner Schuljahren —erst 1935 lösen können.

Die ersten fünf Romane (Die Flucht, Die blauen Schwingen, Der Wald, Der Totenwolf, Der Knecht Gottes Andreas Nyland), 1913 bis 1925 verfaßt, beschreiben allerlei Gärungsformen der Zeit, bezogen auf ein sehr passives Helden-Ich,voller Tiefe freilich und voller Erleidensbereitschaft, gegründet auf dem So-und-nieht-anders-Sein einer echten Heimatverwurzelung. Bibelgläubigkeit und Sektierertum bleiben über dem altheidnischen Urgrund bewegende Kräfte. Zu dem kommt noch die Abwehr all dessen, was diese Generation an der älteren, die das zweite Reich geschaffen hat, auszusetzen fand, sowie das Kriegserlebnis, wenngleich dies die Handlung noch kaum bestimmt.

Sosehr diese Bücher einer literaturfreudigen Zeit beachtet worden sind: Wiechert bat ihren Nachdruck in seinen letzt-willigen Verfügungen (mit Ausnähme der Gesamtausgabe) verboten und sie für Paroxismen erklärt, „in denen die Natur sich wie im Fieber reinigte, nachdem sie jahrelang das Gift des Krieges getragen und keinen Ausweg hatte“.

Ernst Wiechert hat den ersten Weltkrieg an der Ostfront wie auch in Frankreich mitgemacht. Kein Mann, der durch seine Gluien ging, blieb von ihm ungezeichnet. Während aber, und hier drängt sich ein literarischer Vergleich auf, der um etwa ein Jahrzehnt jüngere Niedersachse Ernst Jünger in diesem Weltenringen durchaus Hammer blieb, wovon trotz zahlreicher Verwundungen der Orden Pour le merite und vor allem einige männlich-kämpferische, den Orlog durchaus nicht verniedlichende Kampfbücher und berühmtgewordene Essays zeugen, hat sich der andere Ernst aus Ostpreußen immer als Amboß gefühlt und das ihm eigene literarische Zeugnis abgelegt, das allerdings ebenfalls mit dem landläufigen Defaitismus nichts gemein hatte. Der Heimkehrer besitzt in Wiechert gegenüber dem Soldaten den Vorrang. Nicht der Sieg ist das Wichtigsite, sondern der Frieden, wie auch nicht so sehr der verlorene Krieg das Unglück ist, sondern die moralischen und innenpolitischen Folgen der Niederlage.

So sind Wiecherts große Romane der Mittelzeit, „Die Majorin“ (1934) und „Das einfache Leben“ (1939), zu klassischen Bewältigungen des Heimkehrertums geworden. Trotz des passiven Heldentums der Gestalt des Jägers, der als Typenbegriff den Widerpart der ebenfalls nicht näher genannten jungen Majorswitwe und Gutsherrin bildet, sowie des abgerüsteten Korvettenkapitäns Thomas von Orla, der im „Einfachen Leben“ zum Gutsverwalter wird, hat die Leserschaft dieser markanten Schöpfungen der „Inneren Emigration“ beide Bücher ins Herz geschlossen. Hier wird eine Rückkehr zur Scholle gewagt und geschildert, ohne daß daraus Btot- und BodenlMeratur dm üblichen Sinne geworden wäre.

Was Ernst Wdechert an moralischen Bedenken gegen die damalige politische Gegenwart auch andeutungsweise in seinen Büchern nicht sagen konnte, hat er in zwei Münchener Vorträgen (1933 und 1935) ziemlich deutlich an seine studentischen Zuhörer herangetragen. Als er 1938 ein außenpolitisch gemünztes Führerwort vom Recht, das auch für Deutsche Recht bleiben müsse, in einem individuellen Verfolgungsfall innenpolitisch reklamierte, geriet er für drei Monate zur Abschreckung vor weiteren Äußerungen ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Mut vor Königethronen war eben im autoritären Staat nicht erwünscht und hat den herzkranken Mann trotz verschiedener Schonunoen vor dem Ärgsten bis an die Schwelle des Todes gebracht.

Vorgeschichte und Erlebnis dieser Hölle enthält der 1939 aufgezeichnete Bericht „Der Totenwald“, dessen Nachwort sich ausdrücklich auf „die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit“ beruft, die in diesem Falle der Erfindungsfreiheit eines Dichters um der historischen Zeugenschaft willen berechtigte Schranken setzt. Ernst Wiechert hat die Genugtuung erlebt, am 11. November 1945 in einer „Rede an die deutsche Jugend“, wieder in München, das letzte Wort behalten zu haben.

