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Der Brixentaler Antlaßritt

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Unter den eindrucksvollsten Festbräuchen Tirols zählen seit Jahrhunderten die Fronleichnamsumzüge in Stadt und Land. In ihnen prägte das Volk einen eigenen Feststil aus, die alpenländische „P r a n g“. Unsere heutigen Fronleichnamsumzüge sind eine Spätform dieses urtümlichen agrarkul-tisdien Brauches, in dem Mensch und Natur sich aufs eindringlichste im Preisgesang auf die Schöpfung Gottes zusammenfanden. Ursprünglich mögen Abwehrgedanken im Vordergrund gestanden sein, Sorgen um den Ertrag des Bodens. Aber immer mehr brachen der Jubel, die Freude und der Triumph durch und diese Prang beseelte das ganze Fest. Darin liegt das treibende psychologische Moment der großartigsten Tiroler Fronleichnamsspiele, die in der Zeit von ungefähr 1421 bis 1753 in der damaligen größten Tiroler Wein-, Handels- und Verkehrsstadt Bozen veranstaltet wurden. Zunächst fanden sie jedes Jahr, nach Überwindung der religiösen, sozialen und politischen Erschütterungen der ersten Jahrzehnte des sechzehnten Jahrhunderts jedes dritte Jahr auf das großartigste statt. Ähnliches boten nur die Prunkprozessionen der großen Handelsstädte dr Niederlande und Spaniens. Ich habe darüber ein dreibändiges Werk, „Bozner Bürgerspiel e“, herauszugeben begonnen, von dem bisher freilich nur der, Einführüngsband 1942 erscheinen konnte, und möchte daher nur noch auf eine ländliche Spätform dieser Prangfeste, nämlich auf den Brixentaler Antlaßritt hinweisen, der freilich in den letzten Jahren vielfach mißbraucht und mißdeutet wurde, aber nunmehr aufs neue in seiner wesentlichen Verbundenheit, in dem harmonischen Zusammenklang von Natur-und Lebensfreude und Gotteslob erstehen soll. .

Von Wörgl im Unterinntal biegt das B r i x e n t a 1 ab, in dem die großen Gemeinden Hopfgarten, Westendorf, Brixen im Tal und Kirchberg liegen, von denen die Bahn schließlich zur Großarche nach Kitzbühel und St. Johann in Tirol abbiegt.

Hier hausen die größten Bauern Tirols. Hier wirkt eine alte Volks- und Stadtkultur nach, die vom Bergbau und Bauerntum zugleich gestützt wurde. Der Brixentaler Antlaßritt ist ein religiöser Bauernbrauch. Er wird am Nachmittag des Fronleichnamstages von Brixen aus von Besitzern bestimmter Bauernhöfe oder deren Söhnen bestritten. Zu den Brixnern stoßen Westendorfer und Kirchberger berittene Bauern. Die besten Pferde sind ausgewählt und nach altem Herkommen geschmückt. Der Dechant von Brixen im Tal reitet meist auf einem Schimmel und trägt am Halse die Verseh-burse. In Brixen im Tal umreiten die Teilnehmer zunächst einen alten Kastanienbaum beim Widum mitsamt der Kirche. Beim Klausenbach, der alten Gerichtsgrenze zwischen Kitzbühel und Hopfgarten (Itter), ist ein großmächtiger Maibaum aufgerichtet, der vom angekommenen Zug mitsamt der dortigen Kapelle umritten wird. In der Kapelle liest die Geistlichkeit die vier Evangelien und von hier aus erteilt der Dechant den Wetter- und Flursegen nach allen vier Weltrichtungen. Beim Herritt brechen die den Zug begleitende Musik und das Glockengeläute der Brixentaler Kirchen plötzlich ab. Es ertönt vom Kirchberger Turm das Sterbeglöckl mitten in die Prangfreude hinein: das Memento morians dem Dreißigjährigen Krieg und alten Gerichtsumritt.

