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Der Christ steht und fällt mit dem Gebet

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Wer als Christ nicht mehr betet, der muß sich selber Gründe zurechtlegen, die ihn entschuldigen, ja rechtfertigen. Zum Beispiel: Gebet gehört einer vergangenen Weltzeit an, es war hauptsächlich Magie: man bat sich die Dinge herbei, die man brauchte; heute legt man selbst Hand an, und so ist es Gottes Wille. Oder: Gebet gehört allenfalls ins Alte Testament; mit Christus ist Gott Mensch geworden, da soll auch der Mensch keine leeren Worte mehr zum Himmel schicken, sondern mit Gott absteigen zum Mitmenschen: tätige Liebe ist nicht Ersatz für Gebet, sondern christlich seine eigentliche Gestalt. Oder: Gebet setzt, um Frucht zu tragen, eine Welt der Stille, der Natur, in der Gott anwest, der Muße für Kontemplation voraus; dort mochte Gott lebendig und zugänglich sein; in der Welt des ununterbrochenen Lärms, der Technik und der Zwangssozialisation ist kein Raum und auch keine Zeit mehr für den Luxus Gebet; wo es versucht wird, zeigt der negative Erfolg, daß der Gebetsgott tot, dieser innere Brunnen versiegt ist und man rechtens von dieser Übung abläßt. Auf die kürzeste Formel bringen es die jungen Leute: was ich nicht kann, das zu tun wäre für mich unehrlich. Sagen wir's vorweg: der Christ steht und fällt mit dem Gebet. Sein Glaube hat nur einen Inhalt: daß Gott ihn und alle — nicht nur anonym alle, sondern gerade auch ihn — geliebt hat und immerfort liebt. Die Erwählung Israels war Auftakt: Du und kein anderer sollst Mein Du sein, sprach Gott zum Volk, und nicht

weil du schön oder groß oder machtvoll bist, sondern weil Ich in nicht hinterfragbarer Freiheit dich zur Liebe, zur gegenseitigen Liebe erwählt habe. Ein furchtbares Los, so Auge in Auge vor Gott zu stehen.

Israel möchte wegschauen, aber seine SeÄerüihctoe::werden als Hurenblicke'ntlarvt. Ein Wort fährt aus grundloser Freiheit auf Israel zu: die Weisung und Weisheit des Herrn.

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Und Gott schwört sich zu, daß Sein Wort Ihm nicht ohne die Frucht der Antwort Israels von der Erde zurückkehren wird (Is 55, 10 f.). Dem Volk gelingt die Antwort der liturgischen Psalmen: Preislied, Danksagung, Bittflehen, Sichbergen unter den Flügeln Gottes. Das ist gut so, und es wird und muß bleiben. Aber in Christus tritt' der erwählende Gott als Mensch nicht global auf ein Volk zu, sondern — drängender als in den Prophetenberufungen — auf einzelne zu. Du folge mir. Auf dich legt sich, erwählend, fordernd, beschenkend, die ganze Wucht Meiner Hand. Der Gerufene läßt alles liegen und folgt; er hat keine Rückver-

sicherung oder Reserve für den Fall, daß es schiefgeht. Wenn Entlassung angeboten wird, dann: „Herr, zu wem sollten wir gehen, Du hast Worte ewigen Lebens.“ Auf solche aus der Ewigkeit zu mir heranklingende Worte habe ich mein Leben gestellt: wie sollte da keine Antwort erfolgen? Antwort nicht durch weiterwirkende Taten, wie sie dem Auftrag Christi entsprechen, zu Menschen und Welt hin, sondern Antwort unmittelbar so, daß das Herz, das aus der Ewigkeit her den Anruf „Du!“ gehört hat, sich mit geformten oder lautlosen Worten zu einem „Du!“ in die erwählende ewige Liebe zusammengefaßt. Aller Weltauftrag, wie ihn die Apostel ausführten, war ausschwingender Widerhall dieses ursprünglichen „Du!“ im Herzen des Gesendeten. Wo wird mehr persönlich gebetet als in den Briefen Pauli? Oft greift er liturgisches Gebet der Gemeinde auf und schmilzt es ein in ein Gebet des eigenen Herzens. Und das nicht, weil er Gebetsgewohnheiten aus seinem früheren Pharisäerleben beibehalten hätte, sondern weil der Herr, dem er

dient, Wort Gottes des Vaters ist, das aber nicht primär aus des' Vaters Mund weg In die Welt hinein reffet, sondern ewiges subsistierendes Wort ist, das nicht aufhört, preisende, dankende Antwort an den Vater, „eucha-ristia“, zu sein. Immer wieder, besonders bei Lukas, betet Jesus, zieht sich an einsame Orte zum persönlichen Gebet zurück; Seine Taufe, Seine Verklärung, der Beginn Seines Leidens ereignen sich während des Gebets (3, 21; 5, 16; 6, 12; 9, 18—21; 11, 1). Bei Johannes faßt Jesus Seinen ganzen Auftrag im „hohenpriesterlichen Gebet“ zusammen (Kp 17), in dem Er alles Wirken zwischen Seinem Ausgang vom Vater und Seiner Rückkehr zu Ihm in die Hände des Vaters empfiehlt. Bis in Seine Sterbensworte ist Er im Dialog mit Gott

Dahinein ist der Christ aller Zeiten, auch der heutige, verfügt. Er hat keine Ausrede und darf nirgend-wohin ausweichen. Weder in die bloße Aktion noch in die bloße Liturgie, noch in eine Solidarität mit all denen, die nicht mehr beten können oder vom Gebet nichts mehr wissen.

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