Er hat zwar die persönliche Verwarnung durch Goebbels, die seinem Lageraufenthalt gefolgt ist, berücksichtigt und fortan geschwiegen, nachdem er, solange es ging, seine Stimme hören ließ. Aber so sehr seine Bücher auch während des Dritten Reiches verbreitet wurden: für die nächste Zukunft hatte er mit Druckerschwärze nicht mehr zu rechnen. Es gehörte Kraft dazu, für eine weitere Zukunft an deutsche Leser zu glauben.

Was Wiechert dn dieser Zeit schrieb, trägt gewollt oder ungewollt das Siegel des dm „Totenwäld“ Erlebten, über das er zum Schwedgen verpflichtet worden war. Nun entstanden als Krönung seines Lebenswerkes die beiden Teile der „Jero-minkinder“ (1941 und 1946 vollendet). Der Lebensroman des Jons Ehrenreich Jeromin aus dem Eulenwinkel Sowirog in den Masuren, der mit einer kindlichen Kaiserbeleidigung begann und im ersten Teil den ersten Weltkrieg durchschreitet. Hier wird noch einmal die ostpreußische Heimatwelt der Dichterjugend durchlebt, die Einmaligkeit der herben Landschaftsschönheit und die Absonderlichkeit ihrer Menschen. Wir finden unvermeidbare Inhaltsberührungen mit bisherigen Büchern und der prachtvollen Selbstbiographie „Wälder und Menschen“. Auch hier überwiegt die Ursehnsucht des Heimkehrenwollens. Der zweite Band, der den jungen Jeromin als Arzt in den Eulenwinkel zurückkehren läßt, steht unübersehbar im Banne der Freiheitsberaubung seines Schöpfers, Der allgemeinen Zeitgültigkeit ist dadurch zwar mancher Abtrag geschehen, doch hatte der Dichter ein1 schmerzliches Recht darauf erworben, vom Ausgang her die Geschehnisse zu gestalten.

Ein dritter Band hätte füglich das Werk durch den zweiten Weltkrieg und die unschilderbare Vertreibung aus der durch Jahrhunderte ersessenen Kolonistenheimat an der Ostsee enthalten müssen. Für dieses Unvermögen muß das erschütternde Nachwort stehen, das von den grauenvollen Buchstaben der Geschichte spricht, die keiner Dichtung das Recht geben, über das Geschehene den Schimmer der Verklärung zu legen. Ruhe allen Schlafenden, und Friede allen Toten.

Im letzten Roman, „Missa sine nomine“ (1950), hat der Dichter Wiechert noch einmal die Versöhnlichkeit über den Schmerz erhoben, wenn er Heimatvertriebene seines Herkunftsraumes in der Bewältigung ihrer neuen Lebensform darstellt. Der Bitternis ist er auch hier treu geblieben, sie ist das Salz, ohne das .gerade dieses Alterswerk schal und leer bleiben müßte.

Der Vergleich mit Ernst Jünger sei noch einmal erlaubt, um die Polarität deutschen Geistesdenkens in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sinnfällig zu machen. Auch Jünger war, sosehr die Ideologen des Dritten Reiches aus seinen geschliffenen Essays Nutzen gezogen haben mochten, kein Mann dieses Regimes. Er ist ebenfalls nicht nur im Lande geblieben, er hat sogar (im zweiten Weltkrieg) noch den Soldatenrock ein zweites Mal angezogen. Von der „Partei“ ständig beargwöhnt und hauptsächlich wegen seines Pour Je merite von höchster Stelle geschützt, war für ihn der Wehrmachtsdienst eine weitere Emigration nach innen oder eine Flucht nach vorne. In seiner „Schrift vom Frieden“, die illegal in den Kreisen der militärischen Führung lebhaft verbreitet und diskutiert wurde, hat auch Jünger gesagt, was er als zeitpolitischer Denker sich zu sagen verpflichtet fühlte.

Wiechert hat in den Jahrzehnten seines Lebens manche Wandlung erlebt und davon in seinen zahlreichen Werken, Romanen wie Märchen, Reden und Gedienten Zeugnis abgelegt. Auch Ernst Jünger war;to•ungemein -wandtagsfähiger deutscher Peregrinus Proteus, der auf dem Recht dieser Wandlung lebhaft bestand. Es impliziert für die Vergangenheit sogar das Recht auf den Irrtum.

Bei aller Andersartigkeit dieser beiden charakteristischen Gestalten, von denen die eine noch unter den Lebenden weilt, bei aller Unvergleichbarkeit ihrer literarischen Potenz und Eigenart wäre zu wünschen, daß gerade auch das dichterische Lebenswerk des „bitteren Sohnes des Masuren-landes“1 nicht vergessen werde.

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