Das sind die wesentlichsten Merkmale des altertümlichen Brixentaler Antlaßrittes. Es war bis 1938 der größte Stolz jedes jungen Brixentalers, daran an Stelle des Vaters oder des Bauern teilnehmen zu dürfen. Hiezu bot jeder die schönste Tracht und das wertvollste Pferdegeschirr auf. Auch die Reiter waren mit Kränzen und Zweigen eigenartig geschmückt. Aus dem Jahre 1650 ist die erste Ausgabe des Umritts in einer Brixener Kirchenrechnung überliefert. 1655 wird der Ritt schon als alter Brauch erwähnt. Nach der Überlieferung hat die Bedrohung Salzburgs und Nordosttirols durch die Schweden im Jahre 1648 zu dem G e-1 ö b n i s geführt, den Brixentaler Antlaßritt alljährlich ordentlich abzuhalten. Damals standen tatsächlich die Schweden schon bei Mühldorf am Inn in Bayern. Schon Jahrzehnte zuvor war die Bevölkerung durch militärische Ereignisse in große Sorgen gestürzt worden, zuerst durch die Übergriffe des Passauer Kriegsvolkes, das der Erzherzog Leopold im Streite des Kaisers Rudolf II. mit seinem Bruder Matthias unterhielt, später durch spanische Truppen, die das Haus Österreich gegen die vordringenden Schweden in Bayern aufstellte. In jenen bedrohlichen Zeiten entstand manches ähnliche Verlöbnis von Gemeinden und Gerichten, diesen oder jenen etwas vernachlässigten Umgang nunmehr wieder alljährlich mit besonderer Andacht und Feierlichkeit zu begehen. Es war die Zeit, in der Bittprozessionen und Prunkumzüge großen Aufschwung nahmen. Um 1610 kamen in den meisten Orten Tirols, in denen sich Kapuziner niedergelassen hatten, Büßerumzüge auf, in denen neben Tragfiguren und Fahnenbildern (fercula et labra) auch lebende Auftritte eingeschoben wurden. Diese szenenreichen Karfreitagsprozessionen wurden in Kitzbühel, Rattenberg und Kufstein, in Rosenheim, Wasserburg und anderen Orten des tirolischen Unterinntales und des oberbayrischen Inngaus veranstaltet. Auch die seit dem Ausbruch der Bauernkriege und Knappenaufstände vielerorts vernachlässigten Fronleichnamsumzüge wurden nun wieder eifriger ausgestaltet und allgemeiner abgehalten.

Es ist das Wahrscheinlichste, daß auch die Brixentaler sich angesichts der drohenden Schwedengefahr auf ihren alten Dekanatsund Gerichtsumgang wieder mehr besannen und durch einen Versprudi sich auf dessen regelmäßige und würdige Begehung verpflichteten. Hier bei den reichen Bauern und bei der Größe der Entfernungen hielten die Hofbesitzer meistens Ritte ab, so zu Sankt Leonhard. Solche Erneuerungen alter kirchlicher Bräuche wurden damals vielerorts unternommen. Am großartigsten entfalteten sich die Rosenkranzprozessionen der Stadt Kitzbühel seit dem Jahre 1647. Sie vereinigten in sich viele dramatische Auftritte und führten zfir Gründung eines eigenen Spielhauses der Kirche.

Das Umreiten des Baumes vor der Kirche in Brixen im Tal entspricht gleichfalls einem alten Volksbrauch. Hier wurde ursprünglich Gericht gehalten. So scheint auch die großartige Bozner Fronleichnamsprozession ursprünglich mit einem Umkreisen des „Alber“, einer Schwarzpappel, die noch im 17. Jahrhundert vor dem Portal der Hauptpfarrkirche stand, begonnen zu haben, sei es zum Rechtsakt des jährlichen Umgangs oder zur Bannung schädlicher Tiere. Der M a i b a u m bei der Klausenkapelle der Brixentaler ist das Sinnzeichen des immergrünenden, ewigen Lebens, das bei Paradeisspielen, bei Hochzeitsbräuchen, selbst beim Blochziehen noch vertreten ist.

Entlegene Bittgänge und Flurritte waren in Nordosttirol keine Ausnahmen. Der größte Uberlandgang war wohl der sogenannte Ebbser Jahrtag der Kirchengemeinden Kitzbühel und St. Johann in Tirol. Soweit die Kitzbüheler Kirchenbücher zurückreichen, erwähnen sie diesen Kreuzgang zur alten Mutterpfarre Ebbs nördlich von Kufstein. Schon 1528 ist von der alten Stiftung zugunsten dieser Wallfahrt nach Ebbs die Rede. Dieser Gang wurde in der Oktav der Fronleichnamswoche abgehalten. Im siebzehnten Jahrhundert gingen die Wallfahrer sogar noch weiter, bis Erl, dem nordöstlichsten Grenzdorf Tirols, besuchten dort die Marienkirche und nahmen an den geistlichen Spielen in Erl teil. Was Erl an ältesten Spieltexten aus dem 17. und 18. Jahrhundert bis 1933 besaß, stammte vornehmlich aus der alten Spielerfamilie Simmeringer in St. Johann, vor allem des Antany Simmeringer, der sich im Reimen und Umschreiben hervortat. Andere aus seiner Sippe verstanden sich aufs Larvenhersteilen und Kostümschneidern. Diese alten Zusammenhänge entstanden zur Blütezeit des Bergwerks und der Hammerschmiede, von denen sich etliche in dem Weiler Mühlgraben der Gemeinde Erl niederließen. Sie begründeten um 1613 die Volksschauspiele in Erl.

Die Geschichte des Brixentaler Antlaß-ritts ist ein Kapitel aus einer reichen Kulturgeschichte der Barockzeit Tirols. In seiner , Vorgeschichte geht er jedoch noch viel weiter zurück, bis in die Anfänge der Prangfeste unserer Alpenländer, in denen zum erstenmal der Preis auf die frühsommerliche Natur erklang und die ganze Jugend in den Jubel und in das Dankgebet auf den Schöpfer ausbrach.

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